Die Löwen der Tamashek-Musik

Seit 2012 wird das Leben der Kel Tamashek (Tuareg) regelmäßig durch Übergriffe Aufständischer überschattet. Doch mit ihrem "Sound der Wüste" versuchen Bands wie Terakaft die Tamashek-Kultur zu bewahren und der Gewalt etwas entgegenzusetzen. Richard Marcus stellt das neue Album der Wüstenrocker vor.

Von Richard Marcus

Die meisten von uns würden die wehenden Sanddünen der Sahara nicht als ideale Heimat bezeichnen. Aber die Kel Tamashek, allgemein unter den Namen Tuareg bekannt, sind dort seit über tausend Jahren zu Hause. Vom heutigen Algerien im Norden bis nach Niger im Süden haben sie ihre Herden und Karawanen über Gebiete geführt, die die meisten von uns als nicht bewohnbar bezeichnen würden. Obwohl sie zum Islam konvertiert sind, haben sie doch ihre alten Traditionen und Glaubensvorstellungen behalten, die eng mit ihrem nomadischen Lebensstil und ihrer symbiotischen Beziehung zur Wüstenlandschaft verbunden sind.

Als die Region allerdings in den 1960er Jahren nach dem Ende der Kolonialherrschaft in Staaten aufgeteilt wurde, hatten sie es immer schwerer, ihr Land und ihren Lebensstil zu verteidigen. Nach Jahren bewaffneten Widerstands und Verfolgung durch die Regierungen von Niger und Mali wurden schließlich mit den beiden Ländern Abkommen unterzeichnet, die den Kel Tamashek Anerkennung und gewisse Rechte einräumten. Zum Gedenken an diese Abkommen wurde im Jahr 2001 das jährliche "Festival au Desert" gegründet, ein internationales Musikfestival. Leider aber brach im Jahr 2012 die Gewalt erneut aus und bedrohte abermals den Lebensstil und die Traditionen der Kel Tamashek.

Auch in modernen Zeiten sind Musik und das Erzählen von Geschichten immer noch der Schlüssel zur Erhalt der eigenen Kultur. In den 1980er und 1990er Jahren wurde den "Gitarrenspieler" zur Last gelegt, unter den Kel Tamashek nationalistische Gefühle zu schüren, um die Regierungen Malis und Nigers zu provozieren. Die Drahtzieher der Aufstände von 2012 hatten es zwar auf alle Musiker abgesehen, aber die Tamashek-Bands wurden am stärksten bedroht, da das nördliche Mali ihre Heimat war.

Cover des Albums "Alone" von Terakaft; Quelle: Outhere records
Echoes of earlier music and new musical departures: "While that came under threat in recent years, Terakaft has remained true to its calling and continue to spread their message of hope and endurance both home and abroad," writes Richard Marcus

Doch die Rechnung dieser Kämpfer, die Bands schlussendlich zum Schweigen bringen und ins Exil zu treiben, ging letztlich nicht auf. Sie hatten die Entschlossenheit der Tamashek-Bands, ihre Tradition lebendig zu halten, offenbar unterschätzt.

Geboren aus dem Schmelztiegel der Rebellionen

Die Band Terakaft mit ihren führenden Mitgliedern Liya Ag Ablil (aka Diara) und seinem Neffen Sanou Ag Ahmed löste sich vor 20 Jahren aus der Gruppe Tinariwen heraus, dem berühmtesten musikalischen Exportartikel Nord-Malis. Diara war eines ihrer ersten Mitglieder, aber er verließ die Band 2007, um Terakaft zu gründen. Geboren aus dem Schmelztiegel der Rebellionen der 1980er und 1990er Jahre, wurden Musik und Songinhalte der Band durch die jüngsten Unruhen in ihrem Heimatland geglättet und präzisiert.

Ihr neustes Album "Alone", das jüngst bei Outhere Records erschienen ist, mutet etwas härter an als frühere Produktionen. Vielleicht spiegelt Terakaft auf diese Weise die konfliktreichen Ereignisse wider, die die Band in letzter Zeit erfahren musste. Allerdings zeugt die Musik auch von Spontaneität und Spielfreude.

Dem Titel des Albums nach zu urteilen, könnte man allerdings annehmen, die Stücke würden von Gefühlen der Einsamkeit handeln. Das Wort "Alone" hat aber mehr als eine Bedeutung und steht nicht zwangsläufig im Zusammenhang mit schlichter Isolation. Allein in der Wüste zu sein, bedeutet einerseits auch immer ein ästhetisches Empfinden der Umgebung. Andererseits besteht die Bedeutung des Albumtitels darin, dass die Kel Tamashek einfach allein gelassen sein wollen, um so ein Leben führen zu können, das sie bereits seit Jahrhunderten praktizieren.

"Wir sind hier und gehen nirgendwo anders hin"

Das Wissen darüber, wie sich Bands wie Terakaft bemüht haben, mit ihrer Musik ihre Kultur lebendig zu halten, indem sie an ihre Tradition und an die Belange ihres Volkes erinnern, könnte den Hörern auch Hinweise darauf geben, worum es bei den Stücken geht. Während sich Songtitel wie "Karambani" ("Gemeinheit") oder "Oulhin Asnin" ("Mein Herz leidet") offensichtlich auf den Terror der letzten Jahre beziehen, knüpfen Stücke wie "Tafouk Tele" ("Dort ist die Sonne"), "Itilla Ihene Dagh Aitma" ("An meine Brüder") oder "Wahouche Natareh" ("Löwen") an die frühere Musik der Band an, in denen es um das Leben in den Sanddünen und den Oasen der Sahara ging.

Für die Wüstenbewohner waren Löwen schon immer Symbole für Mut und Furchtlosigkeit, aber sie gelten auch als soziale Tiere, die nur überleben können, wenn sie als Großfamilie zusammenhalten. Dieses Tier zum Gegenstand ihrer Musik zu machen, kann sowohl als ein Appell an die Furchtlosigkeit verstanden werden, als auch als ein Aufruf an die Kel Tamashek, sich zu vergegenwärtigen, dass man als harmonische Gemeinschaft am besten überleben kann. Da die Tuareg ihren Lebensstil durch Gebietsverluste undKrieg heute immer schwerer aufrecht erhalten können, ist es für diese Menschen wichtiger denn je, denen, die ihnen schaden wollen, geschlossene entgegenzutreten.

Diejenigen, denen die vorherigen Alben von Terakaft geläufig sind, werden auf "Alone" eine deutliche musikalische Veränderung feststellen. Der Band zufolge war dies ein bewusster Versuch, den Sound einzufangen, den sie während ihrer Liveauftritte spielen. So meint denn auch Ag Ahmed von Terakaft: "Wenn wir auf der ganzen Welt spielen, ist der Sound machtvoller. Das liegt daran, dass wir sehen wollen, dass die Leute tanzen."

Vom pulsierenden Schlagzeug-Intro im ersten Stück, das uns bereits einen Vorgeschmack auf die nachfolgenden Songs eröffnet, bis hin zu den straighten E-Gitarren-Passagen, die sämtliche Songs durchziehen, ist dieses Album das bis heute wohl mutigste Statement dieser Ausnahmeband.

Da die Tuareg immer mehr Lebensraum verlieren, müssen sie als Teil der indigenen Völker weltweit immer härter um ihre kulturelle Identität und Tradition kämpfen. Ihre bevorzugte Waffe war in den vergangenen Jahren nicht zuletzt die Musik. Und trotz der jüngsten Bedrohungen sind Terakaft ihrem Selbstverständnis treu geblieben und verbreiten weiterhin ihre Botschaft der Hoffnung und des Durchhaltens, sowohl in ihrem Land als auch jenseits ihrer Grenzen. "Alone" ist die Art der Band zu sagen: "Wir sind hier und gehen nirgendwo anders hin".

Richard Marcus

© Qantara.de 2015

Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff