Friedensnobelpreis für jesidische Aktivistin Nadia Murad

Die Jesidin Nadia Murad wurde von der Terrormiliz «Islamischer Staat» verschleppt. Heute nutzt die 25-jährige Irakerin als UN-Sonderbotschafterin die Öffentlichkeit, um auf das Schicksal ihres Volkes aufmerksam zu machen. Von Judith Kubitscheck

Die Jesidin Nadia Murad wuchs im Nordirak ärmlich, aber glücklich auf. Sie ging zur Schule und träumte davon, einen Friseursalon zu eröffnen. Bis die Terrormiliz «Islamischer Staat» (IS) im August 2014 ihr Dorf Kocho angriff und das behütete Leben der damals 21-Jährigen mit einem Schlag zerstörte: Hunderte Männer wurden hingerichtet - darunter auch sechs ihrer Brüder. Sie selbst wurde wie viele andere Mädchen und Frauen als «sabaya» - Sexsklavin - verkauft und gezwungen, zum Islam zu konvertieren. Doch diese Gräuel zerbrachen sie nicht, sondern ließen sie zum Gesicht der Jesidinnen werden. Für ihr Engagement erhält sie den Friedensnobelpreis.

«Ich habe die dunkelsten Seiten der menschlichen Natur kennengelernt», sagt Murad. «Was Frauen wie mir und meinem Volk geschehen ist, ist exemplarisch für das, was Menschen anderen Menschen antun können.» Mit ihrem Einsatz wolle sie dazu beitragen, dass dieses Grauen nicht verschwiegen wird - und alles dafür getan wird, um dies in Zukunft zu verhindern.

Was Murad in den Monaten als Sexsklavin durchmachte, gleicht der Hölle auf Erden: Ihr erster Käufer war Hadschi Salman, ein IS-Richter aus Mossul, der sie zwang, sich vor jeder Vergewaltigung hübsch anzuziehen und zu schminken. Nach einem Fluchtversuch wurde sie ausgepeitscht und eine Nacht den Hauswächtern zur Rache überlassen. Danach wurde sie weiterverkauft und an einem Checkpoint von so vielen Männern vergewaltigt, bis sie bewusstlos war. «Irgendwann gibt es nur noch die Vergewaltigung und sonst nichts mehr. Der eigene Körper gehört einem nicht mehr und man hat die Energie verloren zu reden, sich zu wehren, oder über die Welt da draußen nachzudenken», sagt Murad.

Andere Freundinnen und Verwandte mussten als Sexsklavinnen ähnlich Schlimmes erleben. «Diese Männer waren alle gleich, sie waren Terroristen, die es für ihr Recht hielten, uns wehzutun», sagt die junge, zierliche Frau. Bei ihrer zweiten Flucht gelingt es ihr, durch die Hilfe einer sunnitischen Familie in kurdische Gebiete zu fliehen. In einem Flüchtlingslager wird sie für ein Sonderkontingent ausgewählt und kommt gemeinsam mit mehr als Tausend, überwiegend jesidischen Frauen und Kindern, nach Baden-Württemberg, wo sie auch noch heute wohnt. «Ich bin ich sehr dankbar für alle Unterstützung, das wird mein Volk und ich niemals vergessen.»

Schon wenige Monate später spricht sie in der Schweiz vor dem Forum für Minderheiten der Vereinten Nationen in nüchternem, ernstem Ton über ihre Erlebnisse. Seither ist sie nicht mehr zu stoppen. «Jedes Mal, wenn ich meine Geschichte erzähle, habe ich das Gefühl, den Terroristen ein Stückchen ihrer Macht zu entreißen.» Als Menschenrechtsaktivistin setzt sie sich mit der jesidischen Organisation «Yazda» für ihre Landsleute ein und berichtet von den Gräueltaten des IS. Mittlerweile ist sie eine der prominentesten Stimmen der Jesiden, wurde vom Europäischen Parlament mit dem Sacharow-Preis ausgezeichnet und ist die erste UN-Sonderbotschafterin für die Würde der Überlebenden von Menschenhandel« der Vereinten Nationen.

Gemeinsam mit ihrer Anwältin Amal Clooney will sie erreichen, dass die IS-Terroristen sich für ihre Taten verantworten müssen und die Verbrechen der Jesiden von allen Ländern als Völkermord anerkannt werden. Noch immer gebe es viele jesidische Binnenflüchtlinge, viele könnten auch heute noch nicht sicher leben. »Was ich tue, tue ich nicht für mich selbst, sondern für mein Volk«, sagt sie.

»Und immer wieder gibt es Grund zur Freude, wenn Angehörige zusammengeführt werden können, Menschen heiraten, Kinder geboren werden. Das macht mir Hoffnung und zeigt mir, dass diejenigen, die uns dies angetan haben, nicht unsere Zukunft bestimmen." (epd)