Özdemir fordert «Zeitenwende» im Umgang mit der Türkei

Solingen. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) hat nach der Wiederwahl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan eine Zeitenwende in der deutschen Türkei-Politik gefordert. «Wir haben im Umgang mit Putin gesehen, wozu das führt, wenn man sich eine Situation schönredet», sagte Özdemir am Montag vor Journalisten in Solingen mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin.



«Die Zeitenwende, die wir Gott sei Dank endlich haben im Umgang mit Putin, die braucht es jetzt auch im Umgang mit türkischem Ultranationalismus, die braucht es jetzt auch im Umgang mit Fundamentalismus», forderte er.



Die Wiederwahl Erdogans habe konkrete Folgen für die Gesellschaft in Deutschland - unter anderem, weil viele in Deutschland tätige Imame von der türkischen Religionsbehörde entsandt würden. Man müsse darüber sprechen, welche Konsequenzen es habe, «wenn die nächste Generation von Imamen aus der Türkei noch nationalistischer, noch religiös fundamentalistischer sein wird. Das werden ja welche sein, die Kinder beeinflussen in Deutschland», sagte Özdemir.



Fast alle Bundesländer verhandelten im Moment mit islamischen Dachverbänden über Staatsverträge und über islamischen Religionsunterricht an den Schulen. «Und zwar völlig frei davon, welche Ausrichtung diese Verbände haben, wie sie stehen zu den autoritären Verhältnissen in den Herkunftsländern. Diese Art des Schönredens einer Situation, die von Jahr zu Jahr extremer wird, die muss ein Ende haben», forderte der türkeistämmige Minister.



Auch der laute Jubel vieler Erdogan-Anhänger in deutschen Städten sende ein verstörendes Signal an die deutsche Gesellschaft. «Die hupen, weil jemand eine Wahl gewonnen hat, der das Land in eine Art offenes Gefängnis verwandelt, während sie hier gleichzeitig die Vorzüge einer liberalen Demokratie genießen.» Wenn junge Türken den Erdogan-Sieg so ausgelassen feierten, sei das «gleichzeitig auch eine Absage an das Zusammenleben hier, eine Absage an die liberale Demokratie», sagte Özdemir.



«Niemand hat ein Problem damit, dass Muslime in der Bundesrepublik Deutschland ihre Bedürfnisse hier organisieren und artikulieren. Aber bitteschön auf dem Boden des Deutschen Grundgesetzes, nicht auf dem Boden der Verfassung eines anderen Landes», sagte Özdemir.



Özdemir hatte unmittelbar nach dem Sieg Erdogans bei der Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei bei Twitter das Wahlverhalten von Türken in Deutschland bereits scharf kritisiert. Bei der Stichwahl am Sonntag stimmte eine deutliche Mehrheit der Wahlberechtigten in Deutschland für Erdogan. Anschließend gab es in vielen deutschen Städten Autokorsos und Feiern von Erdogan-Anhängern. (dpa)