Frauenförderung als Etikettenschwindel

In 2020 haben diese kuwaitischen Aktivistinnen die erste und bisher einzige Plattform für Kandidatinnen für die Parlamentswahl gegründet – "Mudhawis Liste“. Keine einzige der Frauen wurde jedoch gewählt.
In 2020 haben diese kuwaitischen Aktivistinnen die erste und bisher einzige Plattform für Kandidatinnen für die Parlamentswahl gegründet – "Mudhawis Liste“. Keine einzige der Frauen wurde jedoch gewählt.

Frauenförderung dient in der Golfregion dazu, sich gegenüber dem Westen als fortschrittlich darzustellen. Echte Anstrengungen zur Förderung einer vollen und gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in der Gesellschaft lassen weiter auf sich warten. Von Mira Al-Hussain   

Von Mira Al-Hussain

Zum Internationalen Frauentag am 8. März hoben Leitartikel und Zeitungen in der Golfregion die Rolle starker Frauen in ihren Ländern hervor – insbesondere als Vorbild für jüngere Frauen. Doch alles, wofür diese starken Frauen gefeiert wurden, läuft auf eines hinaus: ihren wirtschaftlichen Nutzen für den Staat. Die Bedeutung von Frauen für die Wirtschaft wird tatsächlich oft mit viel Wirbel gefeiert. Gleichzeitig werden damit die eigentlichen Hürden übertüncht, die eine wirkliche Stärkung und Teilhabe von Frauen in der Gesellschaft verhindern. 

Es besteht ein interessanter Zusammenhang zwischen einem zunehmend lautstark geführten Diskurs über die Stärkung von Frauen in der arabischen Golfregion und der Frage nach höherer Bildung. Zahlreiche Veröffentlichungen über den Zugang von Frauen zu höherer Bildung in der Golfregion verweisen auf das unterschiedliche Bildungsniveau von Frauen und Männern. Danach genießen Frauen im Durchschnitt eine höhere Bildung als ihre männlichen Altersgenossen. Die Forderung nach einer Stärkung von Frauen entspringt verständlicherweise dem Wunsch, für diese Leistung anerkannt und honoriert zu werden. Interessant ist aber der Kontext dieses Diskurses. 

Als Vorreiterinnen gefeiert, als Arbeitskräfte ausgegrenzt 

In den 1970er Jahren gingen einige, für die damalige Zeit recht fortschrittliche Frauen aus den Golfstaaten ins Ausland, um ein Hochschulstudium zu absolvieren; beispielsweise nach Ägypten, in den Irak, nach Großbritannien und in die Vereinigten Staaten. Gegenüber den männlichen Kommilitonen blieb ihre Zahl aber vergleichsweise klein. Nach ihrer Rückkehr wurden diese Frauen durchaus als Vorreiterinnen gefeiert, doch nur selten schafften sie es anschließend in Positionen mit Macht und Entscheidungsbefugnis. Als Vorbilder für jüngere Generationen galten sie damals nicht. Trotz ihrer außergewöhnlichen Leistungen standen sie im Schatten der gleichermaßen gebildeten Männer, die schlicht in der Überzahl waren. Dieses Verhältnis hat sich im Laufe der Zeit allerdings gründlich verändert. 

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Ungeachtet ihrer eigenen Ambitionen und Motive für eine akademische Ausbildung werden die Leistungen heutiger Frauen am Golf stets nur mit Blick auf die Männer diskutiert, die im Land bleiben. Interessierte westliche Wissenschaftler, die sich mit der Bildungslandschaft am Golf befassen, beschreiben die Frauen als ambitioniert und tatkräftig. Männer dagegen gelten häufig als weniger leistungsbereit. Anstatt eine akademische Laufbahn einzuschlagen, suchen sie sich lieber einen Job. Dennoch haben bisher mehr Männer als Frauen von staatlich finanzierten Stipendien für ein Hochschulstudium im Ausland profitiert. Dies legen zwar die amtlichen Zahlen nahe, aber wegen der schlechten Datenlage lässt sich kaum ermitteln, wie viele der Stipendiaten nach ihrem Abschluss tatsächlich an den Golf zurückgekehrt sind. 

Diese Datenlücke gibt Anlass zu der Hypothese, dass das Fehlen einer ausreichenden Anzahle von männlichen Absolventen ein Hauptgrund für die anhaltende Frauenförderung in der Golfregion ist – zumal mehr Stellen mit Frauen besetzt sind als je zuvor. Wurden diese Frauen gedrängt, Positionen zu besetzen, die ansonsten an Männer gegangen wären, sofern diese nach ihren Studien in die Heimat zurückkehrt wären? Hier drängen sich Parallelen zur Lage in Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf. Damals wurden ehemals von Männern dominierte Jobs oft mit Frauen besetzt, weil viele Männer im Krieg gefallen oder in Kriegsgefangenschaft geraten waren. 

Westliche Kritik abwenden 

Der Diskurs über Frauenförderung ist auch sicherheitspolitisch motiviert. Der Höhepunkt dieser Bestrebungen lag in den frühen 2000er Jahren. Kurz nachdem die USA ihren weltweiten Krieg gegen den Terror ausgerufen hatten, ernannten die Golfstaaten ihre ersten Ministerinnen. Nachdem die Golfstaaten unter den Augen des kritischen Westens ihre Lehrpläne von allen kontroversen Inhalten befreit hatten, wurde ihnen rasch klar, wie der Westen die Befreiung der Frauen heranzog, um seine militärischen und politischen Interventionen zu legitimieren. Die  Frauenförderung wurde somit eher zu einem politischen Instrument als zu einem aufrichtigen Bemühen um volle und gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Gesellschaft. 

Zwei junge Frauen in Dubai; Foto: Giuseppe Cacace/AFP
Sichtbar, aber ohne eigene Stimme: Frauen des öffentlichen Lebens am Golf agieren meist nur "als Sprachrohre des Staates,“ schreibt Mira Al-Hussain. Sie würden aber ihre eigene Persönlichkeit zurückstellen und eine fast stromlinienförmige öffentliche Selbstdarstellung wahren, vor allem in den sozialen Medien. Solche Frauen tragen die Golfstaaten wie eine Soft Power vor sich her, um insbesondere gegenüber dem Ausland zu demonstrieren, wie fortschrittlich sie sind. Gegenüber dem heimischen Publikum jedoch werden jene Frauen, die als eigenständige Persönlichkeiten sichtbar werden wollen, als rebellische Feministinnen abgestempelt, die unter dem Beifall des Westens versuchen, konspirativ zersetzende Ideen unter den 'guten Frauen' am Golf zu verbreiten. 



Bis heute wird die Präsenz und Sichtbarkeit von Frauen am Golf mit echtem Einfluss verwechselt. Vielmehr agieren die in der Öffentlichkeit präsenten Frauen meist nur als Sprachrohre der Herrschenden. Sie sind zwar sichtbar für die Öffentlichkeit, stellen aber ihre eigene Persönlichkeit zurück und wahren eine fast stromlinienförmige öffentliche Selbstdarstellung, vor allem in den sozialen Medien.



Solchermaßen sichtbare Frauen tragen die Golfstaaten wie eine Soft Power vor sich her, um insbesondere gegenüber dem Ausland zu demonstrieren, wie fortschrittlich sie sind. Gegenüber dem heimischen Publikum jedoch werden Frauen, die als eigenständige Persönlichkeiten sichtbar werden wollen, als rebellische Feministinnen abgestempelt, die unter dem Beifall des Westens versuchen, konspirativ zersetzende Ideen unter den "guten Frauen“ am Golf zu verbreiten. 

Zwischen ihrer Rolle als Sprachrohre für den männlich dominierten Staat und als Sprecherinnen in eigener Sache bleiben Frauen am Golf stumm. Entscheiden sie sich dafür, sichtbar zu sein, dann werden sie zum Schweigen gebracht. 

Mira Al-Hussain

© sada | Carnegie Endowment for International Peace 2022

Mira Al-Hussain ist Soziologin und arbeitet zu den Schwerpunkten Kultur, Politik und Hochschulwesen am Golf.