Unter kopflosen Buddhas

Zwei historische Stätten, die symbolisch für die tragische Geschichte Kabuls stehen, liegen nur wenige Meter voneinander entfernt: der zerstörte Darul-Aman-Palast und das afghanische Nationalmuseum, wo sich heute so gut wie kein Buddha finden lässt, der nicht kopflos ist. Von Emran Feroz

Von Emran Feroz

Am Museumsgelände patrouillieren Soldaten. Nach mehreren Körperdurchsuchungen gelangt man dann endlich in den Hinterhof des Museums, wo man unter anderem die erste - und letzte - Lokomotive Afghanistans sehen kann, die einst von deutschen Ingenieuren konstruiert wurde. Ein paar Schritte weiter befinden sich die Karossen der einstigen afghanischen Monarchen. Die meisten Oldtimer sind aus den 1920er Jahren und gehörten König Amanullah Khan, der einst beste Beziehungen zu Deutschland pflegte und auch für den Bau des Nationalmuseums verantwortlich war.

In der Eingangshalle steht ein sympathisch wirkender Museumsmitarbeiter und begrüßt die Besucher. Seit fast zwanzig Jahren arbeitet Noor Agha im Museum. Er musste zusehen, wie das Museum zu Bürgerkriegszeiten bombardiert wurde, wie es allmählich zerfiel und wie es schließlich Jahre später - dank intensiver Restaurationen - wieder aufblühte.

"Besonders schlimm war es zu Zeiten des Bürgerkriegs", erzählt Noor Agha. "Wir wurden evakuiert und das Museum diente fortan als Militärbasis. Es wurde viel zerstört und geplündert. In dieser Zeit gingen auch zahlreiche Schätze verloren."

Die meisten Unikate, die damals verschwanden, stammten hauptsächlich aus der Ära der Kuschana, des frühen Buddhismus und den Anfängen des Islams. Viele dieser Unikate werden weiterhin illegal auf dem Schwarzmarkt gehandelt. Doch das Museum bemüht sich, sie zurückzugewinnen. "Wir arbeiten mit Interpol, der UN und anderen Organisationen zusammen und setzten alles daran, um diese Gegenständen wiederzufinden. Sie sind ein wichtiger Teil unserer Kultur und gehören nur dem afghanischen Volk", meint Museumsdirektor Mohammad Fahim Rahimi.

Kunstsäuberung unter den Taliban

Auch während der Taliban-Zeit mussten die Museumsmitarbeiter leiden. Auf Befehl der Extremisten musste nämlich vieles, was ihren radikalen Vorstellungen nicht entsprach, zerstört werden. Vor allem Skulpturen, die Menschen darstellten – hauptsächlich Buddha-Statuen – wurden "Opfer" dieser Kunstsäuberung. Das Ergebnis kann man noch heute begutachten. Man findet im afghanischen Nationalmuseum nämlich so gut wie keinen einzigen Buddha, der nicht kopflos ist.

Eingang des afghanischen Nationalmuseums; Foto: DW
Hinter Stacheldraht und Polizei-Wachen: Nur ein kleiner Teil der Sammlung des Afghanischen Nationalmuseums in Kabul überstand den Bürgerkrieg und die Herrschaft der Taliban. Die meisten Unikate, die damals verschwanden, stammten hauptsächlich aus der Ära der Kuschana, des frühen Buddhismus und den Anfängen des Islams. Viele dieser Unikate werden weiterhin illegal auf dem Schwarzmarkt gehandelt. Doch das Museum bemüht sich, sie zurückzugewinnen.

Während man durch das Museum spaziert, hat man nicht das Gefühl, in Kabul zu sein. Man scheint weit weg von der Hektik und den überfüllten, staubigen Straßen der Hauptstadt zu sein. Die Atmosphäre ist angenehm ruhig, und dennoch sind hier nur wenige Besucher zu beobachten. "In den letzten Jahren ist das Interesse an der afghanischen Geschichte gewachsen, vor allem bei der Jugend", betont Museumsdirektor Rahimi.

Geleitet werden die Besucher meist von Museumsführern wie Noor Agha, der das besondere Talent besitzt, Geschichten zu erzählen. Abgesehen davon, dass er zu jedem Ausstellungsstück den exakten historischen Hintergrund kennt, vermag er es, die Besucher in jene Zeit zurückzuversetzen, in der Buddhas Lehre am Hindukusch verbreitet wurde oder Mahmoud von Ghazni sein islamisches Großreich errichtete.

Der Henker des steinernen Buddhas

Nur wenn es um die geköpften Buddhas geht, hängt er einige Minuten lang melancholisch seinen Erinnerungen nach. "Was diese Männer getan haben, hat nichts mit dem Islam zu tun", so Noor Agha, nachdem er erklärt hat, wer der Henker des steinernen Buddhas war.

Fuß einer riesigen Zeus-Statue aus einer antiken Stadt in Afghanistans Norden; Foto: picture-alliance/dpa
Wiederkehr geraubter Kunstschätze: Das afghanische Nationalmuseum feiert seit dem 21.6.2017 die Rückkehr eines gestohlenen Artefaktes - der Fuß einer riesigen Zeus-Statue aus einer antiken Stadt in Afghanistans Norden. Aber in den Provinzen, wo Krieg herrscht, werden weiter zahllose archäologische Stätten ausgeraubt. Zeus' Fuß ist eines der wenigen aus Afghanistan geraubten Stücke, die je heimgekehrt sind - ein japanischer Sammler hatte ihn vom Schwarzmarkt gerettet und zurückgegeben.

Im Museum lassen sich auch einige Fundstücke aus Bamiyan, der Heimat der legendären Riesenbuddhas finden. Es sind kleine Ausstellungsstücke, die dem Wahn der Fanatiker nicht zum Opfer fielen und unversehrt geblieben sind. "Was dagegen ihren großen Brüdern passiert ist, davon hat ja die ganze Welt erfahren", setzt Noor Agha traurig nach. Im März 2001 zerstörten Taliban-Kämpfer die Buddha-Statuen im Bamiyan-Tal, die laut UNESCO zum Weltkulturerbe Afghanistans zählten. Bis heute sind die Meinungen gespalten, ob Taliban-Führer Mullah Mohammad Omar wirklich persönlich den Befehl für die Zerstörung gegeben hat oder nicht.

Auch viele Buddhas aus dem Museum sind mittlerweile auf dem Schwarzmarkt gelandet. Nicht wenige von ihnen befinden sich im Besitz privater Sammler, die sie für sich behalten wollen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich unter diesen Sammlern auch einige hochrangige, afghanische Politiker befinden. Vor allem in diesen Fällen scheint die Rückgabe schwierig zu sein.In der Vergangenheit wurde immer wieder kritisiert, dass es an nötigem Druck fehle. Dies ist insofern kaum verwunderlich, da viele der besagten Personen zum Teil der afghanischen Regierung angehören. Auch Rahimi zögert, hierauf konkret einzugehen. "Wir geben unser Bestes", kommentiert er kurz und knapp.

Ein Albtraum für König Amanullah

Der Darul-Aman-Palast in Kabul; Foto: Naimat Rawan
Symbol für ein von Kriegen und Konflikten zerrissenes Land: Kabuls wohl bekannteste Ruine, der Darul-Aman-Palast, soll wieder auferstehen. Hierfür hatte das afghanische Parlament im Mai 2016 den Beschluss endgültig gefasst. Der Wiederaufbau wird etwa 15 Millionen Euro kosten und soll mindestens drei Jahre dauern. Geplant ist das Gebäude unter anderem als Sitz für das Oberste Gericht Afghanistans.

"König Amanullah würde sich wohl im Grabe umdrehen", meint indes Noor Agha. Der bereits erwähnte Amanullah Khan galt als fortschrittlicher Herrscher. Nicht nur im Museum, sondern auch in den Köpfen vieler Afghanen hat er bis heute seine Spuren hinterlassen.

Auch der nahe liegende Darul-Aman-Palast, an dem deutsche Ingenieure und Architekten federführend mitwirkten, wurde unter Amanullahs Führung errichtet. Der Palast, der im Laufe der Kriegsjahre von zahlreichen Raketen getroffen wurde und zur Ruine zerfiel, wird gegenwärtig restauriert.

Der westliche orientierte Amanullah hatte in den 1920er Jahren viele Reformen erlassen, die den klerikalen Kräften des Landes ganz und gar nicht gefielen. Letztendlich wurde er gestürzt und aus dem Land gejagt. "Wäre ihm bewusst, wie es heute um sein Land steht, würde er wohl in Tränen ausbrechen", bemerkt Noor Agha nachdenklich.

Emran Feroz

© Qantara.de 2017