Ist der Atomvertrag noch zu retten?

2015 wurde in Wien das Atomabkommen mit Iran unterzeichnet. Die USA haben das Abkommen im Mai 2018 gekündigt, aber Europa beharrt auf seiner Weiterführung. Ohne den Vertrag hätte Iran inzwischen Atomwaffen entwickeln können und damit eine weitere Quelle der Instabilität in der Region geschaffen, meint der EU-Außenbeauftragte Josep Borell.

Von Josep Borell

China, Frankreich, Deutschland, Russland, Großbritannien, die USA sowie die Europäische Union haben vor fünf Jahren nach langen Verhandlungen gemeinsam mit Iran einer Atomvereinbarung, dem Gemeinsamen umfassenden Aktionsplan (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) zugestimmt.

Heute steht die Atomvereinbarung mit Iran an mehreren Fronten unter großem Druck. Ich bin davon überzeugt, dass es aus mindestens zwei Gründen notwendig, ja sogar dringend ist, etwas zur Auf­rechterhaltung der Vereinbarung zu unternehmen. Erstens dauerte es mehr als zwölf Jahre, bis die inter­nationale Gemeinschaft und Iran ihre Differenzen überbrücken und eine Vereinbarung schließen konnten. Sollte die Atomvereinbarung mit Iran aufgelöst werden, dann wird es so schnell keine andere umfassende oder wirksame Alternative geben.

Die Besorgnis der internationalen Gemeinschaft über das iranische Nuklearprogramm reicht weit zurück. Die Gespräche zur Schaffung der Grundlagen für eine Verhandlungslösung begannen 2003 auf Initiative des französischen, des deutschen und des britischen Außenministers; den Gesprächen schloss sich dann bald auch der damalige EU-Außenbeauftragte Javier Solana an. Solana sowie seine Nachfolgerinnen Catherine Ashton und Federica Mogherini hielten stets die Tür für eine diplomatische Lösung offen.

Nach vielen Höhen und Tiefen wurde die Atomvereinbarung mit Iran schließlich Wirklichkeit. Ohne diplomatische Beharrlichkeit wäre sie nicht möglich gewesen. Es war nicht nur die umfassende Beteiligung der Vereinigten Staaten, sondern auch Russlands, Chinas und natürlich Irans notwendig.

Eine wirksame Vereinbarung

Die endgültige Vereinbarung war solide. Auf über hundert Seiten und in mehreren Anhängen sind alle Einzelheiten einer klaren Gegenleistung ausgewiesen: Iran würde strenge Beschränkungen seines Nuklearprogramms einhalten und im Gegenzug würden die wirtschaftlichen und finanziellen Nuklearsanktionen aufgehoben. Die Atomvereinbarung mit Iran ist durch die Resolution 2231 des VN-Sicherheitsrates (die voll­ständig umgesetzt werden muss) im Völkerrecht verankert.

Iran Atomprogramm; Foto: picture-alliance/AP Photo/V. Salemi
Wartungsarbeiten in einer iranischen Nuklearanlage. Das Atomabkommen sei ein Beispiel für den Erfolg hartnäckiger Diplomatie, weil es eine genaue Kenntnis und strenge Kontrollen der Atomanlagen ermögliche, schreibt der neue EU-Außenbeauftragte Josep Borell. Er setzt sich für eine Fortsetzung der Vereinbarung mit Iran ein, weil sie „einen wichtigen Schritt auf dem Weg darstellt, andere gemeinsame Anliegen, auch im Zusammenhang mit der Sicherheit in der Region, anzugehen“. Sollte die Vereinbarung jedoch aufgelöst werden, würden diese Kontrollmöglichkeiten verloren gehen.

Das Abkommen ist ein hervorragendes Beispiel dafür, was europäische Diplomatie und ein wirksamer Multilateralismus im Rahmen einer regelbasierten internationalen Ordnung erreichen können. Auch wenn der Weg zu dieser Vereinbarung langwierig und schwierig war – eine zweite Chance für eine Vereinbarung gibt es nicht.

Zweitens stellt die Atomvereinbarung mit Iran nicht nur einen symbolischen Erfolg dar. Sie hielt, was sie versprach, und erwies sich als wirksam. Nachdem der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) im Rahmen der Vereinbarung in noch nie dagewesenem Umfang Zugang zu iranischen Atomanlagen gewährt wurde, konnte sie in 15 aufeinanderfolgenden Überwachungsberichten zwischen Januar 2016 und Juni 2019 bestätigen, dass Iran allen Verpflichtungen aus der Vereinbarung nachgekommen ist. USA steigen aus dem Vertrag aus

Deshalb hoben Europa und andere Partner die Sanktionen auf, wie dies in der Vereinbarung vor­gesehen war. Die internationale Isolierung Irans wurde beendet, was den Weg für die Wieder­herstellung normaler Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit dem Rest der Welt ebnete. Im Mai 2018 beschlossen die Vereinigten Staaten jedoch, sich aus der Atomvereinbarung mit Iran zurück­zuziehen und die Sanktionen wieder einzuführen, um eine neue Strategie des „maximalen Drucks“ zu verfolgen.

Obwohl die Wiedereinführung der US-Sanktionen eindeutig negative Auswirkungen auf die iranische Wirtschaft und Bevölkerung hatte, hielt Iran weitere 14 Monate an der Vereinbarung fest. Nun erhöht Iran jedoch wieder seinen Bestand an angereichertem Uran in besorgniserregendem Umfang und erwirbt neues nukleartechnisches Fachwissen. Die Atomvereinbarung wird weiter ausgehöhlt, und Befürchtungen aus früheren Zeiten werden wieder lebendig.

Im Januar diesen Jahres brachten Frankreich, Deutschland und Großbritannien förmlich ihre Besorgnis über die erneuten Anreicherungstätigkeiten Irans zum Ausdruck und drängten Iran, zur voll­ständigen Einhaltung der Vereinbarung zurückzukehren. In ähnlicher Weise äußerte Iran seine eigene Besorgnis und machte geltend, dass das Land nicht den erwarteten wirtschaftlichen Nutzen aus der Aufhebung der Sanktionen gezogen habe.

 

 

"Wir werden alles tun, um zu bewahren, was wir erreicht haben"

Als derzeitiger Koordinator der Atomvereinbarung mit Iran werde ich weiterhin mit allen ver­bleibenden Parteien der Vereinbarung sowie mit der gesamten internationalen Gemeinschaft zusammenarbeiten. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um das zu bewahren, was wir vor fünf Jahren erreicht haben, und um sicherzustellen, dass die Vereinbarung wirksam bleibt.

Es darf nicht vergessen werden, dass das iranische Nuklearprogramm nach wie vor unter strenger Kontrolle steht und dass sein friedlicher Charakter ständig überprüft wird. Durch das IAEO-Inspektionssystem wissen wir weiterhin sehr viel über das iranische Nuklearprogramm, auch unter den derzeitigen Umständen.

Wenn die Vereinbarung jedoch aufgelöst würde, könnten wir diese Ein­sichten verlieren und um zwei Jahrzehnte zurückgeworfen werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Atomvereinbarung mit Iran zu einem Schlüsselelement der globalen Nichtverbreitungsarchitektur geworden ist, weshalb ich weiterhin alle Parteien auffordere, sich weiterhin für seine vollständige Umsetzung einzusetzen.

Iran muss seinerseits seinen Ver­pflichtungen aus der Atomvereinbarung wieder uneingeschränkt nachkommen. Es muss aber auch in den Genuss der in der Vereinbarung vorgesehenen wirtschaftlichen Vorteile kommen dürfen.

Nachdem bereits Maßnahmen ergriffen wurden, um unsere Unternehmen vor sog. extraterritorialen US-Sanktionen (US-Sanktionen gegen nicht-amerikanische Unternehmen) zu schützen, können wir in Europa mehr tun, um den Erwartungen Irans an einen recht­mäßigen Handel gerecht zu werden.

Die EU wird sich verstärkt darum bemühen, zwischen allen betroffenen Parteien Brücken zu bauen und die Gräben zu überwinden. Ich bin davon überzeugt, dass die Atomvereinbarung mit Iran – wenn es uns gelingt, sie aufrechtzuerhalten und ihre vollständige Umsetzung sicherzustellen – einen wich­tigen Schritt auf dem Weg darstellt, andere gemeinsame Anliegen, auch im Zusammenhang mit der Sicherheit in der Region, anzugehen. 

Wir müssen zu einer positiveren Dynamik zurückkehren. Wenn die Zeit reif ist, müssen wir bereit sein, auf der Vereinbarung aufzubauen. Die EU ist hierzu bereit. Der erste Schritt besteht jedoch darin, die bestehende Atomvereinbarung mit Iran in ihrer Gesamtheit zu schützen und dafür zu sorgen, dass alle Parteien ihren Verpflichtungen in vollem Umfang nachkommen.

Josep Borell

© Projekt Syndicate

Josep Borell ist ein spanischer Sozialdemokrat und seit Dezember 2019 EU-Außenbeauftragter.