Feindbild Islam
Muslime unter Generalverdacht

Die Angst vor dem Islam ist sozial konstruiert und angedockt an etablierte anti-muslimische Rassismen, die in der Gesellschaft verankert sind – und die Islam und Islamismus pauschal gleichsetzen. Ein Essay von Andreas Bock

In Deutschland und in Europa geht die Angst um. Die Angst vor islamistischem Terrorismus, die Angst vor dem Islam. Nach einer Pew-Umfrage von 2016 fürchtet die Hälfte der Befragten in acht von zehn Ländern der Europäischen Union, dass der Zuzug muslimischer Geflüchteter das Risiko terroristischer Anschläge erhöhen könnte. Spitzenreiter ist Ungarn mit 76 Prozent, gefolgt von Polen (71 Prozent) sowie Deutschland und den Niederlanden (je 61 Prozent).

Ist diese Angst vor dem Islam, vor Islamismus und islamistischem Terrorismus unbegründet? Nein, sie ist nicht unbegründet. Sie ist sozial konstruiert und angedockt an etablierte anti-muslimische Rassismen, die in der Gesellschaft verankert sind – und die Islam und Islamismus pauschal gleichsetzen:

"Über die Hälfte der Bevölkerung nimmt den Islam als Bedrohung wahr und ein noch höherer Anteil ist der Ansicht, dass der Islam nicht in die westliche Welt passt". Zu diesem Ergebnis kommt der "Religionsmonitor – Sonderauswertung Islam 2015" der Bertelsmann Stiftung. Der Aussage, "Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden", stimmten demnach bundesweit 24 Prozent "voll und ganz" oder "eher" zu.

Von Zerr- und Feindbildern

Eine entsprechende Wahrnehmung von Muslim*innen und Islam als Bedrohung und fremd haben Andreas Zick, Beate Küpper und Andreas Hövermann in der Studie "Die Abwertung der Anderen" bereits 2011 auch für Europa festgestellt. So unterstellen 17 Prozent der befragten Deutschen und durchschnittlich 22 Prozent der Europäer: "Die Mehrheit der Muslime findet islamistischen Terrorismus gerechtfertigt".

Tatsächlich stellt der islamistische Terrorismus eine weitaus geringere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, als dies die politische Rhetorik und die mediale Darstellung vermuten lassen. Betrachtet man das Phänomen "Terrorismus" aus nüchterner Distanz, so muss man zweierlei feststellen:

1. Andere Formen staatlicher wie nicht-staatlicher Gewalt besitzen ein rechnerisch größeres Gefährdungspotenzial für die innere wie auch internationale Sicherheit; d.h. es ist wahrscheinlicher, Krieg oder Mord zum Opfer zu fallen, als einem terroristischen Anschlag.

2. Die Geschichte des modernen Terrorismus ist keine Geschichte nur islamistischer Gruppierungen, sondern vielmehr die nationaler oder sozial-revolutionärer terroristischer Bewegungen; d.h. islamistischer Terrorismus ist kein außergewöhnliches und auch kein außergewöhnlich brutales Phänomen.

Grafik Terrorismus in Westeuropa; Quelle: Quelle Datagraver
Klarsicht auf die reale Bedrohungslage durch islamistischen Terrorismus im historischen Kontext: In Westeuropa wurden 5.819 Menschen zwischen 1970 und 2000 durch Anschläge nationaler oder sozial-revolutionärer terroristischer Gruppierungen wie IRA, ETA oder RAF getötet. Im gleichen Zeitraum forderte islamistischer Terrorismus 61 Todesopfer. Und zwischen 2001 und 2016 fielen in Europa 225 Menschen vor allem rechten Terrorismus zum Opfer und 554 Menschen wurden durch islamistischen Terrorismus getötet.

Die nackten Zahlen: 2014 wurden laut "Global Terrorism Index 2015" weltweit 32.685 Menschen bei terroristischen Anschlägen getötet. Im gleichen Jahr fielen aber 437.000 Menschen nicht-terroristischer Gewalt wie Krieg oder Mord zum Opfer.

Selbst in Regionen, die am stärksten unter islamistischen Terrorismus zu leiden haben, ist das Risiko durch nicht-terroristische Gewalt zu Schaden zu kommen deutlich höher: IS/Daesh, Boko Haram oder Al-Shabaab haben 2014 mehr als 13.000 Menschen im Irak, in Syrien, Nigeria und Somalia getötet.

Alleine im Irak sind zwischen 2003 und 2011 mindestens 405.000 Zivilisten durch direkte oder indirekte Kriegshandlungen getötet worden – rechnerisch 45.000 Opfer pro Jahr.

Und richtet man den Fokus in Europa auf die Zeit bis 1970, so relativiert sich die Bedrohung durch islamistischen Terrorismus ebenfalls. In Westeuropa wurden 5.819 Menschen zwischen 1970 und 2000 durch Anschläge nationaler oder sozial-revolutionärer terroristischer Gruppierungen wie IRA, ETA oder RAF getötet.

Im gleichen Zeitraum forderte islamistischer Terrorismus 61 Todesopfer. Und zwischen 2001 und 2016 fielen in Europa 225 Menschen vor allem rechten Terrorismus zum Opfer und 554 Menschen wurden durch islamistischen Terrorismus getötet.

Überschätzte Gefährlichkeit des Islamismus

Um einem Missverständnis vorzubeugen: Es geht nicht darum, die Gefahren eines islamistischen Terrorismus zu verharmlosen. Allerdings zeigt die Analyse der terroristischen Bedrohung, dass die Gefährlichkeit des Islamismus überschätzt wird. Oder um es mit dem Risikoforscher Ortwin Renn zu sagen: Die Wahrscheinlichkeit in Europa an einer Pilzvergiftung zu sterben ist größer, als die Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden. Dennoch ist die Angst vor islamistischem Terrorismus beinahe omnipräsent und politisch handlungsleitend. Warum?

Wir Menschen erklären uns die soziale Welt mittels sogenannter mind-sets – also mit Hilfe von Vorannahmen über die Verhaltensweisen und Absichten sozialer Akteure. Diese mind-sets werden durch eigene Erfahrungen, aber auch kollektive Erinnerungen oder mediale Berichterstattung geprägt und helfen uns dabei die Informationsflut, mit der wir tagtäglich konfrontiert sind, zu reduzieren und bewältigbar zu machen.

Mit Hilfe dieser Vorannahmen (mind-sets) entwickeln wir eine Vorstellung (Image) anderer sozialer Akteure, die es uns erlaubt, Aussagen über das (zu erwartende) Verhalten und die Absichten dieser Akteure zu machen. Dieses Image fungiert dabei als eine Linse, die Informationen limitiert und fokussiert – und als Blaupause für die Interpretation dieser Informationen.

Die Informationen, die der Öffentlichkeit über die Absichten muslimischer Geflüchteter aus Syrien vorliegen, sind ambivalent; erst mit dem entsprechenden Image kann die Einordnung und Bewertung vorgenommen werden – über den Umfang der zur Verfügung stehenden Informationen hinaus, aber immer in Abhängigkeit vom Image, das man hat.

Rückgriff auf etablierte Vorannahmen

Die in Deutschland und Europa etablierten negativen Vorannahmen über Islam und Muslim*innen als gefährlich und fremd bilden die mind-sets, innerhalb derer neue und ungenaue Informationen über Geflüchtete, flüchtende Muslim*innen und die von ihnen ausgehende terroristische Gefahr individuell sinnvoll interpretiert werden.

Wie mind-sets funktionieren zeigt die Erfahrung, die der italienische Mathematikprofessor Guido Menzio in einem Inlandsflug inden USA gemacht hat: Aufgrund seines Aussehens (dunklerer Teint und schwarze Haare) war er für seine Nachbarin im Flugzeug verdächtig; dass er noch scheinbar arabische Zeichen (tatsächlich waren es mathematische Formel) malte, genügte der Frau, um Terrorismusalarm im Flugzeug auszulösen.

Die wenig verfügbaren Informationen – "Mann mit bestimmten Aussehen schreibt in unbekannten Zeichen" – wurden von der Frau aufgrund ihrer mind-sets interpretiert. Dieses Beispiel zeigt, wie ungenaue Informationen durch Rückgriff auf etablierte Vorannahmen als sichere Informationen interpretiert werden – und dann unmittelbar handlungsleitend sind.

Und so wie diese Frau in dem Mathematiker einen Terroristen sah, sehen auch wir in Geflüchteten Terroristen oder erkennen in unspezifischen Nachrichten über "Gefährder" eine eindeutig islamistisch-terroristische Bedrohung. Nicht weil es stimmen würde, nein, sondern weil die sozial etablierten Vorannahmen zu Islam und Muslim*innen uns diese Interpretation sozialer Wirklichkeit nahelegen. Muslim*innen sind keine Terroristen – wir konstruieren sie nur so.

Andreas Bock

© Qantara.de 2017

Prof. Dr. Andreas M. Bock ist Professor für Politikwissenschaft an der Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften Berlin und Lehrbeauftragter für Internationale Politik und Konfliktanalyse an der Universität Augsburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Terrorismus, Rassismus und politische Psychologie.

Die Redaktion empfiehlt

Leserkommentare zum Artikel: Muslime unter Generalverdacht

Gerade der Gebrauch der Unbegriffe „Islamismus“, „Islamist“ usw. tragen zur Begriffsverwirrung, Desinformation und Volksverhetzung gegen den Islam und dessen Angehörige bei. Sie werden von den meisten Vertretern der Mainstream-Medien, Politikern und Behörden, wie dem „Verfassungsschutz“, in einer derart inflationären Weise gebraucht, daß damit praktisch die meisten ihre Religion verstehenden und praktizierenden Muslime in die extremistische Ecke gedrängt und als gewaltbereit, terrorismusverdächtig usw. abgestempelt werden.

Nach dem deutschen Wörterbuch ist „Islamismus“ ursprünglich mit „Islam“ gleichzusetzen. Dementsprechend wird der Begriff „Islamist“ von denjenigen, die ihn im deutschsprachigen Raum heute verwenden, sehr unterschiedlich gebraucht und reicht von einem jeden Muslim, der sich zu seiner Religion bekennt und sie praktiziert und die Existenz eines Staates mit einer islamischen Ordnung irgendwo auf der Welt bejaht, bis hin zum Terroristen.

Der berühmte islamische Theologe Abū ’l-Ḥasan al-Aš´arī (geb. 260 = 873/874 in Baṣra, gest. 324 = 935 in Baġdād) hat seinem Hauptwerk über islamische Sekten den Titel „Maqālāt al-Islāmiyyīn“ gegeben, was man im Deutschen mit „Die Meinungen der Islamisten“ wiedergeben könnte. Danach ist ein „Islamist“ jeder, der sich dem Islam zugehörig erachtet.

Es gibt keinen „islamistischen“ oder „islamischen“ Terror, sondern allenfalls einen mit der islamischen Religion fälschlich begründeten. Wenn jemand ein Terrorist oder auch nur Terrorverdächtiger ist, dann sollte man ihn auch so bezeichnen, und nicht als „Islamisten“. Da die Journaille das jedoch fortwährend tut, sind jene Journalisten und anderen Medienvertreter entweder unwissende oder bösartige und hinterhältige Menschen.

Frank Walter23.02.2017 | 01:38 Uhr

In Zeiten "gefühlter Wahrheiten" und "alternativer Fakten" ist dieser Artikel gewiss ein Wohltat, da hier die Dinge DEFACTO bemessen werden. Danke Herr Bock, danke Quantara!

Hans-Christian ...23.02.2017 | 10:54 Uhr

Ein nicht unerheblicher Teil des Artikels besteht leider aus der Verharmlosung einer Religion/Ideologie, die in ihrer real gelebten Form (nicht in einer Utopie davon) auch schon überreichlich Stoff für gepfefferte Diskussionen über Menschenrechte, Frauenrechte, Mädchenbeschneidung, Kinderehen, Religionsfreiheit etc. liefert wenn man den radikalen islamistischen Terror außen vor lässt. Gerade der Mangel an Religionsfreiheit im derzeit real gelebten Islam wird ja zum Beispiel wieder einmal bestätigt in einem aktuellen weiteren Artikel in genau diesem Portal, der sich mit der Konversion von Flüchtlingen beschäftig. In dem ganz klar die Folgen des "Abfalls vom Glauben" bestätigt werden, nämlich die Todesstrafe oder die Gefahr ermordet zu werden, wenn die Konversion bekannt wird im Heimatland oder auch hier. Ihr Artikel hilft leider niemandem, er ist schlicht zu einseitig.

Ingrid Wecker23.02.2017 | 15:23 Uhr

Ein unerheblicher Teil Ihrer Wahrnehmung wird durch Ihre Unfähigkeit zwischen Religion und Ideologie zu unterscheiden, beeinträchtigt.

Karl Müller 24.02.2017 | 04:44 Uhr

sehr informativer und erhellender Essay. Wenn Frau Wecker den Unterschied zwischen Religion und Ideologie nicht kennt, dann ist das ihr Problem...

Karl Söder 26.02.2017 | 12:45 Uhr

Muslime in Europa leben im Paradies -- wenn man ihre Verhältnisse hier vergleicht mit Christen , Juden und Anderen , die unter katastrophalen Verhältnissen in islamischen Ländern leben müssen . Wann liebe Muslime wollte ihr endlich mal aufhören, immer nur wegzusehen und zu schweigen ?
Gibt es überhaupt noch Juden in Islamischen Ländern ?

Willi Sempf26.02.2017 | 20:43 Uhr

Natürlich ist es unangemessen und dumm jeden Muslim zu verdächtigen.
Auch ist es interessant, die Größenordnung islamistischen Terrors in das richtige Verhältnis zu setzen.
Wenn aber zwischen 1970 - 2000 61 Opfer islamistischer Terroranschläge zu verzeichnen sind, und dann von 2001 - 2016 554 Opfer, dann heißt das doch, dass der islamistische Terror zunimmt.
Also: ich finde, dass das ernst zu nehmen ist.

Die Zahlen sind vollkommen unangebracht als Beleg dafür, dass Pauschalverurteilungen unangebracht sind.
Denn Pauschalverurteilungen/ Abstempeln ist immer unangebracht.

Die meisten Muslime lehnen Extremismus ab, das ist Fakt.
Muslime sind natürlich nicht generell Terroristen, aber anscheinend verübt eine immer größer werdende Zahl Muslime Terroranschläge.
Dazu fallen mir einige Fragen ein.

Wenn dem Autor dazu nur mindset einfällt, dann ist das zwar auch recht, aber auch recht dürftig.

benita schneider26.02.2017 | 23:07 Uhr

Sehr geehrter Herren Müller und Söder! Es ist schon ziemlich vielsagend, dass Sie offensichtlich noch nie etwas von dem Begriff "Politischer Islam" gehört haben geschweige denn wissen was das ist. Wenn eben jener politische Islam etwas mit einer Religion im üblichen Sinne zu tun hat, dann können auch Pferde sich übergeben...

Ingrid Wecker27.02.2017 | 16:57 Uhr

Der Artikel ist - leider - intellektuell nicht konkurrenzfähig.
Allein diese Stelle zeigt, dass hier erneut mit Verdummung gearbeitet wird:

"So unterstellen 17 Prozent der befragten Deutschen und durchschnittlich 22 Prozent der Europäer: "Die Mehrheit der Muslime findet islamistischen Terrorismus gerechtfertigt".
Tatsächlich stellt der islamistische Terrorismus eine weitaus geringere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, als dies die politische Rhetorik und die mediale Darstellung vermuten lassen."

So sind nicht nur 17 Prozent der Deutschen und 22 Prozent der Europäer, sondern eben auch deutlich über 40 Prozent der europäischen Muslime der Ansicht, dass islamischer terror gerechtfertigt ist.

Frage: welche Rolle spielt es, es Deutsche denken, was Muslime denken, wenn man auch direkt auf die Auswertung darüber, was Muslime denken, zugreifen kann?
Das hat allein den Zweck, die Prozentzahlen zu verkleinern, indem man die tatsächlich relevante Gruppe der europäischen Muslime im Meer aller Europäer verdünnt.

Zweitens: der zweite Satz (jener, der mit "tatsächlich..." beginnt) bezieht sich logisch ncht auf den vorausgegangenen, obwohl er genau das durch das Wort "tatsächlich" impliziert.

Fazit:
Andreas Bock, setzen, Fünf.
Um ein paar läppische Zahlen auswerten zu können, brauche ich kein "Experte" und auch kein "Politikwissenschaftler" zu sein.

Markus Winter28.02.2017 | 15:24 Uhr

Solange Koran und Sunna als monopolistisch wahr und endgültig richtig angesehen werden ist die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus müssig. Neben friedvoller Dogmatik zeichnet den Islam – ebenso wie das Christentum – ein aggressiver Hang zum Missionieren Andersgläubiger aus. Entscheidend für den abendländischen Ungläubigen ist, wie diese Religion tatsächlich gelebt wird. In Abwesenheit einer allgemeinverbindlichen obersten Instanz, wie z.B. den Vatikan, darf sich jeder Moslem seine eigene Version des Islam stricken. Da gehört dann die Burka zur religiösen Selbstbestimmung oder nur ein Kopftuch, man lehnt Alkohol strikt ab, oder interpretiert den Koran so, dass nur ein sich Berauschen verboten sei. Man ist tolerant und friedlich, oder sieht im Abschlachten Andersgläubiger den Schlüssel zum Märthyrertum. Alles das kann Islam sein, oder auch nicht.

Mit dem Ableugnen islamischen Terrors erzeugt man beim zu Recht besorgten Bürger nur noch zusätzliches Ressentiment und man tut auch dem friedlichen Moslem keinen Gefallen, denn er wird so davon abgehalten, sich damit zu beschäftigen, was in der Gemeinschaft der Gläubigen alles vor sich geht.

Rainer Herret05.03.2017 | 15:12 Uhr

Seiten