"Wir können Konflikte lösen"

Die Kenianerin Dekha Ibrahim Abdi bemüht sich seit langem um eine Friedenslösung zwischen den Konfliktparteien in ihrer Heimat auf lokaler und nationaler Ebene. Für ihr Engagement wurde sie 2007 mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Claudia Mende traf die Mediatorin in München.

Bild Dekha Ibrahim Abdi; Foto: Right Livelihood Award
Die Arbeit als Konfliktvermittlerin erfordert unendlich viel Geduld und große innere Stärke von Dekha Ibrahim Abdi.

​​Als Dekha Ibrahim Abdi die Turnhalle der Salvator-Realschule für Mädchen in München betritt, kehrt schlagartig Ruhe ein.

Die pubertierenden 16-jährigen Mädchen aus den neunten und zehnten Klassen können sich ihrer Ausstrahlung nicht entziehen. Ihr Kopftuch rahmt das schwarze Gesicht ein, das bodenlange Kleid ist farblich abgestimmt. Ihre dunklen Augen strahlen Ruhe und Entschlossenheit aus.

Die Kenianerin ist gekommen, um auf Einladung der Organisation "Nord Süd Forum" den Münchner Schülerinnen von ihrer Arbeit als Friedensstifterin zu berichten. Denn Menschen können Konflikte lösen, auch wenn es manchmal ausweglos erscheint, so ihre Botschaft.

Dekha Ibrahim Abdi ergreift das Mikrofon und erzählt mit klarer Stimme, wie sie mit einfachen Methoden zwischen Menschen vermittelt, die sonst in ihrer Wut irgendwann zu den Waffen greifen.

Was Gewalt bedeutet, weiß Abdi aus eigener Erfahrung. Sie wurde 1964 im Wajir-Distrikt im Nordosten Kenias an der Grenze zu Somalia geboren. Ethnisch gesehen ist sie eine Somali.

In der nomadischen Gesellschaft Somalias haben Frauen traditionell eine starke Stellung. "In dieser unwirtlichen Gegend tragen Frauen seit jeher zum Unterhalt der Familien bei", sagt die Kenianerin.

Aufwachsen im Ausnahmezustand

Der Distrikt Wajir ist eine unruhige Gegend, fernab von den prominenten Konfliktherden der Welt. Bis 1990 herrschte ein Ausnahmezustand, weil somalische Rebellen für den Anschluss der Provinz an Somalia kämpften.

Die kenianische Regierung zwang die Bevölkerung in bewachte Dörfer. Es gab immer wieder bewaffnete Überfälle zwischen verfeindeten Clans. Bis heute kommt es in der bitterarmen Gegend zu Konflikten um Wasserstellen, zu Viehdiebstahl und Familienfehden.

Abdi wurde Lehrerin an einer Mädchenschule und erlebte, dass manchmal Kinder auf dem Weg in die Schule getötet wurden. Als 1991 ihre erste Tochter zur Welt kam, beschloss sie etwas gegen die Gewalt zu unternehmen.

"Ich werde nie vergessen, was meine Mutter mir damals sagte", erzählt sie. "Als du zur Welt kamst, musste ich dich schützen und jetzt musst du genauso um deine eigene Tochter fürchten. Hört das denn nie auf?"

Verhandeln mit den Clan-Ältesten

Mit drei weiteren Frauen begann Abdi, die Probleme im Distrikt zu besprechen. Reibereien auf dem Markt, Probleme in der Schule, Auseinandersetzungen zwischen Familien, kein Konflikt war unbedeutend.

Die Frauen brachten die verfeindeten Parteien zusammen, man stritt, tobte, schrie, redete stundenlang und konnte auf diese Weise viele Probleme auf ein menschliches Maß reduzieren. "Die Menschen müssen ihren Zorn und ihren Ärger loswerden können, erst danach ist eine Verständigung möglich", meint Abdi. Das war der Beginn einer Karriere als Mediatorin und Friedensstifterin.

Die Frauen waren so geschickt, ihre Arbeit nicht als Frauengruppe zu deklarieren, sondern auch Männer mit ins Boot zu nehmen. "Bei uns an der muslimisch geprägten Küste Kenias muss man hinter den Kulissen arbeiten", betont Abdi. Die Frauen verhandeln mit Clan-Ältesten, Behörden, einflussreichen Geschäftsleuten und Politikern.

Kenianer diskutieren in einem Park; Foto: AP
Für eine Lösung ist es entscheidend, dass die Konfliktparteien im Gespräch bleiben und sich austauschen.

​​ "Es ist relativ leicht, die Anerkennung der religiösen Führer und der Clan-Ältesten zu bekommen", sagt sie und fügt mit einem verschmitzten Lächeln hinzu: "Ich akzeptiere ihre Spielregeln. Sie vergessen dann, dass ich eine Frau bin und sehen mich nur noch in meiner Funktion."

Schwieriger sei es mit Geschäftsleuten und Politikern. "Sie sind nicht am Gemeinwohl interessiert. Wenn man ihre Interessen berührt, dann kommen sie einem in die Quere", so Abdi. Ihre Arbeit erfordert unendliche Geduld und große innere Stärke. "Man darf niemanden verurteilen. Sonst geht es nicht."

Heute lebt Dekha Ibrahim Abdi mit ihrem Mann, einem Augenarzt, und ihren vier Kindern in der Hafenstadt Mombasa. Sie arbeitet als Beraterin für Hilfsorganisationen, aber ihre Mission bleibt die Konfliktlösung.

Inzwischen ist ihre Arbeit auch von der kenianischen Regierung anerkannt. 2006 wurde sie gebeten, im Rift Valley zu vermitteln. 2007 erhielt sie den alternativen Nobelpreis.

Über Kenia hinaus werden heute auch in Somalia und Äthiopien Konflikte nach ihrem Modell bearbeitet. In Afghanistan arbeitet ein früherer Studienkollege, Mohammed Suleman, in der Region Kunduz mit dem Konzept der Dialog-Foren. Dort greifen sie unter dem Namen "Peace Shuras" das islamische Prinzip der Dorfversammlungen auf.

Friedensstiftung auf nationaler Ebene

Das Jahr 2008 brachte Dekha Ibrahim Abdi an die Grenzen ihrer Kraft. Im Januar brachen in Kenia nach den Präsidentschaftswahlen Unruhen aus. Amtsinhaber Kibaki hatte sich gleich am Wahlabend zum Sieger erklärt, das machte die Menschen misstrauisch. Herausforderer Raile Odinga reklamierte den Wahlsieg ebenfalls für sich. Der Konflikt entlud sich entlang ethnischer Linien.

Die resolute Friedensstifterin war zum ersten Mal auf nationaler Ebene gefragt. Vier Monate lang hat sie in drei Distrikten von Nairobi Dialog-Foren aufgebaut, in denen Menschen zusammen kamen, um anstehende Probleme zu besprechen: niedergebrannte Häuser, Plünderungen, leere Geschäfte.

Unruhen im Kibera Slum in Nairobi 2008; Foto: AP
2008 brachen nach den Wahlen Unruhen in Kenia aus. Dekha Ibrahim Abdi vermittelte damals auf nationaler Ebene.

​​ Bei den Unruhen in Kenia kamen 1.300 Menschen ums Leben, 350.000 wurden vertrieben.

Am 28. Februar wurde Oppositionsführer Odinga an der Macht beteiligt, die Situation beruhigte sich. Christliche und islamische Würdenträger riefen plündernde Jugendliche dazu auf, ihre Beute innerhalb von sieben Tagen zurück zu geben. Abdi blieb insgesamt vier Monate in Nairobi und sah ihre Familie nur am Wochenende.

"Nach dieser Anstrengung war ich ausgebrannt und musste dringend meine Batterien wieder aufladen", berichtet sie. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Bruder fuhr sie im September und Oktober zur Pilgerfahrt nach Mekka.

Auch im Alltag braucht sie ihre regelmäßigen Gebete als Kraftquelle. "Nur wer mit sich selbst im Reinen ist, kann Frieden stiften", betont sie. Wenn Abdi wieder einmal von ihrer Arbeit erschöpft ist, geht sie zum Schwimmen in den Indischen Ozean. "Ich übergebe den ganzen Stress dem Meer. Dann geht es wieder weiter."

Claudia Mende

© Qantara.de 2009

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Dekha Ibrahim Abdi auf der Webseite des Alternativen Nobelpreises