Tee ohne Hintergedanken

Seit 2015 herrscht Krieg im Jemen – einem Land, über das man in Deutschland erstaunlich wenig weiß. Der Kölner Schriftsteller Guy Helminger hat den Jemen 2009, noch zu Friedenszeiten, besucht. Von seinen Eindrücken berichtet er in seinem Buch "Die Lehmbauten des Lichts". Gerrit Wustmann hat mit ihm gesprochen.

Von Gerrit Wustmann

Sie beschreiben Sanaa als die schönste Stadt, die Sie je besucht haben...

Guy Helminger: Es hat etwas Berauschendes, durch diese Architektur zu gehen, das Leben in dieser Stadt zu sehen, das teilweise etwas Archaisches hat. Und es gab einen Moment, wo ich das Gefühl hatte, das Glück gefunden zu haben, so kitschig das auch klingen mag. Man hat die alten Häuser mit ihrem Gips-Stuck, man hat die Gerüche, die Menschen, und man geht auf wie Teig. Und dann fotografiert man und sieht hinterher: Bloß Häuser, einen Teil vom Markt, aber nicht das Glück.

Und wenn man zu viel fotografiert, kann es passieren, dass einem die Staatssicherheit begegnet...

Helminger: Ja, da fühlte ich mich im falschen Film. Ich brauche die Fotos ja nicht nur als schönes Souvenir, sondern um mich an alle Details zu erinnern. Und plötzlich waren Leute hinter mir, von denen ich dachte, sie wollten mich entführen. Es war die Staatssicherheit und zum Glück ging es glimpflich aus.

Buchcover "Die Lehmbauten des Lichts" von Guy Helminger im Verlag capybarabooks
Aufzeichnungen aus dem einem kriegsgezeichneten Land: Der Jemen stirbt. Seit Jahren zerstört Krieg dieses Land und die schönste Stadt, die der Autor Guy Helminger je in seinem Leben gesehen hat: Sanaa, die Hauptstadt Jemens.

Wie viel hatten die Menschen, die Ihnen begegnet sind, mit der enormen Wirkung der Stadt zu tun?

Helminger: Sehr viel. Was sollte ich in einer Stadt ohne Menschen? Klar ist die Architektur schön. Ich komme gerade aus Brasilia. Ein Phänomen, aber eine Stadt, die nicht für Menschen gemacht ist, sondern für Regenten. Da könnte ich niemals Glück finden. Die Menschen spielten nicht nur eine erhebliche Rolle, weil sie mich gut aufnahmen, sondern weil der Jemen für mich die Möglichkeit war, mit unfassbar vielen Vorurteilen aufzuräumen. Immer hieß es: Mach dies nicht, jenes darfst du nicht, das verstößt gegen Regeln etc. Ich bin einfach hingegangen und die Menschen kamen ganz normal auf mich zu, was ja auch logisch ist. Es geht vielleicht nicht darum, ein Teil des Ganzen zu werden, aber darum, nicht ein Außenstehender zu bleiben.

Ein Imam hat Sie gefragt, was er und seine Landsleute gegen die Vorurteile ihnen und ihrer Religion gegenüber tun können, und Sie antworteten ihm: 'Nichts!' Können wir denn hier etwas gegen die Vorurteile tun?

Helminger: Ich glaube, wir sollten die Dinge permanent hinterfragen. Nur weil etwas fremd ist, ist es nicht automatisch gut. Aber gerade im Zusammentreffen entsteht eine Interkulturalität, die es ermöglicht, differenziert zu urteilen. Sich mit den Dingen beschäftigen, das Gespräch suchen – darauf kommt es an. Diese Offenheit haben mir die Leute im Jemen entgegengebracht, sie hatten Interesse am Gespräch mit Menschen aus einer anderen Kultur. Das waren die Leute auf dem Markt, auf den Straßen. Es waren nicht die Intellektuellen. Im Gegenteil. Die waren manchmal recht verbohrt.

In Deutschland, schreiben Sie, wäre es undenkbar, dass die Leute auf jemanden, der zu Besuch ist, mit einer so großen Offenheit zugehen. Woran liegt das?

Helminger: Ich glaube, das hat viel mit Tradition zu tun. Dort ist es normal, Menschen einfach einzuladen, auch wenn man sie nicht kennt. Man wechselt ein paar Worte und hat Lust, sich auszutauschen. Das ist hier nicht der Fall. Die meisten sind nach ein paar Worten froh, wenn sie wieder gehen können. Ich sehe hier ein sehr großes Desinteresse an allem, was nicht 'Ich' ist. Das ist sehr bedauerlich. Wir bestehen auf eine sehr starke Individualisierung, was Vor- und Nachteile hat. Darauf, sich abkapseln, sich zurückziehen zu können. Nur sollte man darüber nicht vergessen, dass es manchmal ganz gut ist, sich zu öffnen, auf andere zuzugehen, zu lernen. Im Jemen war die Kultur des Sich-begegnens viel offener. Wer einen auf einen Tee einlädt, tut das ohne Hintergedanken. Er will einem nichts verkaufen, er will einen einfach kennenlernen.

Ein Kontrast zu der damaligen Medienberichterstattung über den Jemen, wo es in der Regel um Entführungen ging...

Helminger: Gerade als ich hinkam war eine Mitarbeiterin eines Entwicklungshilfedienstes entführt worden. Das war permanent ein Thema. Man wusste aber auch, dass diese Entführungen keinen ideologischen Hintergrund hatten, sondern dass es darum ging, mit Geiseln die Regierung zu erpressen, um zum Beispiel die Straßen auf einem Stammesgebiet zu sanieren oder Schulen zu bauen. Das macht es nicht besser. Aber man hatte keine Angst, von Al-Qaida entführt und geköpft zu werden. Es hat mich nicht davon abgehalten, die Stammesgebiete zu besuchen. In viele andere Gebiete konnte ich schon damals nicht. Die Regionen im Norden, die von den Huthis kontrolliert wurden, waren komplett gesperrt.

Blick auf das historische Zentrum von Sanaa; Foto: Guy Helminger
Faszination Sanaa: "Es hat etwas Berauschendes, durch diese Architektur zu gehen, das Leben in dieser Stadt zu sehen, das teilweise etwas Archaisches hat“, erzählt Guy Helminger. "Und es gab einen Moment, wo ich das Gefühl hatte, das Glück gefunden zu haben, so kitschig das auch klingen mag. Man hat die alten Häuser mit ihrem Gips-Stuck, man hat die Gerüche, die Menschen, und man geht auf wie Teig."

Trotz solcher Vorfälle galt der Jemen lange als Vorzeigedemokratie...

Helminger: Es ist ja immer so, dass beschönigt wird, wenn der Westen sich Verbündete sucht. Der damalige Präsident Salih war über dreißig Jahre an der Macht, es gab keine Pressefreiheit. Auch Leute von Amnesty International bestätigten mir, dass vieles problematisch war.

Womit haben sich denn die Autoren befasst, die Sie getroffen haben?

Helminger: Zu jener Zeit führte die israelische Regierung die Aktion 'Gegossenes Blei' gegen die Palästinenser durch. Die Jemeniten demonstrierten für ihre palästinensischen Brüder. Das führte zu der abstrusen Situation, dass der jemenitische Schriftstellerverband sagte, kein Intellektueller werde sich mit mir treffen, weil die deutschen Intellektuellen sich nicht genug von der Politik Israels distanziert hätten. Im Endeffekt haben die einzelnen Schriftsteller aber für sich entschieden, und ich konnte viele von ihnen treffen. Sie arbeiteten unter schwierigen Bedingungen, einerseits wegen der Zensur, andererseits weil es keinen Vertrieb gab. Die Zensur selbst kam meist nicht vom Staat, sondern von religiösen Autoritäten, die ihre Anhänger gegen Autoren aufgestachelt haben, bis diese ihre Werke zurückzogen. Auf diesem Weg konnte niemand der Regierung Zensur vorwerfen, aber natürlich steckten da alle unter einer Decke.

Inzwischen herrscht seit Jahren Krieg. Konnten Sie Kontakt halten?

Helminger: Kaum. Ich weiß aber, dass viele, mit denen ich zu tun hatte, inzwischen geflüchtet sind. Einige haben das Land schon vor dem Krieg verlassen. Natürlich verfolge ich, was passiert. Aber es ist längst nicht so einfach, wie es mit Stichworten wie 'Stellvertreterkrieg' immer dargestellt wird. Es gibt Altlasten, um die gekämpft wird; Süden und Norden waren getrennt; es gibt neue Gruppierungen, die nur ihre eigene Macht im Sinn haben; es gibt Überläufer; Ex-Präsident Salih arbeitete mit den Huthis zusammen, seinen ehemaligen Feinden; es gibt den IS, es gibt Al-Qaida. Man weiß nicht, wer wofür kämpft – außer, dass jeder für die eigene Macht kämpft. Aber für mehr auch nicht. Das Land ist ihnen egal, die Menschen sind ihnen egal, Hauptsache, sie können wieder Geschäfte machen.

Das Gespräch führte Gerrit Wustmann.

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Guy Helminger: "Die Lehmbauten des Lichts. Aufzeichnungen und Fotos aus dem Jemen", Verlag Capybarabooks, 224 Seiten, ISBN 978-99959-43-24-0