Aras Marouf, 20. Mai 2007

zu: Geschürte Angst, von Ömer Erzeren

Hallo Herr Erzeren,

Ihren Bericht zur politischen Krise in der Türkei habe ich mit Interesse gelesen.

Ich bin nicht der Meinung, dass die Massenproteste gegen die konservativ-islamische Regierung Erdogans nur ein Schlaglicht auf die von vielen befürchtete schleichende Islamisierung der Türkei und die Krise des politischen Systems werfen. Vielmehr zeigen sie die wahre nationale Identitätskrise in der Türkei.

Die Türken sind auf der Suche nach ihrer Identität. Das ist aber nicht neu. Sie suchen sie schon seit dem Sturz des Osmanischen Reiches. Die Suchorientierung ist aber falsch und bringt ihnen nur noch Enttäuschungen und Verletzung des türkischen Selbstwertgefühls.

Die Türkei hat immer verzweifelt versucht, eine westliche Identität […] zu finden und hat sich um ihre historische Identität nicht gekümmert. Alles Islamische, Arabische und Orientalische erinnert die Türken an die eigenen muslimisch-morgenländischen Wurzeln, die sie so sehr zu ignorieren versuchen.

Die Verpflichtung zur Pflege der kemalistischen Idee lässt dieses Land im 21. Jahrhundert immer noch in der Vergangenheit und für diese Vergangenheit leben. […]

Auch wenn die ausländischen Beobachter und die westlichen Regierungen sich aus den Staatspräsidentschaftswahlen in der Türkei mehr Demokratie erhoffen, die Ergebnisse werden dürftig sein, wenn nicht ernüchternd.

Ob die islamische AKP, die laizistisch-kemaliste CHP oder das Militär die Präsidentschaftswahlen im Juli 2007 gewinnt, es wird sich nichts daran ändern, dass ein identitätsloser Nationalismus weiterhin in der Türkei regieren wird […].

Demnach ist die Selbstfindung der Türkei nun wichtiger denn je. Diese Selbstfindung wird aber nur Erfolg haben, wenn die Türkei ihre Suchorientierung ändert. Die europäische Identität verlangt mehr Pluralismus und viel weniger Nationalismus.

Aras Marouf