Islamfeindlichkeit
Rassismus unter dem Deckmantel der Religionskritik

Der Trend zur Ethnisierung der Religionszugehörigkeit und religiösen Aufladung ethnischer Zuordnungen hat zur Folge, dass das Muslim-Sein und das Deutsch-Sein zunehmend als Antagonismus angesehen wird. Von Yasemin Shooman

Am 14.3.2018 gab der Zentralrat der Muslime in Deutschland bekannt, seine Geschäftsstelle nach wiederholten Morddrohungen gegen den Vorsitzenden Aiman Mazyek und weitere Mitarbeiter zu schließen. Diese Nachricht ist nur die Spitze des Eisberges einer Serie von Übergriffen auf Muslime und ihre Gotteshäuser. Allein im Jahr 2016 zählten die deutschen Behörden 91 Angriffe auf Moscheen – also mehr als einen pro Woche.

Auch wenn die meisten dokumentierten antimuslimischen Straftaten von Rechtsextremen verübt werden, so sind ablehnende und abwertende Haltungen gegenüber Islam und Muslimen ein weitverbreitetes Phänomen, nicht nur in Deutschland, sondern in allen europäischen Ländern.

Dies belegen einerseits Analysen des politischen und medialen Diskurses, aber auch zahlreiche repräsentative Studien, die seit einigen Jahren Meinungen in der Bevölkerung abfragen. Rund 60 Prozent der Deutschen stimmen beispielsweise der Vorstellung zu, der Islam passe nicht in die westliche Welt[1], und 38 Prozent finden, wer ein Kopftuch trägt, könne nicht deutsch sein.[2] 2016 gab jeder Zweite an, sich durch Muslime "wie ein Fremder im eigenen Land" zu fühlen.[3]

Auch vor der sogenannten Flüchtlingskrise hat es diese Ressentiments gegeben. In einer Untersuchung von Andreas Zick und Beate Küpper von der Universität Bielefeld aus dem Jahr 2009 (veröffentlicht in 2011) befanden 44 Prozent der Befragten, dass zu viele Muslime in Deutschland leben.[4]

Für den europaweit erstarkten Rechtspopulismus besitzt die Islamfeindlichkeit eine hohe Bindekraft. Parteien wie die AfD, die Schwedendemokraten, der Front National in Frankreich, die FPÖ in Österreich, die SVP in der Schweiz, der Vlaams Belang in Belgien, die Freiheitspartei in den Niederlanden und die Lega Nord in Italien nutzen die Stimmung in der Bevölkerung, um sich und ihre Politik für die sogenannte Mitte der Gesellschaft anschlussfähig zu machen. Ihre Wahlerfolge zeugen davon, dass diese Strategie aufgeht. Die antimuslimische Rhetorik dient ihnen als Modernisierungsstrategie und hat die alte Parole "Ausländer raus" vielfach abgelöst. Muslime werden dabei zur "unintegrierbaren" Minderheit erklärt und als "Andere im Inneren" Europas exkludiert.

Rechtspopulisten demonstrieren vor dem Berliner Hauptbahnhof; Foto: picture-alliance/dpa
Stigmatisierung und Paradigmenwandel mit System: Die antimuslimische Rhetorik dient Europas Rechtspopulisten als Modernisierungsstrategie und hat die alte Parole "Ausländer raus" vielfach abgelöst. Muslime werden dabei zur "unintegrierbaren" Minderheit erklärt und als "Andere im Inneren" Europas exkludiert.

Ethnisierung der Religionszugehörigkeit

Der Fokus auf die Religionszugehörigkeit ist Resultat einer Wahrnehmungsverschiebung und einer Islamisierung der Debatten rund um die Themen Migration und Integration, infolge derer aus den Bevölkerungsgruppen, die vormals als Gastarbeiter oder Ausländer wahrgenommen wurden, zusehends Muslime geworden sind. Im Ergebnis wird die religiöse Zugehörigkeit ethnisiert, weshalb auch von einem antimuslimischen Rassismus gesprochen werden kann.

Die Rassismusforschung stimmt weitgehend darin überein, dass mit der steigenden Tabuisierung des "Rasse"-Begriffs in Europa infolge der nationalsozialistischen Verbrechen seine soziale Wirkmächtigkeit nicht nachgelassen hat. Sein ideologischer Gehalt wird stattdessen mittels anderer Begriffe und Codierungen weitertransportiert.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird daher eine zunehmende Verschiebung vom biologistisch argumentierenden Rassismus hin zu einem kulturell begründeten Rassismus konstatiert. Zu diesen Ausformungen gehört auch der antimuslimische Rassismus. Er basiert auf der Vorstellung von Muslimen als homogene Gruppe, der bestimmte (zumeist negative) Kollektiveigenschaften zugeschrieben werden und die als nicht zugehörig angesehen wird.

Von der Ausgrenzung betroffen sind nicht nur praktizierende Muslime, sondern auch Menschen, die aufgrund ihres Aussehens oder ihres Namens als Muslime "markiert" sind, unabhängig davon, ob sie sich selbst so identifizieren. Dieser Trend zur Ethnisierung der Religionszugehörigkeit und religiösen Aufladung ethnischer Zuordnungen hat zur Folge, dass das Muslim-Sein und das Deutsch-Sein zunehmend als Antagonismus angesehen wird.

Die Rolle der Religion im antimuslimischen Rassismus

Welchen Stellenwert nimmt aber die Religion im antimuslimischen Rassismus ein? Es fällt auf, dass eine rhetorische "Umwegkommunikation", die vorgeblich nur den Islam angreift, mitunter als Argumentationsfigur bemüht wird, um dem Rassismusvorwurf zu entgehen. Deutlich wird dies beispielsweise in der Selbstbezeichnung rechtspopulistischer Akteure als "Islamkritiker".

Die Wortschöpfung dient ihnen zur Rechtfertigung antimuslimischer Ressentiments als Form der Religionskritik, wobei schon der fehlende Gebrauch analoger Komposita wie "Christentumskritiker", "Judentumskritiker" oder "Hinduismuskritiker" darauf hindeutet, dass der Islam herausgegriffen wird und es nicht um eine generelle Kritik an Religionen geht.

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Leserkommentare zum Artikel: Rassismus unter dem Deckmantel der Religionskritik

Ein auszeichnetet und fundierter Beitrag. Danke!!!

Hans 21.06.2018 | 09:36 Uhr

Ihr habt in Eurem gutgemeinten Artikel 3 Dinge vergessen, die als konstituierend für die kritisierten Phobien gelten. Für fast alle meine FreundInnen war Reigion nur noch sowas wie Folklore. Dann kam 9/11, dann kamen Kurt Westergard und Charlie Hebdo. Und von da an war alles anders!

Charly Göllner03.02.2019 | 02:02 Uhr