Ägypten nach dem Rausch - Ein Jahr "neuer" Suezkanal

Die Erweiterung des Suezkanals wurde als nationaler Neuanfang inszeniert. Ein Jahr später fehlt vom Geldregen noch jede Spur - auch wegen des Konkurrenten in Panama. Ein Mann allerdings sieht das etwas anders. Von Benno Schwinghammer

Tausende Ägypter ziehen durch die Straßen Kairos. Autokorsos tönen, Flaggen wehen und der Schlachtruf "Lang lebe Ägypten" hallt durch die Gassen, über den Nil und den weltberühmten Tahrir-Platz. Der 6. August vergangenen Jahres war der Tag, auf den die staatliche PR-Maschinerie Monate hingearbeitet hatte: Der erweiterte Suezkanal wurde eröffnet.

Ein Sieben-Milliarden-Euro-Projekt, aus dem Boden gestampft in gerade mal einem Jahr. Hoffnungsträger für die arg gebeutelte Wirtschaft des Landes. "Wir bekommen jetzt alle ganz viel Geld", sagte einer der Feiernden. Schließlich hatte Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi versprochen, die Einnahmen einer der wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt würden mittelfristig verdoppelt.

Ein Jahr später hängt die Werbung für den Kanal mit zwei sich kreuzenden Schiffen noch an vielen Orten, zum Beispiel im Flughafen Kairos. Doch der Rausch der Party ist vorbei. Und die Zahlen entwickeln sich nicht in die gewünschte Richtung.

2015 nahm Ägypten etwa 290 Millionen Dollar (umgerechnet aktuell etwa 260 Millionen Euro) weniger durch Kanalzölle ein als 2014, auch wenn die Anzahl der Schiffe leicht anstieg. Die Tonnage ging im März dieses Jahres - der letzten veröffentlichten Zahl auf der Internetseite der Suezkanalbehörde - im Vergleich zum Vorjahresmonat zurück. Experten hatten schon vor der Neueröffnung an der momentanen Nachfrage für einen Ausbau gezweifelt.

Die Lesart Al-Sisis jedoch ist eine andere: "Ich hörte Leute sagen, die Einnahmen des Suezkanals gingen zurück. Natürlich nicht. (...) Sie sind gestiegen", sagte der autoritäre Herrscher Anfang Mai. Wie er dazu kommt? Indem Al-Sisi offensichtlich in der Landeswährung rechnet - dem ägyptischen Pfund. Was er verschweigt: Das Pfund verlor im vergangenen Jahr mehr als 13 Prozent gegenüber dem Dollar. Und die Landeswährung wird für die Durchfahrtzölle nicht akzeptiert. Unterm Strich kann von steigenden Einnahmen also nur schwerlich die Rede sein.

Dabei hätte sie Ägypten bitter nötig. Eine tiefe Wirtschaftskrise erschüttert das Land. Nach Anschlägen und dem Bombenattentat auf einen Ferienflieger Ende Oktober ist zudem ein großer Teil des wichtigen Tourismussektors weggebrochen. Das Land braucht dringend Devisen für Zahlungen am Weltmarkt - vor allem vom Suezkanal. Um die Wirtschaft in Schwung zu kriegen, setzt die Führung am Nil auf Großprojekte, die einen Sog erzeugen und die Bevölkerung mitreißen sollen. Der ökonomische Gewinn des Suezkanals durch Motivation und Euphorie der Ägypter ist in Zahlen allerdings nicht messbar.

Nötig war die Modernisierung der Wasserstraße, dem Schifffahrtsexperten Ulrich Malchow von der Hochschule Bremen zufolge, trotz ausbleibenden Gewinnsprungs. Denn der zweispurige Ausbau auf zusätzlichen Abschnitten habe die Schifffahrtsrinne wesentlich attraktiver gemacht und die Wartezeit für Frachter und Container-Riesen verkürzt.

Der "neue" Suezkanal sei aber nach seinem ersten Jahr auch wegen der übertriebenen Versprechungen noch keine Erfolgsgeschichte. "Im Gegenteil, weil der Panamakanal auch größer geworden ist", sagt Malchow mit Blick auf die Erweiterung der Wasserstraße in Mittelamerika im Juni.

Der Konkurrent setze Ägypten zu, weil viele Reedereien Panama nun für die Route von Asien an die Ostküste der USA bevorzugen würden. Nicht zuletzt würde auch der niedrige Ölpreis den längeren Weg um das Kap der Guten Hoffnung attraktiver machen. Ägypten bietet zwar die Abkürzung, verlangt aber auch saftige Gebühren.

Der langfristige Erfolg des Suezkanals kann nach einem Jahr noch nicht bewertet werden. Dennoch gibt die Zwischenbilanz den Experten recht, die vor einem Jahr an dem von der Regierung inszenierten nationalen Befreiungsschlag zweifelten. Der Hype wird weiter genährt werden. Das nächste Mal bei der Jubiläumsfeier an diesem Samstag. Der Redner? Natürlich Staatspräsident Al-Sisi. (dpa)