Blasphemieurteile in Indonesien
Politisierte Religion

Der Fall einer verurteilten Buddhistin auf Sumatra reiht sich in eine wachsende Zahl von Blasphemieurteilen. Mehr als 130 Menschen wurden seit Beginn der demokratischen Reformen 1998 wegen Blasphemie verurteilt – zehnmal soviel wie unter Indonesiens Ex-Diktator Suharto. Hintergründe von Rafiqa Qurrata A'yun

Während der Gouverneurswahlen 2017 in Jakarta wurde der zur Wiederwahl angetretene amtierende Gouverneur Basuki Tjahaja Purnama (bekannt unter seinem Spitznamen "Ahok") der Blasphemie für schuldig befunden und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Basuki ist Christ chinesischer Abstammung.

Im Vorfeld der diesjährigen indonesischen Präsidentschaftswahlen gab es eine weitere medienwirksame Verurteilung: Meliana, eine buddhistische, chinesischstämmige Frau, wurde zu achtzehn Monaten Gefängnis wegen Blasphemie verurteilt. Sie hatte sich über die Lautstärke der Gebetsrufe beschwert, die per Lautsprecher von einer Moschee in ihrer Nachbarschaft in Nord-Sumatra übertragen werden.

Im Oktober 2018 lehnten die Richter des Obersten Gerichtshofs von Nord-Sumatra die Berufung gegen das Urteil ab. Dieser Fall ist ein Indikator für die steigende Zahl von Blasphemieurteilen im Kontext einer zunehmenden Politisierung religiöser Fragen in der präsidentiellen Demokratie Indonesien.

Die Hintergründe

Der Fall Meliana nahm im Juli 2016 seinen Anfang, als sich die Frau bei einer Nachbarin über die Lautstärke der Lautsprecher einer angrenzenden Moschee beklagte. Zuerst versuchte der Dorfvorsteher die Beschwerde von Meliana im Rahmen einer Mediation zu lösen.

Obwohl bereits andere Anwohner Meliana Gotteslästerung vorgeworfen hatten, verzichtete der Verantwortliche der Moschee laut ihrem Anwalt Ranto Sibarani darauf, gegen Meliana vorzugehen. In ihrer Nachbarschaft kursierte jedoch das Gerücht, dass Meliana grundsätzlich gegen den Gebetsruf sei. Dies wiederum löste erboste Reaktionen aus, worauf in der folgenden Woche Randalierer zahlreiche buddhistische Tempel verwüsteten. Acht Randalierer wurden zu Gefängnisstrafen von ein bis vier Monaten verurteilt.

Die Buddhistin Meiliana bei einer Anhörung vor einem Gericht in Medan, Nord-Sumatra, am 21.08.2018; Foto: picture-alliance/AP Photo/B. Bakkara
Da Blasphemie im indonesischen Strafrecht nicht umfassend definiert ist, kann das Urteil gegen Meliana zu einem neuen Präzedenzfall werden, wonach Klagen über zu laute Moscheelautsprecher als Blasphemie ausgelegt werden. Laut Human Rights Watch wurde das Blasphemie-Gesetz von 1965 in den ersten vier Jahrzehnten in lediglich acht Fällen angewandt. Zwischen 2004 und 2014 unter dem damaligen Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono dokumentierte die Organisation bereits 125 Fälle. Seit der Amtszeit von Präsident Joko Widodo im Oktober 2014 wurden deswegen mindestens 23 Personen verurteilt.

Nach Untersuchung der Unruhen bezichtigte die örtliche Polizei Meliana der Provokation und beschuldigte sie der Blasphemie. Im August 2016 erklärte der Leiter der Strafverfolgungsbehörde der indonesischen Nationalpolizei (Bareskrim Polri) jedoch, dass Melianas Beschwerde wegen der lauten Gebetsrufe keine Blasphemie sei. Sechs Monate nachdem Meliana sich über den Lärm der Moscheelautsprecher beschwerte, erstattete die Polizei dennoch Anzeige wegen Blasphemie.

Mobilisierung militanter Islamisten

Im gleichen Zeitraum organisierten die militante islamische Massenorganisation "Front Pembela Islam" (dt.: Front der Islam-Verteidiger) sowie politische Gegner des amtierenden Gouverneurs Ahok eine Reihe von Massenkundgebungen in Jakarta mit dem Ziel, die Polizei dazu zu drängen, Ahok der Blasphemie zu beschuldigen. Dies veranlasste wiederum die "Aliansi Mahasiswa dan Masyarakat Independent Bersatu" (dt. Allianz der Studierenden und unabhängigen Gemeinschaften) in Nord-Sumatra dazu, Anfang Januar 2017 beim "Rat der indonesischen islamischen Geistlichen" (MUI) der Region Tanjungbalai eine Fatwa zum Fall Meliana wegen Beleidigung des Islam zu erwirken.

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Leserkommentare zum Artikel: Politisierte Religion

Ach nein! Bisher wurde uns doch immer vorgemacht Indonesien sei DAS muslimische Musterland in Sachen Demokratie und moderater Auslegung des Islam. Ich hatte da schon immer meine Zweifel vor allem aufgrund der Vorgänge in der Provinz Aceh, die auf andere Provinzen übergreifen. Öffentliche Prügelstrafe für kleinste "Vergehen" gegen absolut reaktionäre Moralvorstellungen, Kopftuchzwang, etc. pp sind doch dazu geeignet, sich massiv Sorgen zu machen über den Trend in diesem Land. Mich wundert nichts mehr. Der Lärmterror - auch mitten in der Nacht (für mich war und ist derartiger Lärm, dem ich jahrelang ausgesetzt war, permanente Körperverletzung) der Moscheen und Beerdigungsrituale ist übrigens auch in anderen muslimischen Ländern durch fast nichts mehr zu überbieten, ein Zeichen für den tollen "Respekt" den man Mitmenschen in islamischen Ländern unter dem Vorwand der Religiosität entgegenbringt.

Ingrid Wecker15.02.2019 | 18:21 Uhr