"Nafri"-Debatte nach Kölner Silvesternacht
In der weißen Blase

Die Kritik an rassistischen Polizeikontrollen sollte in Deutschland Bürgerpflicht sein. Stattdessen wird sie jetzt diffamiert. Ein Kommentar von Daniel Bax

Es ist erstaunlich: Da hat die deutsche Polizei erstmals ganz offiziell eingestanden, dass sie Menschen aufgrund ihrer vermuteten Herkunft gezielt aus der Menge herausgreift. Und per Twitter hat sie sogar stolz verkündet, dass sie diese "Polizeistrategie" in der Silvesternacht 2017 in Köln gleich massenhaft angewandt hat – eine "Strategie" wohlgemerkt, die den Grundwerten unserer Verfassung widerspricht.

Und was macht der größte Teil der deutschen Medien? Er freut sich darüber, dass in der Silvesternacht angeblich "nichts passiert" wäre. Das muss eine ziemlich weiße Blase sein, in der sehr viele Journalisten in Deutschland leben.

Natürlich gebührt der Stadt Köln und der Polizei Dank dafür, dass sie dafür gesorgt haben, dass so viele Menschen auf der Domplatte friedlich feiern konnten – im Unterschied zur Silvesternacht vor einem Jahr, wo sie mit dieser Aufgabe heillos überfordert war. Das ist ein Fortschritt, der sich nicht zuletzt einem deutlich größeren Polizeiaufgebot verdankt, das überfällig war.

"Racial Profiling"

Aber Ausweiskontrollen und andere Schikanen allein aufgrund der äußeren Erscheinung sind absolut rechtswidrig, wie auch das Bundesinnenministerium weiß. Für die Polizei heißt das konkret: Es spricht nichts dagegen, größere Gruppen junger Männer zu kontrollieren und in Schach zu halten, insbesondere wenn sie sich aggressiv verhalten. Es ist aber nicht akzeptabel, Menschen allein aufgrund ihrer Hautfarbe auszusondern und anders zu behandeln als andere. Auch Letzteres aber ist an Silvester in Köln offenbar im großen Stil geschehen, wenn man den Augenzeugenberichten von Kölner Stadtrevue, Neues Deutschland, taz und auf n-tv glaubt.

Man nennt dieses Vorgehen "Racial Profiling". Und obwohl es offiziell verboten ist, kennen viele Menschen mit dunkler Hautfarbe oder "südländischem Aussehen" diese Praxis der Polizei nur zu gut. Denn auf deutschen Bahnhöfen, Flughäfen und auf öffentlichen Plätzen stehen ihre Chancen, von der Polizei aufgehalten und kontrolliert zu werden, deutlich besser als die ihrer blonden und blauäugigen Altersgenossen.

Neu ist diese Form der Diskriminierung durch Polizeibeamte also nicht. Neu ist nur die Dimension, in der sie zu Silvester in Köln angewandt wurde, für alle sichtbar. Und neu ist auch die Selbstverständlichkeit, mit der Politiker und Journalisten nun erklären, diese Einschränkung ihrer Freiheitsrechte müssten sich all jene, die ins Vorurteilsraster der Polizei fallen, nun mal leider in Kauf nehmen, um unser aller Sicherheit zu gewährleisten.

Verkehrsminister Alexander Dobrindt; Foto: picture-alliance/dpa
Geschürte Ressentiments: Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ist für die Verwendung des umstrittenen Begriffs "Nafri" von der SPD und Opposition im Bundestag heftig kritisiert worden. Dobrindt sei "als Sicherheitspolitiker ein rassistischer Hetzer, für den alles Böse aus dem Ausland kommt und der abwertende Begriffe politisch hoffähig macht", erklärte Linken-Chefin Katja Kipping. Der Grünen-Politiker Volker Beck sagte, Dobrindt verwende Begriffe, die "herabwürdigend, beleidigend und ausgrenzend" wirkten - "ganz egal, ob sie ursprünglich als Abkürzung für etwas anderes gedacht waren oder nicht".

Da fragt man sich schon: Wessen Sicherheit ist damit bitte gemeint? Schließlich haben auch Menschen mit "nordafrikanischem Aussehen" ein Anrecht darauf, nicht von der Polizei belästigt und zu Unrecht verdächtigt zu werden, sondern unbeschwert zu feiern.

Diese Schludrigkeit, wenn es um die feine, aber entscheidende Linie zwischen berechtigten Sicherheitsinteressen und rassistischer Diskriminierung geht, verdeutlicht die Verwirrung um den Begriff "Nafri". Im Kölner Polizeijargon wird der Begriff bereits seit 2013 intern für "nordafrikanische Intensivtäter" verwendet – für jenes Milieu von Kleinkriminellen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, die als "Antänzer" und Taschendiebe seit längerer Zeit in der Kölner Innenstadt ihr Unwesen treiben.

Sie machten einen Teil jenes Mobs aus, von denen die Übergriffe der vergangenen Silvesternacht ausgingen. Und obwohl kein anderes Ereignis des vergangenen Jahres so oft medial durchleuchtet und offiziell untersucht wurde, ranken sich bis heute zahlreiche Mythen darum.

Deutschlands Vorzeige-Feministin Alice Schwarzer verbreitet bis heute haltlose Verschwörungstheorien dazu, die kaum jemand hinterfragt. Und die Vorstellung, bestimmte Formen der Kriminalität seien irgendwie kulturell bedingt, ist seitdem Allgemeingut geworden.

Warum nicht eine Ausgangssperre für Sachsen?

In ihrem umstrittenen Tweet, für den sich der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies zu Recht entschuldigt hat, verkündete die Kölner Polizei kurz vor Silvester stolz, sie überprüfe gerade mehrere "Hundert Nafris", die am Hauptbahnhof festgehalten würden. Da die Betroffenen gerade erst überprüft wurden, konnte die Polizei aber noch gar nicht wissen, ob es sich tatsächlich um Intensivtäter handelte.

Aber egal: Teile der Polizei halten "Nordafrikaner" offenbar bereits für eine ausreichend Täterbeschreibung, die eine diskriminierende Behandlung rechtfertigt, und große Teile der Presse geben ihr darin recht.

Grünen-Parteichefin Simone Peter; Foto: picture-alliance/dpa
In der Kritik: Grünen-Parteichefin Simone Peter hatte die Rechtmäßigkeit des Polizei-Einsatzes in der Kölner Silvesternacht moniert. Es stelle sich die Frage nach der Verhältnis- und Rechtmäßigkeit, wenn knapp 1.000 Menschen alleine aufgrund ihres Aussehens überprüft und teilweise festgesetzt wurden, sagte sie. Damit zog sie nicht nur den geballten Zorn der Union auf sich. Auch die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckhardt, und andere Parteikollegen positionierten sich deutlich vorsichtiger als Peter. Diese ruderte jüngst von ihrer Position zurück. "Das Großaufgebot der Polizei in Köln und anderen Städten hat Gewalt und Übergriffe in der vergangenen Silvesternacht deutlich begrenzt", sagte Peter.

Man vergleiche diese Haltung mit der Nachsicht gegenüber den allwöchentlichen Pegida-Demonstrationen in Dresden, aus deren Kreisen nicht nur erhebliche Straftaten, sondern unlängst sogar ein Bombenanschlag auf eine Moschee begangen wurde, bei dem nur durch Glück niemand verletzt wurde.

Das Versammlungsrecht des Pegida-Völkchens wird trotzdem nicht in Frage gestellt. Dabei könnte man ja auch mal den Pegida-Mob einkesseln und dessen Personalien einzeln überprüfen, bevor man ihn das nächste Mal auf die Straße lässt – oder eine Ausgangssperre über ganz Sachsen verhängen, warum nicht? Doch die gleichen Leute, die stets mahnen, man dürfe diese Bürger nicht ausgrenzen, sondern müsse ihren "Sorgen und Nöten" ernst nehmen, fordern nun mit Blick auf Köln, der Staat solle hier volle Härte zeigen.

Simone Peter mahnt zu Recht

Der allgemeine Rechtsruck in Deutschland zeigt sich nicht nur darin, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird, sondern auch in der Schärfe, mit der Grünen-Chefin Simone Peter abgekanzelt wurde, nur weil sie es wagte, die Verhältnis- und Rechtmäßigkeit des polizeilichen Vorgehens in Köln und anderswo in Frage zu stellen. Sogar in ihrer Partei steht sie damit jetzt alleine da – als sei man heute schon ein weltfremder Träumer, wenn man fordert, dass die Polizei das Grundgesetz ernst nimmt.

Die Kritik an rassistischen Polizeikontrollen sollte in Deutschland eigentlich Bürgerpflicht sein, nach Nazizeit und NSU-Affäre. Stattdessen wird sie diffamiert. SPD, Linke und Grüne sind auf dem Papier zwar strikt gegen „Racial Profiling“. Doch wenn es ernst wird, knicken sie vor dem populistischen Zeitgeist ein. Die Grünen wollten sogar mal Bürgerrechtspartei sein. Für "südländisch aussehende Personen" gilt das offenbar nicht mehr.

Daniel Bax

© Qantara.de 2017

Daniel Bax ist Inlandsredakteur der taz. Zu seinen Themenfeldern zählen u.a. Migration und Minderheiten, Politik und Popkultur. Sein Buch "Angst ums Abendland. Warum wir uns nicht vor Muslimen, sondern vor den Islamfeinden fürchten sollten" ist 2016 im Westend Verlag erschienen.

Die Redaktion empfiehlt

Leserkommentare zum Artikel: In der weißen Blase

Sehr geehrter Bax! Sie kann man wirklich langsam nicht mehr ernst nehmen. Ihre Political Correctness geht leider komplett an den Realitäten vorbei. Ja ja, die wollen alle nur spielen, diese Nafris (der Ausdruck stammt nicht von mir), das ist mir schon klar. Genau wegen des Verhaltens solcher Nafris habe ich vor gut zwei Jahren ein nordafrikanisches Land, in dem ich lange gelebt habe, verlassen. Ähnliches habe ich auch in anderen nordafrikanischen Ländern erlebt. Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten, mich jeden Tag mehrmals von solchen "Männern" auf eine Art behandeln zu lassen, die sich Frauen auf der Domplatte gerade einmal gefallen lassen mussten. Sie haben wirklich keinen blassen Schimmer und gehören einmal vier Wochen in eine Frau verwandelt und nach Nordafrika zwangsangesiedelt. Was auch immer die Polizei macht, ist falsch, wenn man Sie hört. Ich wünsche Ihnen deshalb auch, einmal vier Wochen als Polizist arbeiten zu müssen. Dann würden Sie vielleicht bald mal wieder klarer sehen... Ihre Vergleiche und Schlüsse sind einfach nur unglaublich und eine Beleidigung für die Polizei!

Ingrid Wecker05.01.2017 | 19:59 Uhr

Herr Bax, Danke für den guten Kommentar! Die Lust am Einknicken vor dem rechtspopulistischen Mob auf der Straße und in den Redaktionen ist beängstigend. Ja, die Polizei hat einen guten Job gemacht, indem sie Ereignisse wie 2015 verhindert hat. Kritik an ihren Methoden und Rhetorik muss in einem Rechtsstaat selbstverständlich sein, zumal der Polizeipräsident diesen Nafri-Rassismus bedauert hat.

Julia schapira 06.01.2017 | 12:34 Uhr

Was heißt denn "Nafri" nun? "Nordafrikaner" oder wie der Autor schreibt: " Im Kölner Polizeijargon wird der Begriff bereits seit 2013 intern für "nordafrikanische Intensivtäter" verwendet". Verzichtet man einmal auf eine genaue Definition des Wortes "Rassismus", dann könnte die erstgenannte Version in der Tat auf "racial profiling" hinweisen. Die zweite Version jedoch keineswegs, denn sie meint ausdrücklich nicht alle "Nordafrikaner", sondern eben nur solche, die Anlass für den Verdacht geben, es könne sich bei ihnen um Intensivtäter handeln. Um wirklich zu wissen, ob die Polizei "rassistisch" gehandelt hat oder nicht, müsste man z.B. wissen, ob sie nur junge Nordafrikaner aus der Unterschicht kontrolliert hat oder z.B. auch 60jährige Marokkaner mit Ehefrau oder jüngere nordafrikanische Paare mit kleinen Kindern oder z.B. auch 30jährige Nordafrikaner im Zweireiher und mit Diplomatenkoffer. Wenn sie nur Gruppen von scheinbar angetrunkenen Teens und Twens orientalischer Herkunft kontrolliert hat, handelt es sich offensichtlich um "social profiling"nicht aber um "racial profiling". Wenn es sich aber um "social profiling" als Ergebnis entsprechender Erkenntnisse der Polizei aus der Vergangenheit handelt, dann hat die Polizei, die ja kaum die nötige Mannschaftsstärke hat, um in Köln oder wo auch immer flächendeckend Jeden zu kontrollieren, offensichtlich das Gebotene getan. Dass genau das das Gebotene war, ist sehr wahrscheinlich, wenn man das Ergebnis vom letzten mit dem von diesem Jahr vergleicht.

Dr. A.Holberg09.01.2017 | 17:15 Uhr