
Arabische Literatur als KulturbereicherungLyrisches Neuland
Wir leben in polarisierenden Zeiten. Die Flüchtlingskrise hat Europa bereits nachhaltig verändert und wird dies wohl auch noch in Zukunft tun. Darin liegt allerdings auch die Chance, dass sich das konstruierte Bild des Westens vom Orient wandelt und durch die Authentizität und Vielfalt der ankommenden Menschen in seiner natürlichen Form ändert.
Der Wunsch, die Flüchtlingskrise von ihren negativen Aspekten zu lösen und als Möglichkeit zu begreifen, wird im kulturellen, insbesondere im literarischen Austausch Gehör finden. Denn künftig wird es darum gehen, immer wieder aufs Neue aktive Kulturschaffende zu finden und zu mobilisieren, die es sich zur Aufgabe machen, der nationalen Mystifizierung transnationale Gesellschaftsstrukturen entgegenzusetzen. Literatur kann einer der Motoren für diesen Prozess sein.
Ein herausragender Teil arabischer Literaturschätze blieb dem Westen bisher verborgen. Nicht zuletzt deshalb, weil es in der Vergangenheit oft an passablen Übersetzungen mangelte . Dem kann nun Abhilfe geschaffen werden, denn kaum einer kennt die Geschichten und die hiesige arabische Literaturszene besser als die Menschen, die dieser Tage Europa erreichen.
Das Verhältnis von Tradition und Moderne - das zentrale Thema der modernen arabischen Literatur - welches sich von außen nur mit Mühe greifen lässt - kann nun aus erster Hand lebendig und für ein großes Publikum erfahrbar werden. Aus der Tragödie, die sich durch Krieg, Flucht und Grenzzäune zu einem unmenschlichen Gebilde geformt hat, kann so ein neues, ein gemeinsames Bildnis entstehen.
Schattendasein der arabischen Literatur im Westen

Nebst der Translation mangelte es dem westlichen Publikum bislang auch an Interesse und Wertschätzung der arabischen Literatur. Zwar setzt sich die deutsche Komparatistik und Orientalistik seit langer Zeit aktiv mit den literarischen Produktionen der arabischen Welt auseinander - aber der Kreis jener, die Zugang und Interesse daran haben, ist überschaubar.
Zudem schafft es nur selten ein intellektueller arabischer Kopf in das Feuilleton deutscher Zeitungen oder Magazine. Meist gipfelt die Selektion der zuständigen Kulturredakteure in der Veröffentlichung jener Autoren, die schon hochgelobt und bis zur Ermüdung in westlichen Medien gefeiert wurden. Der Tellerrand wird nur bedingt erklommen, darüber hinaus führt der Weg jedoch selten.
Auch wenn wir in einer Zeit leben, in der literarische Studien über kontinentale Grenzen hinweg diskutiert werden und die globale Bühne viel eher zu erreichen ist als noch im letzten Jahrhundert, bleibt insbesondere die moderne arabische Literatur hierzulande immer noch weitgehend unbekannt.

Dies lässt sich exemplarisch an zwei Sachverhalten festmachen. Zum einen zählt die arabische Literaturszene im internationalen Vergleich zu den am wenigsten erforschten Literaturlandschaften. Zwar wird in der arabischen Welt Literaturkritik praktiziert und durch herausragende Stimmen - wie etwa von Abdelfattah Kilito - befeuert, dennoch beschränkt sich dieser Kreis auf eine kleine Anzahl und wird auch nicht, wie in vielen anderen Bereichen - beispielsweise der modernen Kunst - von der Diaspora übernommen.
Licht ins Dunkel bringen
Die berühmte Orientalistin Annemarie Schimmel hat zu Lebzeiten festgehalten, dass "man große Schriften, heilige Schriften, verehrte Schriften, große Gedichte in allen Sprachen, nicht mit unserer westlichen Haltung zu interpretieren versuchen sollte, sondern dass man sie sich von jemandem erklären lässt, mit jemandem lebt, mit jemanden liest, der auch den inneren Sinn zwischen den Zeilen versteht".
Die Voraussetzungen dies zu tun, waren nie günstiger. Wobei Schimmel mit ihrem Appell bereits einen Schritt weiter ist. Denn die Interpretation arabischer Literatur setzt zunächst deren Verständnis und Reflexion zwingend voraus.
Es wird in Zukunft also um zwei Dinge gehen: Gegenseitige Kenntnis und gegenseitiges Lernen voneinander. Wenn die "kulturelle Selbstbehauptung" ein wenig weicht, findet schließlich auch die Diversität ihre Nische.
Eine wunderbare Möglichkeit dies zu tun, ist gemeinsam zu lesen. Denn die Menschen, die erst vor Kurzem nach Deutschland gekommen sind, bringen einen unglaublichen Schatz mit sich: einen Kopf voller neuer Geschichten und Gedichte. Lyrisches Neuland, das sich in kleinen und großen Runden genießen und diskutieren lässt und - abgesehen von dem kulturellen Erkenntnisgewinn - einen wichtigen Beitrag im Prozess der Verständigung und Annäherung einnehmen kann.
Melanie Christina Mohr
© Qantara.de 2016
Leserkommentare zum Artikel: Lyrisches Neuland
Die Tatsache, dass zahlreiche arabische Schriftsteller, vor allem aus Syrien, in letzter Zeit in Deutschland Zuflucht fanden, impliziert, rein theoretisch, die Möglichkeit bzw. die Chance, den arabisch-deutschen Literaturaustausch und den interkulturellen Dialog zwischen Deutschland und der Arabischen Welt zu intensivieren.Unter den geflüchteten Schriftstellern befinden sich einige prominente, wie die Romanautorin Rosa Yasin Hasan, der Romancier Nihad Siris und der Philosoph Sadiq Galal al-Azm. Die Lyriker unter den geflüchteten Literaten sind so zahlreich, dass sie in diesem Jahr in Köln ein Festival für syrische Lyrik veranstalten konnten. Zu einem intensiven Literaturaustausch mit den deutschen Kollegen-innen ist es aber, aus mehreren Gründen, noch nicht gekommen. Ein wesentlicher Grund sind die sprachlichen Barrieren. Die syrischen Schriftsteller können nicht Deutsch, jedenfalls nicht genug, um mit deutschen Gesprächspartnern über Literatur kommunizieren zu können. Das Übersetzen bietet zwar eine Lösung dafür, aber nur in beschränktem Maße. Nicht immer ist ein Übersetzer da, und wenn er da ist wird er nicht ohne weiteres Literatur übersetzen können. Der zweite Grund sind die Möglichkeiten des Publizierens in Deutschland in arabischer Sprache. Diese Möglichkeiten sind sehr begrenzt. In Deutschland gibt es nicht viele arabischsprachige Zeitungen, Zeitschriften und Verlage wie in London oder in Paris. Der einzige bedeutende arabischsprachige Verlag, der seinen Sitz in Deutschland hat, ist "Al-Gamal Verlag" in Köln. Hinzu kam vor wenigen Jahren der Alawi-Verlag, der allerdings nur Übersetzungen ins Deutsche publiziert. So bleibt den in arabischer Sprache schreibenden syrischen Literaten in Deutschland nur das elektronische Publizieren übrig, und davon machen viele von ihnen Gebrauch. Sie publizieren ihre Texte in den zahlreichen arabischsprachigen elektronischen Zeitungen und Portalen, aber auch in eigenen Homepages, Websites und vor allem auf Facebook-Seiten. In diesen Medien ist eine eindrucksvolle Literaturszene entstanden.In der von mir betreuten FB-Gruppenseite <Arabisch-deutsche Literaturkontakte> wird diese Szene zum Teit dokumentiert. Zur Berührung mit der deutschen Öffentlichkeit kommen aber nur jene syrische Schriftsteller, die zu zweisprachlichen Lesungen oder zu Literaturfestivals eingeladen werden. Die einzige Gruppe von syrischen Schriftstellern, die die deutsche Gegenwartsliteratur deutlich beeinflusste und befruchtete, sind die aus Syrien stammenden, und in deutscher Sprache schreibenden Erzähler und Lyriker, wie Rafik Schami, Adel Karachouli und Taufiq Soleman. Sie haben sich als Repräsentanten der "Interkulturellen Literatur" Deutschlands schon lange etabliert und genießen nicht nur eine breite Leser-Rezeption, sondern auch eine literaturwissenschaftliche Rezeption in Form von Disseertationen, Masterarbeiten und Bachelorarbeiten. In ihrem Fall kann von einem bedeutenden Beitrag zur deutschsprachigen Kultur der Gegenwart gesprochen werden. Bei den neuen, nach Deutschland geflüchteten syrischen Schriftstellern muss viel getan werden, damit sie von der deutschen Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen werden. Diese größtenteils jungen Literaten stellen ein großes literarisches Potential dar, das gefördert werden müsste. Das ist eine lohnende kulturpolitische Aufgabe u.a. für die deutsche Arabistik und die arabische Germanistk. Sie könten in dieser Hinsicht einen bedeutenden Beitrag zu den arabisch-deutschen Beziehungen der Gegenwart leisten. Ich hoffe, dass sie diese Aufgabe wahrnehmen. Abschließend möchte Frau Melanie Mohr dafür danken, dass sie dieses höchst akktuelle Thema behandelte. (ayabboud@yahoo.de)
Prof. Dr. Abdo ...12.09.2016 | 16:17 Uhr