"Nietzsche kennt jeder, die Intellektuellen lesen Habermas"

Die autoritären Emirate leisten sich jedes Jahr eine prestigeträchtige Buchmesse für den Freigeist. Ehrengast ist diesmal Deutschland. Der arabische Buchmarkt gärt, doch Vertriebsstrukturen gibt es kaum.

Die Buchmesse in Abu Dhabi zählt zu den wichtigsten in der Arabischen Welt - nicht so groß wie die in Kairo und Riad, dafür um einiges freisinniger.

Mehr als 1.000 Aussteller kommen von Montag bis Sonntag in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE); Hunderte Kulturprogramme und Foren auch zu feministischen und interreligiösen Themen verströmen Debattengeist in der islamischen Golfmonarchie.

Ehrengast der 31. Abu Dhabi International Book Fair ist wieder Deutschland, nachdem der Auftritt 2021 pandemiebedingt nur virtuell möglich war.



"Der arabische Buchmarkt holt auf; deshalb lohnt sich die Präsenz hier", berichtet Claudia Kaiser, Vizepräsidentin der Frankfurter Buchmesse für Business Development Asien/Afrika/Arabische Welt. Besonders der Absatz von Kinderbuchübersetzungen boome in der geburtenstarken Weltregion. "Bei Belletristik greift man ähnlich wie im Westen gern zu leichteren Titeln; aber auch die großen Namen von Mann bis Kafka und deutsche Lyrik laufen", so Kaiser.

Deutschland als Ehrengast 



Im deutschen Pavillon präsentieren sich 34 Verlage und Einrichtungen wie das Goethe-Institut. Eine Reihe Autoren aus Deutschland haben sich angekündigt, darunter Anna-Seghers-Preisträgerin Olga Grjasnowa.

Neben rund 40 Veranstaltungen wie Poetry Slams und einer virtuellen Reise in faust'sche Kulissen geht es im Fachprogramm für Verleger, Übersetzer und Schreibende um das Geschäftliche.



Anders als in Europa sind Buchmessen in der Arabischen Welt vor allem riesige Warenlager, wo Händler ihre Bestände oft für ein ganzes Jahr füllen. Denn ein verzweigtes Distributionssystem fehlt. Reichtümer sind auf dem arabischen Büchermarkt ohnehin nicht zu verdienen. Die meisten Auflagen erreichten kaum die 1.000er-Marke, beklagt der Verleger, Übersetzer und Schriftsteller Khalid al-Maaly. "Wenn Sie einem Autor 1.000 Dollar für die Rechte bezahlen, das Werk noch übersetzen müssen und am Ende keine 1.000 Stück verkaufen, wissen Sie, wie das Geschäft läuft."

Buchcover Stefan Weidner: 1001 Buch –  Die Literaturen des Orients im Verlag Edition Converso.
"1.001 Buch - Die Literaturen des Orients", Edition Converso, von Stefan Weidner befand sich 2020 auf der Shortlist des Sheikh Zayed Book Award 2020.

Dabei leben in dem riesigen Sprachraum zwischen Marokko und Irak potenziell 300 Millionen Leser. Glaubt man neueren Zahlen, werden jährlich mehr Bücher ins Finnische oder Griechische übertragen als ins Arabische. Zudem liegt die Analphabetenrate in der Region laut UN-Statistik bei 20 Prozent.

Mangel an Vertriebsstrukturen

"Eine Lesekultur gibt es nur in wenigen Ländern wie dem Libanon", so al-Maaly, der vor einigen Jahren mit seinem Verlag von Köln nach Beirut zog. Auch eine islamische "Re-Theologisierung" des Buchmarktes stimmt ihn pessimistisch. So sei im Irak säkulare Bildung unter Saddam Hussein, vor dem der Literat einst nach Deutschland floh, gefragter gewesen als heute.



Weniger düster sieht es der Islamwissenschaftler und Übersetzer Stefan Weidner. "Die Araber lesen jedes Jahr mehr, die Europäer jedes Jahr weniger", wertet er die Quoten. Die geringe Zahl von Übersetzungen habe allein wirtschaftliche Gründe. "Dass es kein Interesse an nichtmuslimischen Autoren gäbe, stimmt nicht." Sachbücher, Romane, Gedichte oder Ratgeber - die Vielfalt sei groß. Deutschland werde vor allem für seine kritische Philosophie geschätzt. "Nietzsche kennt jeder, und die Intellektuellen lesen alle Habermas, Gadamer, Sloterdijk."



Gerade die neuen autoritären Regime wie in Ägypten steigerten das Interesse an oppositioneller Literatur. Sie findet auf der vom Staat hochsubventionierten Buchmesse von Abu Dhabi laut Weidner eine tolerante Bühne. "Eine Zensur gibt es nicht. Probleme wären nur bei Literatur zu erwarten, die direkt die Regierung der VAE selbst angreifen."



Impulsgeber ist die Messe auch deshalb, weil dort die renommiertesten arabischen Literaturpreise verliehen werden. Umgerechnet fast 200.000 Euro lässt sich das Herrscherhaus den Sheikh Zayed Book Award in jeder der sieben Kategorien kosten - kulturpolitisches Prestige miteingerechnet. Im Louvre Abu Dhabi wird zudem der Gewinner des mit 50.000 US-Dollar dotierten International Prize for Arabic Fiction bekanntgegeben. 100 Titel arabischer und ausländischer Verlage erhalten von der Messe einen Zuschuss für Übersetzung. Zur Feier des Ehrengastes liegt der Schwerpunkt in diesem Jahr auf Werken aus Deutschland. (KNA)

 

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