Papst-Reise auf der Arabischen Halbinsel: Katholisch-islamischer Meilenstein

Schon vor seinem Abflug nach Abu Dhabi am vergangenen Sonntag platzierte Papst Franziskus die Meldung des Tages: seine Kritik am Krieg im Jemen und die Forderung an die Internationale Gemeinschaft, den Opfern zu helfen und die Gewalt dort zu beenden. Nachrichtlich sei das ein guter Auftakt gewesen, so die einhellige Meinung der Journalisten im Papstflieger, die eine knappe Stunde später mit Franziskus an den Arabischen Golf aufbrachen.

Dass der Vatikan bereits zuvor einen Hinweis gegeben hatte auf eine noch viel größere Nachricht, ahnte zu dem Zeitpunkt kaum jemand. Gut zwei Stunden vor dem Abflug bestätigte der Vatikan, dass der ehemalige Berater des Großimams der Al-Azhar-Universität in Kairo mit dem Päpstlichen Piusorden geehrt werde. Mohamed Mahmoud Abdel Salam, langjähriger enger Mitarbeiter von Großimam Ahmad Mohammad al-Tayyeb, werde die Großkomtur des Piusordens am 26. März für seine "hervorragende Arbeit" im interreligiösen Dialog und bei der Stärkung der Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und Al-Azhar überreicht. Eine nette Geste, dachten die meisten. Der nähere Hintergrund offenbarte sich am Montagabend.

Vor dem Denkmal des Staatsgründers der Vereinigten Arabischen Emirate, Scheich Zayid bin Sultan Al Nahyan (1918-2004), füllte sich die Arena mit rund 400 Teilnehmern der zweitägigen interreligiösen Konferenz zu "Human Fraternity". Gleich würden der Großimam und der Papst ihre Reden halten. Hintergrundmusik füllte das Halbrund, Weihrauchduft zog über die gepolsterten Ränge - und unter den Journalisten kreiste plötzlich die Frage: Habt ihr etwas gehört, dass es eine gemeinsame Erklärung geben soll? Stirnrunzeln, gezuckte Schultern - warum, wer sagt das? Vor den beiden Reden gibt es noch ein arabischsprachiges Video mit englischen Untertiteln über interreligiösen Dialog, menschliche Geschwisterlichkeit, Frieden, Einsatz gegen Terrorismus, Hass und Extremismus - und Hinweise auf "the document". Also doch, da muss etwas kommen ...

Nachdem Al-Tayyeb und Franziskus ihre recht langen und durchaus deutlichen Reden auf Arabisch und Italienisch beendet haben, begeben sich beide an einen Tisch. Die Moderatorin kündigt an, beide Religionsführer würden nun eine gemeinsame Erklärung unterzeichnen, ein "Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt". Fromme, schöne Worte religiöser Führer ist man gewohnt. Doch dieser Text hat es in sich, könnte besonders in der arabischen Welt enorme politische Bedeutung entfalten.

So klar, wie der Großimam und der Papst für Religionsfreiheit, Frauenrechte und Nachhaltigkeit werben, so deutlich, wie sie jegliche Gewalt und Extremismus im Namen Gottes, aber auch religionsfeindlichen Säkularismus und amoralischen Individualismus verurteilen, will das nicht jeder Machthaber oder traditionalistische Prediger hören, nicht nur im Nahen Osten. Auch im Westen sollten manchem die Ohren klingeln. Immer warnten Großimam und Papst davor, Gottes Namen für Gewalt zu missbrauchen: "Gott, der Allmächtige, hat es nicht nötig, von jemandem verteidigt zu werden. Und er will auch nicht, dass sein Name benutzt wird, um die Menschen zu terrorisieren."

Weitere Beispiele: "Die Freiheit ist ein Recht jedes Menschen: ein jeder genießt Bekenntnis-, Gedanken-, Meinungs- und Handlungsfreiheit." Kein Mensch dürfe gezwungen werden, "eine bestimmte Religion oder eine gewisse Kultur anzunehmen". Alle "unmenschlichen Praktiken und volkstümlichen Bräuche, welche die Würde der Frau erniedrigen", seien einzustellen. Es sollten "Gesetze geändert werden, welche die Frauen daran hindern, ihre Rechte voll zu genießen".

Vieles wird im Vatikan vertraulich erarbeitet und etliches dennoch "geleakt". Von diesem gemeinsamen Bekenntnis, der Absichtserklärung der katholischen Kirche und Al-Azhar, einer der höchsten Lehrautoritäten des sunnitischen Islam, drang nichts durch. Bis zu dem Moment, da es in Abu Dhabi unterzeichnet wurde. Zu groß sei die Gefahr gewesen, dass es durch Einflussnahme aus anderen Staaten - etwa Saudi-Arabien - oder Extremisten boykottiert worden wäre.

Nachdem andere anerkannte Lehrautoritäten der islamischen Welt in den vergangenen Jahrzehnten unter den regionalen Einfluss von Extrempositionen geraten sind, ist Al-Azhar die einzig verbliebene panislamische Autorität. Das Verhältnis zwischen ihr und der Regierung in Kairo - ob unter der Muslimbruderschaft unter Ex-Präsident Mohammed Mursi oder derzeit Abd al-Fattah as-Sisi - ist aus verschiedenen Gründen nicht ganz spannungsfrei. Zudem hat der Großimam von Al-Azhar nicht die Durchgriffsmöglichkeiten des Papstes der katholischen Kirche.

In der katholischen Welt soll das Konsensdokument zwischen Kirche und Al-Azhar eingehend studiert, gelehrt und weiterentwickelt werden - als Teil der Umsetzung des Zweiten Vatikanums, wie Franziskus auf dem Rückflug sagte. Ob und wie sehr es in der islamischen Welt rezipiert wird, muss sich zeigen. Gegen den von den Saudis finanziell gepushten Wahhabismus oder den von iranischen Ayatollahs geprägten Schiismus wird es schwer sein. Aber nicht nur die von den Emiraten organisierte interreligiöse Konferenz über menschliche Brüderlichkeit, anlässlich der Franziskus nach Abu Dhabi reiste, beweist: Auch in der islamischen Welt gibt es viele, die gegen die Instrumentalisierung Gottes für extremistische und politische Ziele sowie für Dialog, Toleranz und mehr Freiheit eintreten.

Im Rückblick erhalten so die vor Beginn der Papstreise geäußerten Metaphern von einem "neuen Kapitel" oder "wichtigen Meilenstein" eine konkretere Bedeutung. Zumindest haben Franziskus und Al-Tayyeb dem eine Chance gegeben. Zu ihren Ehren wollen die Emire am Golf daher auch eine "St.-Francis"-Kirche und eine "Ahmad al-Tayyeb"-Moschee bauen. Die Grundsteine zu den beiden Gotteshäusern konnten Papst und Großimam im Anschluss an das Konsensdokument gleich mit signieren.

Entstanden ist das Dokument in gut einjähriger vertraulicher Zusammenarbeit zwischen dem Vatikan und der Al-Azhar in Kairo, wie Franziskus auf dem Rückflug nach Rom verriet. Ein Team im Vatikan und eines um Großimam Al-Tayyeb habe wechselseitig daran gearbeitet. Und zum Kairoer Team gehörte auch Mohamed Mahmoud Abdel Salam, der am 26. März den Pius-Orden erhält. (KNA)