
Coronavirus-PandemieAngst vor häuslicher Gewalt in Nahost
Am vergangenen Wochenende schlug die tunesische Ministerin für Frauen und Familie, Asmaa as-Suhairi, Alarm: Die Zahl misshandelter Frauen habe sich in ihrem Land seit der wegen des Coronavirus verhängten Ausgangssperre verfünffacht. Das geht aus Daten hervor, die in der Zeit zwischen dem 23. und 27. März erhoben wurden. Konkrete Zahlen nannte die Ministerin nicht.
Tunesien verfüge landesweit über acht Frauenhäuser, erklärte as-Suhairi. Um diese von der derzeit steigenden Nachfrage zu entlasten, sind jetzt verstärkt rechtliche Maßnahmen geplant. So werde das tunesische Justizministerium offensiver als bisher ein Gesetz aus dem Jahr 2017 zur Anwendung bringen, kündigte die Ministerin an. Dieses ermöglicht es, Personen, die häusliche Gewalt gegen Familienmitglieder ausüben, ihres Hauses oder ihrer Wohnung zu verweisen. Auf diese Weise sollen Opfer häuslicher Gewalt in Tunesien besser geschützt werden.
Körperliche Gewalt gehört in Nahost und Nordafrika, der sogenannten MENA-Region, für viele Frauen zum Alltag. Die arabische Zeitung "Al-Araby al-Jadeed" zitierte im März eine Studie der amerikanischen Princeton-University, derzufolge im Jemen, in Marokko, Ägypten, dem Sudan und in Algerien bereits ein Viertel aller Frauen von ihrem Partner geschlagen worden seien.
Zwar haben laut einer Studie der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) rund die Hälfte der MENA-Staaten inzwischen Gesetze gegen häusliche Gewalt erlassen. Doch die schützten die betroffenen Frauen bislang noch nicht ausreichend effektiv, so HRW weiter.
"Gewalt ist Teil meines Lebens"
Gewalt in der Ehe ist oftmals kein einmaliges Phänomen. Oft wird sie über Jahre oder sogar Jahrzehnte praktiziert, sagen Experten. "Körperliche Gewalt ist zu einem Teil meines Lebens geworden", sagt auch Wadia Mahmoud (Name von der Redaktion geändert) im Gespräch mit der DW. "Sie ist mit so vertraut wie das Essen, Trinken und die Luft, die ich atme. Ich kenne nichts anderes."
Die rund 50 Jahre alte Frau lebt in solcher Angst vor ihrem Ehemann und dessen sozialen Umfeld, dass sie öffentlich nicht nur unter einem Pseudonym reden, sondern auch nicht das Land erwähnt sehen möchte, in dem sie lebt.

Wadia heiratete vor mehr als 30 Jahren einen jungen Mann aus ihrer Verwandtschaft. Bereits seit damals leidet sie unter häuslicher Gewalt. Sich von dem prügelnden Mann loszusagen, vermochte sie nicht: "Immer wenn er mich schlug, suchte ich Schutz im Haus meiner Eltern. Doch ich hielt es nicht lange aus. Um keinen Skandal zu verursachen, kehrte ich immer wieder zu ihm zurück."
Sorge um die Kinder
In ihrer Familie ist Wadia Mahmoud nicht die einzige Person mit einer langen Leidensgeschichte: "Ich habe acht Töchter und einen Sohn. Auch sie kennen nichts anderes als Gewalt." Noch größer als ihre eigene Angst wurde so ihre Sorge um das Wohlergehen der Kinder. Denn sobald sie außer Haus war, schlug und unterjochte ihr Mann auch die gemeinsamen Kinder, berichtet sie.
"Meine Kinder weinten am Telefon und riefen nach mir. So kehrte ich immer wieder zurück", sagt Wadia Mahmoud. "Und immer, wenn ich nach einer Entbindung wieder nach Hause kam, musste ich feststellen, dass meine Kinder daheim Blutergüsse hatten. Überall hatten sie blaue Flecken: im Gesicht, an den Gliedmaßen, auf dem Rücken! Wie kann eine Mutter einen solchen Anblick ertragen?!" sagt sie. "Lieber werde ich selbst geschlagen, als dass man meinen Kindern auch nur ein Haar krümmt!"
Zumindest in einem Punkt fand Wadia Mahmoud Erleichterung: Oftmals war ihr Mann arbeitsbedingt über Wochen nicht zu Hause. "Das gab mir Gelegenheit, durchzuatmen und der Normalität zu entkommen, wenn auch immer nur für kurze Zeit. Wenn man mein Mann unterwegs war, dann war das für mich und meine Kinder immer wie ein Fest."