Experten fordern mehr Beschäftigung mit Wurzeln des Judenhasses

Experten aus Wissenschaft und politischer Bildung fordern, bei der Aufklärung über Antisemitismus stärker die Wurzeln des Judenhasses in den Blick zu nehmen. Den Holocaust als Ausgangspunkt des Antisemitismus zu nehmen, sei der falsche Ansatz, sagte der israelische Historiker Moshe Zimmermann am Mittwochabend bei einer Podiumsdiskussion in Berlin. Der Hass auf Juden habe bereits Jahrhunderte zuvor begonnen und sei ein Teil von Rassismus, der noch heute in den europäischen Gesellschaften weit verbreitet sei. «Damit müssen wir uns stärker befassen», sagte Zimmermann.

«Wir müssen zu den Quellen gehen», betonte er auf der gemeinsamen Veranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung und der Evangelischen Akademie zu Berlin. Dazu gehöre, die Judenfeindlichkeit im Christentum oder im Hellenismus klar zu benennen. Auch im Islam gebe es Ansätze für judenfeindliche Haltungen, sagte Zimmermann.

Allerdings sei der in heutiger Zeit unter den Muslimen des Nahen Ostens verbreitete Antisemitismus aus Europa importiert worden, um das Existenzrecht Israels infrage zu stellen. Zuvor habe es Jahrhunderte gegeben, wo Juden und Muslime in der Region friedlich miteinander gelebt hätten.

Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, bezeichnete einen Perspektivwechsel als «entscheidenden Schlüssel», um Antisemitismus wahrzunehmen und erfolgreich zu bekämpfen. Dieser habe viele Gesichter, die von Juden wahrgenommen werden. «Das bedeutet, sich selbst zu reflektieren und die eigenen Einstellungen immer wieder zu hinterfragen», sagte Krüger.

Auch die Leiterin der Bildungsabteilung der Berliner Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz, Elke Gryglewski, plädierte für mehr Selbstreflektion. Das Problem sei, dass die weiß-deutsche gesellschaftliche Mitte sich selbst nicht als antisemitisch wahrnehme, sondern immer die anderen, sagte sie. Dabei seien antisemitische Stereotype und tradierte antisemitische Bilder in unserer Kultur weiterhin sehr stark verwurzelt.

«Das bedeutet aber nicht, dass jeder, der etwas Antisemitisches sagt, zwangsläufig Antisemit ist oder ein gefestigtes antisemitisches Weltbild hat», sagte Gryglewski. Man müsse ihn aber darauf aufmerksam machen und ihn darüber aufklären.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, betonte, die deutsch-französische Freundschaft zeige, dass es möglich sei, «ein jahrhundertealtes Übel abzuschütteln». Der Staat könne das aber nicht alleine schaffen. «Dafür braucht es die Bürger und die Zivilgesellschaft», sagte Klein.

Die Podiumsdiskussion stand unter dem Motto «In Europa nichts Neues? Israelische Blicke auf Antisemitismus heute». Dazu hat die Bundeszentrale ein gleichnamiges Buch der Autorin und Bildungsexpertin Anita Haviv-Horiner herausgegeben. In dem Band erzählen 15 Israelis über ihre Erfahrungen in Deutschland und Europa. (epd)