Experten zu schwierigem interreligiösem Dialog in Jordanien

Amman. Durch seine kulturelle Homogenität und religiöse Diversität ist Jordanien nach Einschätzung des Royal Institute for Inter-Faith Studies (RIIFS) in Amman ein einzigartiges Beispiel für das Zusammenleben. Über die Herausforderungen und Chancen für den interreligiösen Dialog sprechen RIIFS-Direktorin Renee Hattar und der akademische Berater des Instituts, Amer al-Hafi, im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Amman.



KNA: Herr al-Hafi, definieren Sie doch bitte "interreligiöser Dialog".



Amer al-Hafi: Im Englischen gibt es den Begriff "interfaith dialogue", der weit über Religion hinausgeht. Man kann Glauben haben, ohne einer Religion anzugehören. Seine Themen sind viel breiter: Familie, Menschenrechte, Wasserprobleme, Flüchtlinge. Im Mittelalter stand die Metaphysik im Mittelpunkt. Unsere Generationen müssen das Menschliche in den Mittelpunkt der Überlegungen stellen.



KNA: Wie würden Sie den interreligiösen Dialog in Jordanien beschreiben?



Renee Hattar: Es gibt viele Herausforderungen, die mit dem zusammenhängen, was von außen auf uns einströmt. Was in Syrien, im Irak, im Heiligen Land geschieht, betrifft uns, direkt oder indirekt: Fragen der Identität und ihrer Bedrohung. Die Tatsache, dass es zum Beispiel nur noch wenige Christen gibt, verstärkt das Gefühl der Bedrohung dieser Gemeinschaften. Wir versuchen, unsere Identität zu verteidigen, und vergessen, dass wir ohne Probleme zusammengelebt haben. Gleichzeitig ist Jordanien aufgrund unserer kulturellen und religiösen Erfahrungen einzigartig.



KNA: Was macht das Land so besonders?



Amer: Christen und Muslime leben seit langem zusammen. Als der Islam kam, waren die Menschen in der Region überwiegend Christen. Viele Muslime haben christliche Wurzeln, sind sich dessen aber nicht unbedingt bewusst. Die Stämme haben traditionell immer Werte des Respekts füreinander getragen, die über die Religionen hinausgehen. Ein weiteres Element, das den interreligiösen Dialog fördert, ist die Königsfamilie. Ihre Abstammung von der Familie des Propheten Mohammed hat ihnen Legitimität verliehen, im Namen der Muslime zu sprechen. Auf diese Weise hat Jordanien zwei wichtige Dokumente für den interreligiösen Dialog hervorgebracht: die "Botschaft von Amman" und "Ein gemeinsames Wort".



Hattar: Im Libanon oder Syrien haben die Ortskirchen nach der islamischen Expansion begonnen, Arabisch zu sprechen. Dasselbe gilt für Ägypten und für den Irak. In Jordanien gab es schon am Pfingsttag Araber, wie es in der Bibel heißt. Das vorislamische Arabien reichte bis Petra und weiter. Seine Bewohner haben sich zum Christentum bekehrt. Wenn Sie einen christlichen Jordanier fragen, fühlt er sich genauso arabisch, genauso beduinisch wie die anderen. Christen haben sich nie als Außenseiter in der jordanischen Gesellschaft gefühlt. Sie mussten nie Zuflucht in einer anderen Identität suchen, wie andere im Nahen Osten, die sich als Phönizier, Kopten etc. bezeichneten.



KNA: Heute besteht die jordanische Gesellschaft zu 60 Prozent aus Palästinensern.



Amer: Heute haben nur 30 Prozent der Bevölkerung ihre Wurzeln hier. Wenn es uns also nicht gelingt, ein Zusammenleben zu schaffen, können wir es nicht schaffen.



Hattar: 1990 betrug Jordaniens Bevölkerung 3,5 Millionen Menschen. Nach dem ersten Golfkrieg flüchteten 1,5 Millionen Menschen hierher. Der zweite Golfkrieg 2000 brachte eine weitere Million. Die Konflikte in der Region haben palästinensische, sudanesische und libanesische Flüchtlinge hervorgebracht. Heute leben 11 Millionen Menschen aus 52 Nationen in Jordanien.



KNA: Was bedeutet das für den Dialog?



Hattar: Das bedeutet, dass wir nun mit Religionen umgehen müssen, von denen wir noch nie etwas gehört haben. Wir sind es nicht gewohnt, mit Menschen umzugehen, die weder Christen noch Muslime sind. Es gibt einen Mangel an Wissen über diese Vielfalt. Wie lebt man mit diesen Menschen, wie beten sie, wer ist ihr Gott? Diese Fragen wurden zu Herausforderungen für eine von Grund auf sehr einheitliche Gesellschaft.



KNA: Gewinnen extremistische Ideen in Jordanien an Boden?



Hattar: Das ist unvermeidlich. Wir sprechen über den Aufstieg des "Islamischen Staates", den Krieg im Irak und die Reaktion vieler Muslime auf das, was in Jerusalem passiert. Sie haben den Eindruck einer von der westlichen Welt verursachten Ungerechtigkeit, aufgrund von Entscheidungen, die von den mächtigsten Ländern getroffen und durchgesetzt werden. Das Christentum wird leider als eine Erweiterung dieser Macht gesehen. Wir kommen auf das Narrativ der Kreuzzüge zurück, die gegen die Muslime gerichtet waren. Auch die westliche Welt ist in diese Rhetorik eingetaucht. Als George Bush den Irak angriff, sprach er von "Kreuzzügen".



KNA: Fragen westliche Länder Sie, wie man interreligiösen Dialog führt?



Hattar: Das hätte ich gerne! Die arabischen Christen sind die Brücke zwischen Ost und West. In Europa zu leben bedeutet manchmal, im 11. Jahrhundert stecken geblieben zu sein. Die Haltung ist immer noch die des Kolonialismus. Und es gibt eine Schizophrenie in Europa: Leute behaupten, katholisch zu sein - aber wenn es darum geht, seinen Feind zu lieben und Flüchtlinge aufzunehmen, kneifen sie. Diese Politik des doppelten Standards versuchen wir zu demontieren, indem wir den Menschen wieder in den Mittelpunkt stellen. (KNA)