Wer vertritt hier wen?

Die Deutsche Islam Konferenz ist zu einer Art Dompteurin im Wettstreit der vertretenen Muslime um die Gunst des Staates geworden, kritisieren Experten. Doch damit nicht genug: Hierzulande mangelt es zudem an wirklich glaubwürdigen, unverbrauchten und unvoreingenommenen Ansprechpartnern für die Politik. Von Canan Topçu

Von Canan Topçu

Eigentlich ist Cem Özdemir "nur" einer von zehn Unterzeichnern und Unterzeichnerinnen der "Initiative säkularer Islam" und nur einer der ersten Unterstützer des Aufrufs, den die Wochenzeitung "Die Zeit" am vergangenen Donnerstag veröffentlichte. Dass Özdemirs Name unter dem Gründungspapier auftaucht, verstehen viele nicht. Er wiederum schmunzelt darüber, dass viele Medien ihn als Gründer benennen. So gehe es ihm häufiger, dass seine Unterschrift unter einem Text dazu führt, dass er besonders hervorgehoben wird, sei es nun mit Prügel oder Lob.

"Ich habe den Aufruf unterschrieben, weil ich hinter dem Text stehe und nicht weil ich mit allen Mitunterzeichnern 100 Prozent einer Meinung bin", erklärt er denen, die bei ihm nachfragen. So antwortet Özdemir aber allein, um sich nicht mit fremden Federn zu schmücken - wohl  auch, weil er sich unwohl fühlt in der Gesellschaft von manch einem der Erstunterzeichnenden, die da sind: Hamed Abdel-Samad, Lale Akgün, Seyran Ateş, Ralph Ghadban, Necla Kelek, Ahmad Mansour, Susanne Schröter,  Bassam Tibi und Ali Ertan Toprak. Alle samt keine unbekannten Namen - zumindest für die, die sich mit den Islam-Debatten in Deutschland beschäftigen.

Laut Gründungstext will die Initiative dazu beitragen, dass die angeblich "ins Stocken geratene Diskussion um einen Islam in Deutschland wieder aufgenommen werden kann". Warum die Unterzeichner meinen, die Diskussion um den Islam sei hierzulande "ins Stocken" geraten, ist nicht nachvollziehbar, sind doch gerade unter ihnen etliche dabei, die in Medien oft zu Wort kommen und auf dem Büchermarkt präsent sind.

"Klub der kritisierten Islamkritiker"

In Medienberichten über die neue Initiative werden sie als "Islamexperten", "Intellektuelle und Politiker" tituliert, sie gelten als "Who is who der Islamkritik" oder gar als "Klub der kritisierten Islamkritiker". Zu den Unterzeichnern zählen auch einzelne Personen, die Rechtsextremen Argumente für islamfeindliche Einstellungen liefern. Warum der Grünen-Politiker sich in die Reihe derer begibt, die zu "Stichwortgebern" der Rechtspopulisten und der AfD avanciert sind? Statt über einzelne Erstunterzeichner herzuziehen, erklärt Özdemir, wie es dazu kam, dass er sich an dieser Initiative beteiligte.

Grünen-Politiker Cem Özdemir und Seyran Ateş; Foto: picture-alliance/dpa
Schulterschluss mit altbekannten Islamkritikern: Zu den zehn Erstunterzeichnern "Initiative säkularer Islam" gehören neben Grünen-Politiker Cem Özdemir unter anderen die Anwältin Seyran Ates, der Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad, die Soziologin Necla Kelek und der Psychologe Ahmad Mansour. Die Gruppe kritisiert die Vorherrschaft der religionskonservativen Verbände in der Deutschen Islam Konferenz und will nach eigener Darstellung einem "zeitgemäßen Islamverständnis" Gehör verschaffen.

Er sagt, dass er den Text des Aufrufs mit der Bitte, die Initiative zu unterstützen, erhalten habe. "Den Inhalt fand ich gut und habe unterschrieben." Zu dem Inhalt stehe er weiterhin. Einen Aufruf für eine religiöse Praxis von Muslimen, die sich für Geschlechtergerechtigkeit, gegen Sexismus, Frauen- und Schwulenfeindlichkeit ausspricht und die an die Politik appelliert, diese Kräfte zu stärken und nicht die vom Ausland gelenkten islamischen Verbände, würde Özdemir wieder unterschreiben, "dass mir nicht alle Unterzeichnerinnen und Unterzeichner grün sind und ich mich sowohl im Stil als auch Inhalt von manchen deutlich unterscheide, dürfte sich in den vergangenen Jahren jedem erschlossen haben".

Inzwischen darf er sich aber genauer anschauen, in welche Gesellschaft er sich da möglicherweise begibt.

Bekannte Akteure als Gegengewicht zum Verbandsislam

Mastermind der "Initiative säkularer Islam" ist Ali Ertan Toprak. Er ist zwar auch bekannt – aber nicht ganz so prominent wie der Grünen-Politiker Özdemir. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass der Alevit und Vorsitzende der "Kurdischen Gemeinde Deutschland" in Medienberichten als Gründer in den Hintergrund gerät. Wird Toprak nach seinen Motiven gefragt, dann erklärt er das so: "Die Idee ist, Akteure, die seit Jahren als Einzelkämpfer unterwegs sind, zusammenzubringen, um ein Gegengewicht zum  Verbandsislam zu schaffen." Es gehe darum, den "fundamentalistischen Vereinigungen", die bislang als Ansprechpartner der Politik fungieren, etwas entgegenzusetzen, um jungen Menschen mit muslimischem Hintergrund eine Heimat zu bieten, so der Politikberater.

An sich ein löbliches Vorhaben. Die meisten Kritiker und Kritikerinnen stören sich denn auch weniger an der Idee als an den Mitstreiterinnen und Mitstreitern, die Toprak da "zusammengetrommelt" hat.

Gerade die Muslime, die es zu gewinnen gelte, würden nämlich abgestoßen durch Namen wie etwa Abdel-Samad, Seyran Ateş und Necla Kelek: So lautet eine Hauptkritik an der Initiative, die in den Sozialen Netzwerken von den einen bejubelt, von den anderen wiederum belächelt wird - als  eine Initiative von Personen, die darüber bestimmen wollen, wer ein guter Muslim ist und was ein "Deutschland-kompatibler Islam" zu sein hat.

Heimat- und Innenminister Horst Seehofer (CSU); Foto: Reuters
Bühne frei für den Heimatminister: "Muslime gehören zu Deutschland", betonte Horst Seehofer (CSU) in seiner Eröffnungsrede auf der vierten Deutschen Islam Konferenz in Berlin. Den umstrittenen Satz "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" aus einem Interview zu Beginn seiner Amtszeit wiederholt er nicht.

Die Politikwissenschaftlerin Schirin Amir-Moazami bringt das Problem in einem Gastbeitrag für "Zeit Online" auf den Punkt, wenn sie schreibt, dass es "im Integrationsgeschäft auch um Ressourcen und Deutungsmacht" gehe und dass die Politik "die Spaltungen innerhalb der islamischen Akteure verstärkt" habe.

Die Deutsche Islam Konferenz sei "eine Art Dompteurin geworden im Wettstreit der vertretenen Muslime und Musliminnen um die Gunst des Staates", so Professorin Amir-Moazami, die an der Freien Universität Berlin lehrt. Die Unterzeichner der "Initiative säkularer Islam" kritisiert sie, weil sie mit einem Schema von "guten und bösen Muslimen" operierten und ihre "eigene Islamversion zum Maßstab für die Lösung von sozialen Konflikten" machten. All die Muslime, deren Islamverständnis sich nicht einfüge in die Vorstellung von "keimfreier Religion", würden als rückständig dargestellt.

Diskussion über Verhandlungspartner ankurbeln

Um Theologisches geht es Özdemir nicht. Der Grünen-Politiker meint, dass es bereits im Vorfeld der Deutschen Islam Konferenz gut war, die Diskussion über die Frage nach den Verhandlungspartnern der Politik zu Islam-Themen anzukurbeln. In der Vergangenheit gab es übrigens immer wiedermal Versuche, prominente Personen unter einem Dach zu vereinen, um liberale Kräfte unter den Muslimen zu stärken - wie etwa das "Muslimische Forum Deutschland", das vor drei Jahren mit Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung gegründet wurde.

Ob Özdemir sich weiter engagieren will in der Initiative säkularer Islam? Diese Frage stellt sich ihm möglicherweise gar nicht. Im Gespräch macht er deutlich, dass er sich an dem Streit, wer mit wem nicht redet und warum, eher nicht beteiligen möchte, sondern weiterhin an der Seite all derer stehen möchte, die den Verbänden einen Transformationsprozess abverlangen wollen. Und all denen eine Stimme geben wollen, die sich unter dem Dach von Ditib, Millî Görüş und Co. nicht vertreten fühlen und sich gegen jede Form von Fanatismus und Nationalismus wenden – von  AfD bis AKP.

Der Initiative ist, kaum dass sie sich an die Öffentlichkeit wandte, prophezeit worden, ein "Rohrkrepierer" zu sein. So abwegig ist das nicht, ist doch auch das "Muslimische Forum Deutschland" inzwischen in Vergessenheit geraten.

Was Vorstöße wie die "Initiative säkularer Islam" und das "Muslimische Forum Deutschland" deutlich machen: Es fehlt an unverbrauchten Akteuren, die sich öffentlich engagieren für ein muslimisches Leben in Deutschland, das sich an den Grundwerten dieser Gesellschaft orientiert. Gebraucht werden glaubwürdige Akteure und keine, die "verbrannt" sind als Islamkritiker oder "kontaminiert" aufgrund ihrer Aktivitäten in rechtspopulistischen Kreisen.

Canan Topçu

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