Streit in Berlin: Wie jüdisch soll das Jüdische Museum sein?

Das Jüdische Museum Berlin ist ein Publikumsmagnet. Aufsehen erregte es zuletzt aber nicht wegen seiner Ausstellungen. Das Haus steht jetzt vor schwierigen Entscheidungen. Von Esteban Engel

Wieviel Judentum sollte in einem jüdischen Museum stecken, welche Rolle dabei Israel als Staat der Juden spielen? Nicht erst seit dem Rücktritt seines Direktors gibt es Streit um das Jüdische Museum Berlin (JMB). Die Museumsempfehlung eines Artikels über die antiisraelische Kampagne BDS ist vorläufiger Schlusspunkt. Peter Schäfer, ein weltweit anerkannter Judaist, trat zurück, «um weiteren Schaden» abzuwenden, wie es hieß.

Weniger als ein Jahr vor der Eröffnung der neuen Dauerausstellung im größten jüdischen Museum Europas mit bisher mehr als elf Millionen Besuchern steht das Haus aus dem Bereich von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) vor heiklen Entscheidungen.

Vorerst soll eine Vertrauensperson das Museum leiten, wie der Stiftungsrat beschloss. Dies betreffe insbesondere konzeptionelle Fragen. Eine Kommission muss einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für Schäfer finden - keine leichte Aufgabe angesichts der Querelen. Zwar hatte Direktor Schäfer die umstrittene Leseempfehlung nicht selbst über Twitter abgesetzt. Bis zuletzt musste er viele Vorwürfe an das Museum abwehren - und brachte sich dabei selber in die Kritik.

Dabei war die Eröffnung im Bau des Architekten Daniel Libeskind 2001 als deutsch-jüdischer Meilenstein gefeiert worden. Damals gab es Einvernehmen über die Ausrichtung des Museums mit seiner Schau zu 2000 Jahren jüdischen Lebens in Deutschland. Der frühere US-amerikanische Finanzminister und Holocaust-Überlebende W. Michael Blumenthal stand als Gründungsdirektor auch persönlich für diese Verständigung. Dieser Konsens wird nun zunehmend infrage gestellt.

So forderte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im vergangenen Jahr auf, die Ausstellung «Welcome to Jerusalem» abzusetzen. Das Museum stelle dort einseitig die palästinensische Sicht auf die Stadt dar, Merkel sollte die Finanzierung des Museums einstellen. Grütters wies energisch Netanjahus Ansinnen als unzulässige Einmischung zurück.

Kritik gab es auch, nachdem Schäfer den iranischen Kulturattaché im Museum zum Besuch empfangen hatte, also einen Vertreter jenes Landes, das die Auslöschung Israels zur Staatsräson erklärt hat. Der Direktor räumte ein, die Einladung sei ein Fehler gewesen.

«Das Maß ist voll. Das Jüdische Museum Berlin scheint gänzlich außer Kontrolle geraten zu sein», erklärte der Zentralrat der Juden, nachdem das Museum einen «taz»-Artikel getwittert hatte. Darin kritisierten israelische und jüdische Wissenschaftler den Bundestagsbeschluss, die BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) gegen Israel als antisemitisch einzustufen. Zuvor hatte der Zentralrat gefordert, das Museum müsse «jüdischer» werden.

Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn sieht das JMB vor einem Scheideweg. Das Haus müsse für sich klären, ob es das Spezifische am Judentum darstellen wolle oder sich vielmehr als «lebendiger Ort der Reflexion über die jüdische Geschichte und Kultur sowie über Migration und Diversität in Deutschland» verstehe, wie es in der Selbstdarstellung auf der Museumswebsite steht. Judentum als Kernbotschaft oder noch dazu die Suche nach Verständigung mit den Muslimen im Programm? Beides gehe nicht, schrieb Wolffsohn im «Tagesspiegel». Das Haus sollte sich davor hüten, sich den «Nahost-Islam-Sprengstoff» noch aufzubürden.

Doch wer bestimmt eigentlich, was jüdisch ist? Mit der Frage mischten sich der israelische Historiker Moshe Zimmermann und der frühere Botschafter Shimon Stein in die Debatte ein. «Was jüdisch ist, entscheidet nicht allein Israel. Die Vielfalt im Judentum ist enorm. Das hat auch das Jüdische Museum Berlin zu vermitteln versucht.»

Die Kippa sei nicht das Symbol des Judentums, Reformjuden gehörten ebenso dazu wie Orthodoxe. Beim aktuellen Streit gehe es «um prinzipielle Fragen, um die Streitkultur in Deutschland, um Meinungsfreiheit und nicht zuletzt um Deutungshoheit», schrieben sie im «Tagesspiegel».

Grütters hat indes klargestellt, dass das Museum keine Richtungsänderung brauche. Seine Autonomie sei ein hohes Gut, das Museum müsse vor Unterstellungen und Vereinnahmung geschützt werden - von welcher Seite auch immer. (dpa)