Stimme der Freiheit

Die junge tunesische Sängerin Emel Mathlouthi prägte mit ihrem Lied Kelmti Horra ("Mein Wort ist frei") die sogenannte Jasminrevolution in Tunesien. Vor kurzem erschien ihr erstes internationales Album. Martina Sabra hat die politisch engagierte Musikerin getroffen.

Vor über einem Jahr floh der Diktator Ben Ali aus Tunesien. Sie waren zu jener Zeit in Tunesien und wurden mit Ihrem Lied "Kelmti Horra" ("Mein Wort ist frei") mit einem Schlag bekannt. Wie kam das?

Emel Mathlouthi: Kurz nach der Revolution war ich in Tunis. Bei einem Sit-In habe ich auf der Straße gesungen. Jemand hat das zufällig mit dem Handy aufgenommen und das Video auf youtube eingestellt. Und mit einem Mal sprangen alle Medien an! Ich war wirklich perplex, denn ich hatte vorher eine Demo-CD an verschiedene Radiostationen geschickt, aber nie etwas gehört. Und nun lief das Lied überall. Einmal fuhr ein Auto vorbei, und ich hörte meine eigene Stimme aus dem Autoradio. Das war wirklich ein seltsames Gefühl!

Nach fast sechs Jahrzehnten Diktatur fanden in Tunesien im vergangenen Oktober die ersten demokratischen Wahlen statt. Die Islamisten haben dabei klar gewonnen. Wie ist die Stimmung unter den jungen Leuten, die die Revolution maßgeblich getragen haben?

Mathlouthi: Ich habe ernsthafte Zweifel an den wirklichen Zielen und den wirklichen Fähigkeiten dieser Regierung. Es geht mir nicht darum, die Regierung aus Prinzip zu kritisieren. Aber bislang hat sich für die Ärmsten und die Bedürftigsten gar nichts geändert. Und mir kommt es vor, als ließe man Individuen, die Unfrieden säen wollen, mit Absicht gewähren.

Cover von Emel Mathlouthis Album Kelmti Horra
Worte der Freiheit: Ihr neues Album "Kelmti Horra" versteht Emel Mathlouthi als Hommage an alle Leute, die ihr Leben für die Revolution gelassen haben, um in einem freien Tunesien leben zu können.

​​Die Bevölkerung nimmt das aber nicht hin, und den Menschen wird immer bewusster, dass es hier darum geht, die Revolution abzuwürgen. Wir durchleben gerade eine sehr schwierige Phase und wir müssen uns gegen Dogmen jedweder Herkunft wehren.

2008 sind Sie nach Frankreich gegangen. Hatten Sie zu dieser Zeit in Tunesien Probleme mit der Zensur?

Mathlouthi: Es ist bekannt, dass der Machtapparat von Ben Ali ziemlich dämlich war. Und je länger es dauerte, umso dämlicher wurde er. Sie haben nicht wirklich verstanden, welche Gefahr die neue Musik der tunesischen Jugend bedeutete. Aber die Möglichkeiten waren insgesamt einfach sehr eingeschränkt. Ich konnte weder im Fernsehen auftreten, noch im Radio.

Im eigenen Land nicht bekannt zu sein, das ist wirklich schlimm, vor allem für jemand wie mich. Ich singe in tunesischem Dialekt. Meine Musik ist tunesisch, alle meine Lieder haben mit Tunesien zu tun. 2008 bin ich dann nach Frankreich gegangen, um meinen Horizont zu erweitern und Karriere zu machen. Es war genau das Richtige, und das Ergebnis war paradox. Als ich in Frankreich ankam, haben die Tunesier mich plötzlich über das Internet wahrgenommen, als eine, die sich über die Musik für Tunesien einsetzt.

Ende Januar erschien Ihr erstes internationales Album. Es trägt den Titel "Kelmti Horra". Wie ist das Album entstanden?

Mathlouthi: Das Album enthält Songs, die ich in den Jahren 2006 bis 2011 geschrieben habe. Mir ging es um die Texte und um die Musik gleichermaßen. Alle Songs haben mit Tunesien zu tun, mit der Diktatur, mit dem Frust über die Tyrannei, und schließlich mit der Freiheit. Das Album trägt den Titel "Mein Wort ist frei", und es soll eine Hommage an alle Leute sein, die ihr Leben für die Revolution gelassen haben, damit wir in einem freien Tunesien leben können.

Musikalisch habe ich versucht, alles hineinzubringen, was sich beimir über die Jahre an Ideen und Einflüssen angesammelt hat: das arabische Widerstandslied, aber auch Rock und Pop – all die Sachen, die ich als Jugendliche gehört habe. Wir haben aber auch experimentiert, und ich finde, das ist echt die beste Methode, Musik zu machen, weil das das Leben ist.

Wie wichtig ist Ihnen, dass Ihre Songs eine politische Botschaft haben?

Mathlouthi: Ich habe mich lange Zeit gefragt, ob ich nicht in die Politik gehen soll. Ich wäre dann wohl eine Politikerin geworden, die Musik macht. Aber mir wurde schnell klar, dass ich mich auf der Bühne am wohlsten fühle. Ich bin vor allem Musikerin. Ich werde sicher auch in Zukunft auf Demonstrationen gehen und mich für Nichtregierungsorganisationen engagieren. Aber ich muss singen und ich möchte wirklich nicht, dass man mich anerkennt, weil ich für die Revolution gesungen habe.

Ich möchte Anerkennung für meine Arbeit erfahren. Für dieses Album haben wir sehr viel recherchiert und sehr intensiv an den Arrangements, an den Klängen gearbeitet. Das hört man auf der neuen CD, denke ich. Diese Musik ist ein Ganzes. Auch wenn nicht immer wortwörtlich von Freiheit oder Revolution die Rede ist, so ist sie doch sehr von diesen Ideen geprägt.

Interview & Übersetzung aus dem Französischen: Martina Sabra

© Qantara.de 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de