Ohrfeige für die Demokratiebewegung

Während sich Kirchenführer hinter das Assad-Regime stellen, streiten die Christen in der syrischen Protestbewegung für den demokratischen Wandel. Mit der Übernahme von Propaganda-Parolen des Regimes bringen sich die Kirchenvertreter in eine zunehmend schwierige Lage. Von Claudia Mende

Syriens Kirchen haben sich in offiziellen Stellungnahmen ihrer Vertreter bisher hinter das Regime von Bashar al-Assad gestellt. In Interviews mit europäischen Medien bekundeten die Bischöfe ihre Sympathie für die Regierung und äußerten wenig Verständnis für die Motive der Protestbewegung.

"Was in Syrien in den letzten Wochen passiert, ist eine Verschwörung, die ausländische Kräfte ausgeheckt haben", sagte Elias Tabe, der syrisch-katholische Bischof von Damaskus, gegenüber der italienischen Nachrichtenagentur SIR, "ein neo-kolonialistischer Versuch von islamischen Fundamentalisten, Wahabiten aus Saudi-Arabien und aus Qatar."

Ähnlich äußerte sich der syrisch-katholische Bischof von Aleppo, Antoine Audo, in einem Interview für die Zeitschrift der englischen Organisation "Aid to the Church in Need": "Die Fanatiker (d.h. die Protestbewegung, Anmerkung der Redaktion) sprechen über Freiheit und Demokratie für Syrien, aber das ist nicht ihr Ziel. Sie wollen die arabischen Staaten spalten, ihr Öl kontrollieren und Waffen verkaufen. Sie suchen Destabilisierung und Islamisierung. Syrien muss widerstehen und wird ihnen widerstehen. 80 Prozent der Bevölkerung steht hinter der Regierung, vor allem aber alle Christen."

Furcht vor dem Sturz des Assad-Regimes

Hafez al-Assad; Foto: AP
Autoritäre Herrschaft durch Inklusion: Die Assads haben sich nach der Machtübernahme von Hafez al-Assad im Jahr 1970 die christliche Minderheit gezielt als Unterstützer mit ins Boot geholt.

​​Die Kirchenvertreter sehen durchaus den Bedarf von Reformen, sie befürchten aber den Sturz des Regimes. Denn Syrien mit seiner säkularen Verfassung hat eine Religionsfreiheit gewährt, die es sonst so im Nahen Osten nicht gibt. Die Assads haben sich nach der Machtübernahme von Hafez al-Assad im Jahr 1970 die christliche Minderheit gezielt als Unterstützer mit ins Boot geholt.

Die Tradition des toleranten Zusammenlebens in Syrien ist aber viel älter als das Regime der Baath-Partei. Am Arbeitsplatz und im Geschäftsleben sind Christen voll integriert und das Regime hat immer darüber gewacht, dass es keine religiöse Diskriminierung gibt.

Nach einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zur Lage der christlichen Minderheit in Syrien sind viele hochrangige Berater von Präsident Assad Christen. Manche Bischöfe haben direkten Zugang zum Präsidenten. "Die christlichen Kirchen sind gekauft worden und haben sich kaufen lassen", kritisiert Otmar Oehring, Menschenrechtsexperte des katholischen Hilfswerks "Missio" in Aachen. "Dass es so viele Tote gibt, blenden sie aus."

Otmar Oehring, Menschenrechtsexperte des katholischen Hilfswerks Missio; Foto: © Missio
Otmar Oehring: "Die christlichen Kirchen sind gekauft worden und haben sich kaufen lassen. Dass es so viele Tote gibt, blenden sie aus."

​​Sie haben Angst, ob das syrische Toleranzmodell nach Assad noch Bestand haben wird. Vielen Syrern steckt noch in den Knochen, wie der Irak nach dem Sturz von Saddam Hussein im Bürgerkrieg versunken ist.

Deshalb halten sie nach wie vor an der Unterstützung für das Regime fest. Sie befürchten Chaos und Gewalt und ein Ende des säkularen Staates, der die Rechte der Minderheiten garantiert. Diese Angst wird vom Regime gezielt instrumentalisiert. Ohne uns regieren Salafisten und radikale Islamisten wird das Regime nicht müde zu betonen.

Dabei gibt es innerhalb der Opposition derzeit niemanden, der sich die Abschaffung der säkularen Verfassung auf die Fahnen geschrieben hätte. "Alle Oppositionsgruppen fordern eine pluralistische Demokratie", sagt der Syrien-Experte Heiko Wimmen von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin." Ob man es allen abkauft, ist die andere Frage." Wimmen meint damit aber nicht nur die Muslimbrüder sondern auch einige linke Gruppierungen ohne demokratische Tradition.

Christen in der Protestbewegung

Nicht alle Christen können den Kirchenleitungen mit ihrer Einschätzung folgen. Auch wenn Berichte aus Syrien mit Vorsicht zu genießen sind, sind definitiv auch Christen an den Volksprotesten beteiligt und riskieren wie ihre muslimischen Mitbürger dabei ihr Leben. Für sie sind die Äußerungen der Bischöfe eine Ohrfeige.

Christen sollen während der Demonstrationen in Daraa verletzten muslimischen Demonstranten Zuflucht in ihren Kirchen gewährt haben, berichtet der syrische Internet-Aktivist Ahed al-Hendi, der in Kanada den Blog www.cyberdissidents.org betreibt und Mitglied im Führungsgremium der syrischen Opposition ist, das beim Treffen im türkischen Antalya gewählt wurde.

Michel Kilo; Foto: dpa
"Das Regime muss verschwinden und durch ein demokratisches System ersetzt werden": Michel Kilo, syrischer Journalist und Dissident, war drei Jahre lang aus politischen Gründen in Syrien inhaftiert.

​​Auch in der mittelsyrischen Stadt Homs waren wohl Christen unter den Protestierenden, wobei einige getötet wurden. Al Jazeera zeigte Bilder von assyrischen Christen, die sich in der Kurdenhochburg Qamishli an Anti-Assad-Protesten beteiligt haben. Führende syrische Dissidenten wie der Journalist Michel Kilo oder der Anwalt Anwar al-Bunni stammen aus christlichen Familien, genauso wie auch Alawiten wie Aref Dalila prominent in der Oppositionsbewegung aktiv sind.

"Augen zu und durch"

Die Haltung der Kirchenleitungen ist auf Dauer sehr heikel. Nach dem Motto "Augen zu und durch" setzen sie darauf, dass sich das Assad-Regime trotz wachsender Proteste weiter hält. Die Regimetreue hat eine lange Tradition bei den orientalischen Kirchen. In Ägypten hatte sich der koptische Patriarch Shenuda III noch hinter Mubarak gestellt, als die Demonstranten auf dem Tahrirplatz schon tagelang seinen Rücktritt forderten.

Die syrischen Kirchen riskieren mit ihrer Haltung, nach einem möglichen Ende des Baath-Regimes den Zorn der benachteiligten sunnitischen Massen auf sich zu ziehen, meint Otmar Oehring. Bisher gebe es in Syrien keine anti-christliche Stimmungsmache, allerdings könnten ihre Regimetreue für die Kirchen "extrem gefährlich werden, wenn es tatsächlich zu einem Umbruch kommt".

Doch so wie sich in Ägypten koptische Intellektuelle an der Protestbewegung beteiligten, ist auch die Position der syrischen Bischöfe nicht mehr unangefochten. Dissidenten, die den Weg zu einer modernen Bürgergesellschaft wollen, halten ihre Position für überholt. Ahed al-Hendi von den cyberdissidents, der selber Christ ist, sagt: "Christen haben in Syrien immer eine große Rolle gespielt, wenn es darum ging, politische Bewegungen hervorzurufen und Parteien zu gründen. Ich denke, ihre Wahl kann nichts anderes sein als Demokratie und Freiheit."

Claudia Mende

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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de