Suche nach der besten der schlechten Optionen

Nach dem Ausscheiden der USA aus dem Atomabkommen wächst der Druck auf die Führung in Teheran. Welche Optionen bleiben ihr noch im eskalierenden Atomkonflikt? Antworten von Behrooz Bayat, ehemaliger Berater der Internationalen Atomenergiebehörde und Beobachter des iranischen Atomprogramms.

Von Behrooz Bayat

Zunächst zur Vorgeschichte: Beim sogenannten "Joint Comprehensive Plan of Action" (JCPOA) handelt sich um einen umfassenden Vertrag über die Beschränkung des Nuklearprogramms des Iran. Die Vertragspartner waren bisher die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates China, Russland, USA, Großbritannien, Frankreich plus Deutschland (EU3) und der EU auf der einen Seite und die Islamische Republik Iran auf der anderen Seite.

Nach mehr als einer Dekade währenden Verhandlungen sollte die angestrebte Vereinbarung aus der Sicht des Westens zwei Funktionen erfüllen: zum einen die umgehende Verhinderung der nuklearen Aufrüstung des Iran – der Vertragstext; und zum zweiten mittelfristig die Hoffnung, dass die Islamische Republik durch ökonomische Öffnung zum Westen die Feindschaft gegenüber den USA und Israel und damit einhergehend die Einmischung in Länder wie den Libanon, Syrien und den Irak einstellen oder zumindest graduell reduzieren würde – so der Vertragsgeist.

Aus der Sicht des iranischen Staatsoberhaupts Ayatollah Ali Khamenei sollte der JCPOA lediglich dazu beitragen, die gegen den Iran verhängten Sanktionen vollständig aufzuheben – ohne Rückwirkung auf seine sonstige Politik.

Das Abkommen hatte allerdings von Anfang an mächtige Gegner in den USA und unter deren Verbündeten – Israel und Saudi-Arabien – und ebenso im Iran. Und Donald Trump hatte das Atomabkommen mit dem Iran bereits im US-Wahlkampf in diametraler Ablehnung der Obama-Politik ausgeschlachtet und sie als "schlechtesten Vertrag der US-Geschichte" denunziert. Als Präsident musste er dann liefern.

Das faktische Resultat war, dass zwar die Sekundärsanktionen, die von der EU verhängt worden waren, formell aufgehoben wurden, aber durch eine gezielte Verunsicherung seitens der Trump-Administration die großen Banken und Konzerne davon abgehalten wurden, sich ernsthaft im Iran zu engagieren.

Was das Atomabkommen bisher gebracht hat

Der JCPOA hat alle denkbaren Wege der Islamischen Republik zur nuklearen Bewaffnung versperrt, die Entstehung eines neuen Krieges unterbunden, den freien Fall der iranischen Wirtschaft ausgebremst und verhindert, dass der Mittlere Osten noch weiter im Chaos versinkt.

Irans Präsident Rohani und Russlands Staatschef Wladimir Putin; Foto: dpa/picture-alliance
Die Eurasische Wirtschaftsunion aus Russland, Kasachstan, Weißrussland, Armenien und Kirgistan wolle kommende Woche einen Freihandelspakt mit dem Iran abschließen, erklärte Juri Uschakow, ein außenpolitischer Berater des Kreml. Dies sei schon länger geplant gewesen und überschneide sich nun zufällig zeitlich mit Trumps Entscheidung.

Das Abkommen hat aber nicht vermocht, die konfrontative Politik des iranischen Regimes gegenüber den USA und Israel zu besänftigen – ein Zustand, der von dem noch despotischeren Regime von Saudi-Arabien ausgenutzt wurde, um Stellvertreterkriege zu entfachen.

Der Nukleardisput ist jedoch nur ein Aspekt eines umfassenderen Dissenses zwischen dem Iran und den USA sowie Israel. Diese Animosität ist zur Legitimationsbasis und zum ideologischen Kitt, ja zur Raison d’etre der Islamischen Republik mutiert.

Trotz mehrfach von der IAEA bestätigter Vertragstreue des Iran bricht Donald Trump die Vereinbarung nun einseitig und fordert ultimativ, dass die folgenden Klauseln im JCPOA geändert werden müssten:

1. Die sogenannte "Sunset-Klausel", die beinhaltet, dass die Islamische Republik nach 8, 10, 15 und 25 Jahren eine Lockerung der Beschränkung ihres Nuklearprogramms erwarten kann. Trump fordert, dass die jetzige temporäre Beschränkung perpetuiert wird.

2. Die Internationale Atomenergie Behörde (IAEA) müsste jederzeit befugt sein, jegliche Einrichtungen im Iran inspizieren zu dürfen.

3. Die Islamische Republik sollte keine Möglichkeit besitzen, jemals atomare Aufrüstung zu betreiben

4. Der Iran sollte nicht in der Lage sein, ballistische Raketen großer Reichweite und/oder hierfür nukleare Träger zu entwickeln.

Die Erfüllung dieser Forderungen der USA – insbesondere der "Sunset-Klausel" – erfordert die erneute Verhandlung des JCPOA. Die übrigen Unterzeichner des Atomabkommens lehnen aber diese Forderungen aus folgenden Erwägungen ab:

1. Der Vertrag hat bereits die Gefahr einer atomaren Aufrüstung des Irans gebannt.

2. Im Hinblick auf die destabilisierende Wirkung, die ein Bruch des JCPOA im Mittleren Osten entfalten kann, fürchten sie Konsequenzen wie etwa eine neue Flüchtlingsbewegung.

3. Sie wollen nicht, dass ein mühsam ausgehandelter Vertrag über Bord geworfen und damit der Bruch der internationalen Vereinbarungen zum Normalfall wird.

Die Führung in Teheran hatte von Anfang an ein ambivalentes Verhältnis zum JCPOA. Denn schließlich musste sie auf zwei Dinge verzichten: das Nuklearprogramm als potenzielle Abschreckung und als "Quelle des Stolzes", ja ihrer Ehre. Auf der anderen Seite hat die erdrückende Wucht der Sanktionen die das Regime dazu gezwungen, eine "heldenhafte Flexibilität" an den Tag zu legen, um einen ökonomischen Kollaps zu verhindern.

Was kann der Iran tun?

Die Islamische Republik hat kaum Möglichkeiten aktiver und effektiver Gegenmaßnahmen, für eine passive Reaktion gibt es aber einige denkbare Optionen.

Verbrennung einer US-amerikanischen Flagge von Abgeordneten des iranischen Parlaments; Foto: picture-alliance/AP
Wasser auf die Mühlen der Hardliner

Option 1: Der Iran bleibt dem JCPOA verbunden. In diesem Fall wären die USA gewissermaßen diplomatisch und politisch isoliert. Die von den USA ausgehenden Sanktionen werden zwar aufrecht erhalten, aber die von der EU ausgeübten sekundären Sanktionen sowie die globalen Sanktionen des UN-Sicherheitsrates würden nicht mehr existieren.

Unter solchen Umständen bestünde - optimistisch betrachtet - die Möglichkeit, eine direkte Konfrontation zu vermeiden, um Zeit zu gewinnen und mit Deutschland, Frankreich und Großbritannien auf eine Lösung für die ballistischen Raketen sowie die Einmischungen des Iran in der Region hinzuarbeiten. Hier sind auch die Europäer gefordert, eine Situation zu schaffen, damit die iranische Wirtschaft nicht zerfällt.

Option 2: Der Iran würde sich auch aus dem JCPOA verabschieden und – wie bereits von Rohani indirekt angedroht – sein Nuklearprogramm reaktivieren oder gar intensivieren. Unter derartigen Umständen werden die Europäer zur Solidarität mit den USA gedrängt. Die Folge wären umfassende paralysierende Sanktionen mit oder ohne UN-Zustimmung und ein weiterer Niedergang der sich ohnehin in einer miserablen Verfassung befindlichen iranischen Wirtschaft. Da die Sanktionen zumeist die Bürger eines Landes treffen und nicht die Machthaber, eröffnet sich beim weiteren Beharren der Islamischen Republik die Perspektive eines Krieges.

Option 3: Einige Hardliner fordern, dass die Islamische Republik mit dem JCPOA auch den Vertrag über die Nicht-Verbreitung von Atomwaffen (NPT) kündigen solle. Dies wäre der von Nord-Korea beschrittene Weg. Auch wenn es völkerrechtlich zulässig ist, käme es in der heutigen Welt einer Kriegserklärung gleich. Ferner würde eine derartige Handlung die bisherigen Behauptungen über die Unvereinbarkeit des Islam mit Nuklearwaffen ad absurdum führen. Daher wäre es denkbar, dass der harte Kern des Regimes es auf einen begrenzten Krieg mit den USA ankommen lässt, um die trudelnde Macht der Mullahs wieder zu festigen – was dabei dem Land passiert, ist für sie zweitrangig.

Welche Motive hat die die Trump-Administration?

Bei der Proklamation seiner Position zum Atomabkommen konnte Donald Trump keinen wahrheitsgemäßen Beweis für den Bruch des JCPOA durch den Iran präsentieren. Über die Mängel des Atomabkommens hat er so gut wie kein wahres Wort gesagt. Er wollte also ein funktionierendes Instrument zerstören und hat damit den Pfad des Vandalismus betreten. Es fragt sich, was Trumps Motive sind – denn diese sind für den weiteren Verlauf der Auseinandersetzung relevant.

Option 1: Die USA halten den JCPOA tatsächlich für nicht ausreichend, um den Iran von der Entwicklung von Nuklearwaffen abzuhalten. Allerdings waren die diese Annahme betreffenden Erklärungen Trumps übertrieben, diffus und nicht den Fakten entsprechend. Daher ist so eine Annahme fern jeglicher Realität. Es ist nicht plausibel, sie als ein tatsächliches Motiv zu betrachten – sie wäre ein Vorwand zum Kaschieren einer anderen Absicht, nämlich eines "Regime Change".

Option 2: Die USA wollen im Einklang mit Israel und Saudi-Arabien darauf hinwirken, dass die Präsenz und der Einfluss der Islamischen Republik in der Region, insbesondere in Syrien, zurückgedrängt werden. Da erneute Sanktionen 90 bis 180 Tage Zeit benötigen, entsteht etwas Raum für europäische Initiativen. In diesem Zeitraum könnte die EU3 – insbesondere Frankreich – der Führung in Teheran Kompromisse abringen.

EU-Außenbeauftragte Mogherini und Irans Außenminister Zarif auf einem Treffen am Rande einer UN-Hauptversammlung im Jahr  2016; Foto: dpa/picture-alliance
Europa als Hoffnungsträger für Irans Führung? "Wenn die Islamische Republik dem JCPOA verbunden bleibt, wären die USA gewissermaßen diplomatisch und politisch isoliert. Die von den USA ausgehenden Sanktionen werden zwar aufrecht erhalten, aber die von der EU ausgeübten sekundären Sanktionen sowie die globalen Sanktionen des UN-Sicherheitsrates würden nicht mehr existieren", so Iran-Experte Behrooz Bayat. Die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) hatte erst jüngst wieder der Islamischen Republik bescheinigt, dass das Land unverändert alle Auflagen des Atom-Abkommens erfüllt. Der Iran unterliege dem robustesten Atom-Kontrollregime der Welt, erklärte IAEA-Chef Yukiya Amano.

Option 3: Präsident Trump hat aus innenpolitischer Erwägung – wie auch von Emanuel Macron beiläufig angedeutet – Interesse daran, den Konflikt mit der Islamischen Republik zu eskalieren. Betrachtet man die US-Innenpolitik, könnte man vermuten, dass ein Abenteuer im Ausland namentlich gegen ein als verhasst proklamiertes Regime als Rettungsanker dienen könnte.

Auswirkungen auf die iranische Gesellschaft

Die Islamische Republik steht vor einem ökonomischen, gesellschaftlichen, ökologischen und politischen Scherbenhaufen ihrer diktatorischen und ineffizienten Herrschaft. Das Regime hat außer Repression keine Mittel mehr zur Verfügung, um das Problem der protestierenden Bürger zu lösen. Das Land befindet sich auf allen Ebenen an der Schwelle des Aufruhrs, zuletzt manifestiert durch die landesweiten Proteste im Dezember 2017. Unter dem Druck der unzufriedenen Bürger und bisweilen rebellischen Jugend hat sich ein Horizont eröffnet, der mittelfristig zu demokratischen Veränderungen und zur Überwindung der islamischen Herrschaft führen könnte.

Eine extern verursachte, zusätzliche Belastung durch die Aufkündigung des JCPOA bedeutet nicht nur eine weitere ökonomische Härte für die Bürger, sondern ist auch ein Desaster für die frisch aufkeimende demokratische Bewegung im Lande. Die Geschichte hat gezeigt, dass äußere Bedrohungen diktatorischen Regimes Vorwand und Rechtfertigung dafür liefern, die innere Opposition zu zerschlagen – Ayatollah Ruhollah Khomeini missbrauchte den irakischen Überfall zu diesem Zwecke und bezeichnete ihn deshalb auch als "ein Geschenk Gottes".

Kurzum: Dass Donald Trump sich vom Atomabkommen verabschiedet hat, ist auf alle Fälle schlecht, ja sogar katastrophal für die Bürger Irans. Dem kann die Islamische Republik nichts Aktives und Effektives entgegensetzen. Nur das Verbleiben im JCPOA könnte die Möglichkeit bieten, die EU3 und damit die EU im Boot zu halten – in der Hoffnung, einen friedlichen Kompromiss herbeizuführen. Die Bereitschaft des Regimes zu einer umfassenden Entspannung, ja einem Paradigmenwechsel - zumindest in ihre Außenpolitik -, und die Ernsthaftigkeit der EU3 sind dabei von eminenter Bedeutung.

Behrooz Bayat

© Iran Journal 2018

Dr. Behrooz Bayat, geboren im Iran, studierte Physik an den Universitäten Teheran, Frankfurt am Main und Marburg. Nach seiner Promotion und verschiedenen Forschungstätigkeiten arbeitete er unter anderem als freiberuflicher Berater für die Internationale Atomenergiebehörde in Wien. In seinen Publikationen setzt er sich u.a. mit der Nuklearpolitik des Iran auseinander.