Auch weißer Terror tötet

Reaktionen von Politikern und Medien sind nach islamistischen Anschlägen oft gleich: lautstark und routiniert. Ist der Attentäter aber kein Muslim, wird runtergefahren. Von Michael Thumann

Von Michael Thumann

Ach, Trump. Nach dem islamistischen Attentat mit einem Pick-up-Laster in Manhattan überschlug er sich geradezu mit Vorschlägen, wie man Muslimen die Einreise in die USA verwehren und ihnen das Leben erschweren könne. Nach dem Anschlag eines Amokläufers im texanischen Sutherland Springs empfahl er hingegen Gebete.

Donald Trump hat uns allen bewiesen, dass er ein populistischer Zyniker ist. Was soll man von ihm schon anderes erwarten? Wenn wir uns aber umsehen, merken wir, dass diese Form des Trumpismus allmählich Schule macht. Der Präsident steht nämlich für eine Tendenz, die längst westliche Gesellschaften erfasst hat: die Hierarchisierung von islamistischen Anschlägen und anderen Terrorakten.

Schauen wir einfach mal in die Redaktionen deutscher Fernsehanstalten oder Zeitungen. Wenn die ersten Meldungen eines Anschlags über den Nachrichtenticker laufen, beginnen einige Redakteure auszuwählen – und zwar nach dem Prinzip der Alarmhierarchie. Die ordnet sich nach zwei Fragen: War es ein Islamist? War es ein Flüchtling? Wenn nicht, dann sinken Adrenalinpegel und Alarmierung. Dann kann ein Anschlag auch schon mal nach einem Tag aus den Nachrichten verschwinden.

Bei einem islamistischen Angriff hingegen gerät man in Wallung: Die ersten Seiten der Zeitung werden freigemacht, die öffentlich-rechtlichen Sender planen den Terror-Brennpunkt schnell für die beste Sendezeit ein und sogenannte Terrorismusexperten bekommen das Wort. Meistens dürfen dann Politiker in Talkshows ihr Entsetzen ausdrücken und altbekannt-hilflose Maßnahmen fordern. Und da die öffentlich-rechtlichen Talkshows nicht Aufklärung fördern, sondern Streit, hauen die Teilnehmer munter drauf, erklären dabei wenig bis gar nichts. Am Ende entstehen Bilder, die nicht mehr vergehen.

Wir folgen stereotypen Bildern und verfolgen uns damit selbst

"Gewaltbereite Islamisten" – wie erkennt man die? Wir alle hatten doch schon einmal das dumme Gefühl in der U-Bahn gehabt, wenn ein Mann mit schwarzem langem Bart und großem Rucksack oder Koffer in den Waggon stieg. Und waren erleichtert, wenn er irgendwo wieder ausstieg. Wir folgen den stereotypen Bildern und verfolgen uns damit selbst.

US-Präsident Donald Trump; Foto: Reuters
"Trumpisierung" der Welt: Donald Trump hat uns allen bewiesen, dass er ein populistischer Zyniker ist. Was soll man von ihm schon anderes erwarten? Wenn wir uns aber umsehen, merken wir, dass diese Form des Trumpismus allmählich Schule macht. Der Präsident steht nämlich für eine Tendenz, die längst westliche Gesellschaften erfasst hat: die Hierarchisierung von islamistischen Anschlägen und anderen Terrorakten.

Tatsächlich ist es schwer, Mittel gegen die Gefahr zu finden, dass ein Fanatiker sich in einen Lastwagen setzt und in die Menge rast. Deshalb weichen manche dann auf Ersatzhandlungen aus. Es entstehen Debatten, in denen die rituelle Aufforderung an Muslime gerichtet wird, sich doch jetzt mal vom Terror zu distanzieren. Diese Aufforderung ist deshalb so verstörend, weil sie jedem Muslim implizit unterstellt, er sei ein potenzieller Terrorist, dass seine Religion ein Problem habe.

Genauso eindimensional ist übrigens der umgekehrte Reflex, zu sagen: "Das hat nichts mit dem Islam zu tun." Natürlich hat es mit dem Islam zu tun, wenn sich Terroristen seiner bemächtigen und aus zusammengewürfelten Versatzstücken der Religion eine Ideologie basteln, der erschreckend viele junge Leute verfallen. Der Kampf dagegen ist zu einer Generationenaufgabe geworden. Jedoch lässt sich aus dem Islam nicht eine terroristische Handlung ableiten, wie manche westlichen Autoren in unheiliger Einheit mit dschihadistischen Vordenkern folgern.

Differenzierung unerwünscht

Differenzieren fällt schwer, gerade in Talkshows, in denen Zoff zählt. Nach einem islamistischen Anschlag werfen Teilnehmer oft alles munter zusammen, den Terror, die Flüchtlinge, die sexuelle Belästigung von Frauen, Kopftücher und natürlich die Burka, die Ganzkörperverhüllung. Aus solchen Zutaten kochen dann manche Regierungen eine Politik zusammen, die Missstände bekämpft, die nach realer Statistik keine sind. Das Verhüllungsverbot in Österreich ist so eine Lösung für ein Problem, das es eigentlich nicht gibt.

In der Aufregung über islamistische Attacken entgehen uns die Anschläge der anderen. Ein Terrorist wie Anis Amri tauchte in der Masse der Migranten und Flüchtlinge unter, um in Berlin den ersten großen Terroranschlag zu verüben. Ein Flüchtling in Schwerin wurde erst kürzlich an einem tödlichen Angriff gehindert.

Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass die meisten Anschläge auf Flüchtlinge und Flüchtlingsheime verübt werden. In den ersten neun Monaten dieses Jahres wurden in Deutschland bereits 211-mal Asyl- und Flüchtlingsheime attackiert. Überfälle, Sprengstoffanschläge, Brandstiftungen: In der Regel führen solche Attacken zu keinem Brennpunkt oder zu einer Talkshow, sonst wäre fast jeden Tag ein Brennpunkt im TV zu sehen. Doch solche Attacken sind Alltag in Deutschland.

Muslimischer Mann aus Manhattan hält während einer Nachtwache für die Terroropfer von New York ein Schild mit der Aufschrift "New York City liebt Muslime" hoch; Foto: dpa
Furcht vor Stigmatisierung und pauschalen Verdächtigungen nach islamistischen Terroranschlägen: "Es entstehen Debatten, in denen die rituelle Aufforderung an Muslime gerichtet wird, sich doch jetzt mal vom Terror zu distanzieren. Diese Aufforderung ist deshalb so verstörend, weil sie jedem Muslim implizit unterstellt, er sei ein potenzieller Terrorist, dass seine Religion ein Problem habe", schreibt Thumann.

Was hier aus dem Blick gerät: Rechtsterrorismus, NSU – da war doch mal was. Und was wir schon fast für ausgestorben hielten: linke Gewalt gegen Objekte und Menschen. Lange Zeit wurde das linke Milieu als Jugendgrille verniedlicht und weggeredet, bis Linksextremisten beim G8-Gipfel in Hamburg eine Orgie der Gewalt inszenierten. Und immer häufiger ist weißer Terrorismus frustrierter Männer mit dabei, die mit Gewehren losziehen.

Radikaler Islamismus trifft zuallererst die islamische Welt

Der islamistische Terror ist ein Teil der weitgefächerten Terrorismen und – kein Zweifel – er ist eine der großen Bedrohungen unserer Zeit. Islamistische Anschläge verdienen deshalb Brennpunkte und Titelseiten einerseits und den Antiterrorkampf mit Luftangriffen gegen Terroristen im Irak und Syrien andererseits. Letztere zeigen: Radikaler Islamismus trifft zuallererst und am häufigsten die islamische Welt. Terrorgruppen nutzen das Internet, die Flüchtlinge und die Ideologie aus, um Terrorismus weiter nach Europa und nach Amerika zu tragen. Sie haben das Ziel, den Frieden, den freiheitlichen, liberalen Staat und die offene Gesellschaft zu zerstören.

Allerdings wollen das andere auch, denn die offene Gesellschaft und die liberale Ordnung haben viele Feinde. Trump ist einer von ihnen. Populistische Bewegungen in Europa, nationalistisch-autoritäre Regime in Osteuropa und Asien. Man wird sehen, welcher Angriff am Ende wirksamer ist. Der politische oder der terroristische.

Bei einem Blick auf die Schwäche des islamistischen Terrorismus wird klar, dass Terroristen keinen Rückhalt in der Bevölkerung genießen. Sie haben keine Basis außer dem Internet und der Ideologie. Linksextremisten sind oft besser vernetzt, tauchen unter in Demonstrantenmassen. Rechtsextremisten nutzen die Ressentiments der Bevölkerung als Deckung. Weiße Terroristen, Amokläufer und planvolle Mörder wie in Las Vegas sind vielleicht die Gefährlichsten, weil sie gar keiner Ideologie, keiner Logik folgen. Sie können jederzeit aus der Unscheinbarkeit der Normalität auftauchen und zuschlagen.

Deshalb ist es so verrückt, dass sich die USA nach jedem Anschlag Debatten leisten. Konsequenzen bleiben aus, weil sich aus ideologischen Gräben keine rationale Schlussfolgerung ziehen lässt. Dabei ist der Beweis, dass viele Waffen in der Bevölkerung zu vielen Anschlägen auf die Bevölkerung führen, bereits Dutzende Mal erbracht.

Für die Opfer ist islamistischer Terror nicht schlimmer oder furchtbarer als weißer Terror. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie wollen töten, massenhaft, mit größter Schockwirkung. Die Alarmhierarchie mancher Medien sortiert dabei auch die Opfer. Höchste Zeit, diese Übung zu beenden.

Michael Thumann

© Die Zeit 2017