Wahhabiten und Salafisten: Gleiche Basis, unterschiedliche Mittel

Wahhabismus und Salafismus werden oftmals im gleichen Atemzug genannt. Doch in einigen Punkten unterscheiden sich die ultra-orthodoxen Glaubensströmungen voneinander, meint der Islamwissenschaftler Mohammad Gharaibeh.

Von Mohammad Gharaibeh

Der einzig wahre Glauben ist der Islam aus der Zeit des Propheten Mohammed (570-632) - darin sind sich Wahhabismus und der Salafismus einig. Ausschließlich der Koran, die überlieferten Handlungen und Aussagen Mohammeds, die sogenannten Hadithe, sind für beide sunnitischen Strömungen Maßstab in Religion und Gesellschaft. Aber diese gemeinsame Basis gab es anfänglich nicht.

Entgegen ihres heutigen Rufs waren die Salafisten zunächst toleranter als die Wahhabiten. Sie verteufelten nicht Heiligenverehrung oder Gräberkult - beides ist in vielen muslimischen Ländern weit verbreitet. Als Gegenreaktion auf Europas Kolonialisierung des Nahen und Mittleren Ostens, wollten die Salafisten möglichst viele Anhänger gewinnen und stellten sich folglich nicht gegen die Massen. Sie appellierten an das "islamische Bewußtsein" der Menschen, sahen die Lösung politischer und gesellschaftlicher Probleme in der Rückkehr zu einem idealisierten Ur-Islam der islamischen Frühzeit.

Flucht vor staatlichen Repressionen

Als jedoch immer mehr Salafisten, wie etwa die Muslimbrüder, von vielen - meist sozialistischen - Herrschern verfolgt wurden, flohen sie nach Saudi-Arabien, wo der Wahhabismus Staatsreligion ist. Dort wurden sie ins staatliche Religionssystem aufgenommen und es kam zu einer starken ideologischen Überschneidung, Vermischung und gegenseitigen Beeinflussung der Glaubensströmungen.

Die Prophet Mohammad-Moschee in Medina, Saudi Arabien; Foto: Mahmud Hams/AFP/Getty Images
In Medina beeinflußten sich Wahhabismus und Salafismus gegenseitig. Dabei spielte die Islamische Universität in Medina (gegründet 1961) eine entscheidende Rolle. Sie vergab staatliche Stipendien an Ausländer, die in Saudi-Arabien islamische Theologie studieren wollten.

Am deutlichsten lässt sich dieser Prozess an drei einflussreichen Gelehrten veranschaulichen: Die beiden saudischen Gelehrten ʿAbd al-ʿAzīz Ibn Bāz (gestorben 1999) und Muḥammad al-ʿUṯaymīn (gestorben 2001), sowie der aus Albanien stammende Muḥammad Nāṣir ad-Dīn al-Albānī (gestorben 1999).

Die ersten beiden Gelehrten überwanden durch ihr Studium unter anderem bei ausländischen salafitischen Gelehrten in Saudi-Arabien die strenge Bindung der frühen wahhabitischen Bewegung an die hanbalitische Rechtsschule. Ibn Bāz und Ibn ʿUṯaymīn stützten sich im Folgenden in Rechtsfragen allein auf die Autorität des Hadith. Dieser Prozess wurde vom dritten Gelehrten, al-Albānī, teils mit angestoßen, der für einige Jahre in Saudi-Arabien lebte und engen Kontakt zu Ibn Bāz und Ibn ʿUṯaymīn pflegte. Al-Albānī wiederum näherte sich in Glaubensfragen den Positionen der Wahhabiten an.

Über die Grenzen Saudi-Arabiens hinweg

Alle drei Gelehrten beeinflussten insbesondere seit den 1960er Jahren weitere Studenten und Gelehrte. Dabei spielte die Islamische Universität in Medina (gegründet 1961) eine entscheidende Rolle. Sie vergab staatliche Stipendien an Ausländer, die in Saudi-Arabien islamische Theologie studieren wollten. Der damalige Direktor der Universität in Medina war Ibn Bāz und al-Albānī unterrichtete dort das Fach der Hadith-Wissenschaft.

Diese Entwicklung wirkte in zwei Richtungen. Zum einem bildete sich ein neuer Salafismus, der teilweise die Ideen des Wahhabismus, jedoch auch die politischen Ziele des frühen Salafismus in sich aufnahm. Zum anderen veränderte sich auch der Wahhabismus. Er stand zwar immer noch treu zum Königshaus der Al Saud, übernahm aber im Bereich der Rechtswissenschaften salafitische Ideen. Jetzt waren die Wahhabiten auch darauf bedacht, ihre Ideen über die Grenzen Saudi-Arabiens hinaus zu verbreiten.

Salafisten demonstrieren in Kairo, 1. März 2013; Foto: AFP/Getty Images
Salafist ist nicht gleich Salafist: Mohammad Gharaibeh rechnet die heutigen Salafisten drei unterschiedlichen Strömungen zu: den unpolitischen Puristen, den moderaten poltischen Salafisten und den gewaltbereiten dschihadistischen Salafisten.

Salafist ist nicht gleich Salafist

Um zwischen dem heutigen Salafismus und dem Wahhabismus unterscheiden zu können, muss man zunächst die drei Strömungen des heutigen Salafismus betrachten:

1. Puristen, welche allein auf die Vermittlung des "wahren" Islam bedacht sind und dabei keine politischen Ziele verfolgen. Sie lehnen die Anwendung von Gewalt ab.

2. Politische Salafisten, welche die Errichtung einer gottgefälligen Gesellschaftsordnung durch Einführung eines islamischen Staats anstreben.

3. Dschihadistische Salafisten, welche den islamischen Gottesstaat unter Anwendung von Waffengewalt durchsetzen wollen. Sie sind in der klaren Minderheit.

Wahhabiten kann man in der Regel nur der ersten Gruppe zurechnen. Es ist ein offensichtlicher Unterschied zwischen Wahhabiten und Salafisten, dass Wahhabiten loyal zum Königshaus der Al Saud stehen. Salafisten dagegen wollen einen islamischen Staat - ohne weltliche Macht wie etwa eine Monarchie.

Dennoch werden die Begriffe Wahhabismus und Salafismus oftmals synonym benutzt. Was einer genauen Betrachtung jedoch nicht Stand hält. Zwar berufen sich beide - nicht zuletzt wegen gegenseitigen Beeinflussung - auf nahezu identische Glaubensgrundsätze, unterscheiden sich aber in ihren Methoden.

Dr. Mohammad Gharaibeh ist Islamwissenschaftler an der Universität in Bonn. Er studierte in Bonn und Damaskus, forscht unter anderem zum Wahhabismus und reiste im Rahmen seiner Dissertation nach Saudi-Arabien.

Mohammad Gharaibeh

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