Die internationalen Schutzpatrone von Präsident al-Sisi

Ägyptens kreditfinanzierte Wirtschaftspolitik macht internationale Akteure zu Beteiligten an den Repressalien des Regimes und an der zunehmenden sozialen Benachteiligung der unteren und mittleren Bevölkerungsschichten. Neben der damit verursachten Instabilität schürt das einen gewalttätigen Extremismus – nicht nur im eigenen Land, sondern potentiell im gesamten Nahen Osten. Eine Analyse von Maged Mandour

Von Maged Mandour

Das Regime von Präsident al-Sisi verfolgt politisch konsequent die Verankerung im globalen Finanzsystem. So verknüpft es die eigene Stabilität mit den wirtschaftlichen Interessen internationaler Organisationen, westlicher Staaten und privater Unternehmen.

Das Regime mag sich international als Bollwerk gegen Terrorismus und illegale Migrationsströme vermarkten, doch dieses Narrativ verschleiert die zugrundeliegende Wirtschaftsstrategie. Denn die Politik der hohen Verschuldung stellt sicher, dass sämtliche Forderungen nach Demokratisierung stets mit internationalen Interessen kollidieren.

Die ägyptische Regierung verfolgt drei Wege zur Einbettung ins globale Finanzsystem. Erstens verlässt sie sich bei der Finanzierung von Regierungsvorhaben und großen Infrastrukturprojekten zunehmend auf Auslandskredite. Dazu gehört eine Zunahme kurzfristiger Staatsanleihen und Schatzanweisungen oder „heißem Geld“. Zweitens hat sich das Regime aufgrund zunehmender Waffenkäufe zwischen 2015 und 2019 zum drittgrößten globalen Waffenimporteur entwickelt. Und drittens bindet das hohe Niveau der ausländischen Direktbeteiligungen am ägyptischen Öl- und Gassektor langfristige westliche Investitionen an die Stabilität des Regimes.

 

Biden says he will stop Trump's coddling of dictators. A good place to start is Egypt's ruthlessly repressive President Sisi. Stop selling (and subsidizing) arms. Stop pretending that "engagement" is doing anything but bolstering his dictatorship. https://t.co/QLXRQV77VY pic.twitter.com/bb24VOLKP8

— Kenneth Roth (@KenRoth) December 8, 2020

 

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Diese Faktoren bilden die Grundlage der internationalen Unterstützung des Regimes infolge finanzieller Interessen. Darüber hinaus bieten sie direkte Anreize für eine internationale Komplizenschaft bei repressiven Maßnahmen und errichten Hürden gegen die Demokratisierung. Letztlich verschärft diese ökonomische Strategie mit ihren destabilisierenden Auswirkungen die langfristigen Probleme. Wenn internationale Kapitalströme dazu beitragen, die Dominanz des Militärs in der ägyptischen Wirtschaft zu finanzieren, helfen sie auch dem Sicherheitsapparat, den Zugriff auf den Staat zu verstärken.

Schuldenrausch     

Ägypten stützt sich stark auf Schulden und schafft damit finanzielle Abhängigkeiten zwischen dem Regime und internationalen Akteuren. Die Kreditaufnahme ließ die Auslandsverschuldung bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt von 14,67 Prozent im Jahr 2012 auf 31,7 Prozent bis zum ersten Quartal 2020 ansteigen und erreichte damit 111,3 Milliarden Dollar.

Diese Schuldenexplosion wurde flankiert von einem exponentiellen Wachstum der im Ausland gehaltenen kurzfristigen ägyptischen Staatsanleihen, die von 60 Millionen Dollar Mitte 2016 auf 20 Milliarden Dollar im Oktober 2019 anstiegen. Diesen Zustrom an kurzfristigem Kapital konnte das Regime mit einem der höchsten Zinssätze aller Schwellenländer einwerben. Die Rendite lag ab Juli 2020 bei 13 Prozent.

Dies bescherte Ägypten den Ruf als "Liebling der Schwellenmärkte", was auch den großen Appetit der Investoren auf eine Eurobond-Emission in Höhe von 5 Milliarden Dollar erklärt. Die größte Anleihe in der ägyptischen Geschichte war 4,4-fach überzeichnet: ein Beleg für das Vertrauen der Investoren in die Stabilität des Regimes.

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Die hohe Verschuldung hat schwerwiegende Folgen für Ägypten und die internationale Gemeinschaft. Sie verankert das Regime im globalen Finanzsystem, da die Fähigkeit zur Rückzahlung der Schulden vom Überleben des Regimes abhängt.  Dies schützt das Regime vor internationalem Druck, die Repressionen zurückzufahren.

Unruhen in Ägypten wirken sich unmittelbar auf die Einnahmesituation der Regierung aus, da mit sinkendem Steueraufkommen auch der Schuldendienst leiden würde – und damit die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls. Zudem verwickelt die Schuldenpolitik internationale Gläubiger des Regimes in die Umleitung öffentlicher Gelder in  Mega-Infrastrukturprojekte zur Bereicherung  der militärischen Eliten. Diese Projekte werden sowohl direkt als auch indirekt von internationalen Geldgebern (einschließlich regionaler Verbündeter und internationaler Organisationen wie dem IWF) finanziert.

Waffenschwemme

Die Waffenkäufe des Regimes nahmen 2014 stark zu und spielen eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung des internationalen Sicherheitsnetzes. Die Rüstungsimporte verdreifachten sich zwischen 2014 und 2018 im Vergleich zum Zeitraum 2009 bis 2013. Dies entspricht einem Anstieg um 206 Prozent. Ein Abklingen dieser Waffenschwemme zeichnet sich nicht ab: Noch im Juni 2020 führte das Regime Gespräche mit Italien über einen Rüstungsauftrag im Wert von 9,8 Milliarden Dollar. Die westliche Rüstungsindustrie ist der wichtigste Lieferant – mit Frankreich, Russland und den Vereinigten Staaten an der Spitze. Allein Frankreich deckte zwischen 2015 und 2019 rund 35 Prozent des Rüstungsbedarfs des Regimes.

Die Rüstungsgeschäfte umfassen konventionelle Waffen, aber auch Überwachungseinrichtungen und Geräte zur Kontrolle von Menschenmengen, die bei der direkten Unterdrückung von Protesten eingesetzt werden. Die Finanzquellen dieser Waffengeschäfte sind schwer zu ermitteln. Sie finden sich nicht in den offiziellen Zahlen des Verteidigungshaushalts. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass Auslandskredite verwendet werden. So wurde 2015 ein Rüstungsgeschäft zwischen Ägypten und Frankreich im Wert von 5,2 Milliarden Euro, das auch 24 Rafael-Kampfjets umfasste, zum Teil über einen Kredit der französischen Regierung in Höhe von 3,2 Milliarden Euro finanziert.

 

When French President Macron says he won’t condition co-operation in defence and economic matters with Egyptian President Sisi on disagreements over human rights, this means he has no disagreements with Sisi over human rights.

— Yezid Sayigh يزيد صايغ (@SayighYezid) December 8, 2020

 

Demnach haben die französischen Steuerzahler dem ägyptischen Regime 3,2 Milliarden Euro für den Kauf von Waffen geliehen, die den ägyptischen Steuerzahlern mit Zinsen in Rechnung gestellt werden. Dies zeugt von der Aneignung ägyptischer öffentlicher Gelder für die Gewinne der französischen Rüstungsindustrie. Diese Rüstungsgeschäfte machen das Regime zu einem der Top-Kunden westlicher Waffenhersteller und verweben die westliche Rüstungsindustrie faktisch mit dem Überleben des Regimes.

 

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Verwicklung des Westens

Die Transformation des Regimes in einen großen Waffenimporteur hat zwei wichtige Konsequenzen: Erstens verwickelt es westliche Staaten und die Rüstungsindustrie – den Hauptlieferanten von Überwachungseinrichtungen und Geräten zur Kontrolle von Menschenmengen – in Repressionen gegen eine kritische Öffentlichkeit. Zweitens bremst es die Bereitschaft westlicher Staaten, Menschenrechtsverletzungen zu missbilligen und zu ahnden.

Zum Beispiel beliefert Italien das Regime weiterhin mit Waffen, selbst nachdem fünf Mitglieder des ägyptischen Sicherheitsapparats im Dezember 2018 der Folterung und Ermordung des italienischen Studenten Giulio Regeni im Jahr 2016 verdächtigt wurden. Zudem haben sich die italienischen Rüstungsexporte an Ägypten im Jahr 2019 verdreifacht. Die geplanten Rüstungsgeschäfte für 2020 belaufen sich auf insgesamt 11 Milliarden Euro.

Der anhaltende Zustrom von Waffen aus Italien hat Human Rights Watch dazu veranlasst, einen Stopp der italienischen Waffenlieferungen zu fordern. Man befürchtet, italienische Waffen begünstigen den Despotismus. Staaten wie Italien unterstützen die Repressalien des Regimes in einer Weise, die die politische Polarisierung weiter verstärkt, die Aussicht auf Demokratisierung verbaut und die Staatsmacht in den Händen des Sicherheitsapparats zentralisiert.

 

Don't Be Fooled! Gasser Abdelrazik, @EIPR director, was released tonight. A reason to celebrate but not to lessen pressure on #Egypt's Sisi who is just taking us to square zero where relentless attack, harassment on civil society remains unabated. https://t.co/CrY1w8SO4g pic.twitter.com/InhxvSx1Ej

— Amr Magdi (@ganobi) December 3, 2020

 

Ein weiterer Faktor sind die zunehmenden Direktbeteiligungen des Auslands an Ägyptens Öl- und Gassektor. Mit Investitionen in Höhe von über 9 Milliarden Dollar im Jahr 2019 ist das Regime derzeit das beliebteste Ziel ausländischer Direktinvestitionen auf dem afrikanischen Kontinent.  Ein Großteil der Investitionen fließt in den Öl- und Gassektor, wozu auch die Entdeckung des Gasfelds Zohr im Jahr 2015 beitrug, des größten in Ägypten und im Mittelmeerraum.

Ausländische Investitionen verknüpft mit dem Erhalt des Regimes

Um weiterhin ausländische Direktinvestitionen in den Sektor zu lenken, führte das Regime 2019 neue Öl- und Gasexplorationsverträge mit günstigen Bedingungen für Investoren ein. Dank der neuen Bedingungen können Investoren ihren Anteil an der Produktion selbst bestimmen, ohne verpflichtet zu sein, die Produktion zu festgesetzten Preisen an die Regierung zu verkaufen. Das Gasfeld Zohr als Teil der Shorouk-Konzession ist im gemeinsamen Besitz von Eni – dem italienischen Erdöl- und Energiekonzern –, British Petroleum und Rosneft. Eni hält daran 50 Prozent.

Die kumulierten ausländischen Direktinvestitionen in diesem Sektor gehen in die Milliarden. Allein die Gesamtinvestitionen von Eni belaufen sich für den Zeitraum 2015 bis 2018 auf 13 Milliarden Dollar. Der sprunghafte Anstieg ausländischer Investitionen in den ägyptischen Öl- und Gassektor ist vom Regime gewollt. Am 31. August sprach sich Präsident al-Sisi für die Ausweitung der Investitionen von Eni aus. Diese Investitionen erhöhen die Verflechtung internationaler Energiekonzerne mit dem Regime und binden Investitionen in Milliardenhöhe an dessen Fortbestand.

Abgesehen von den Auswirkungen auf Sicherheit und Stabilität macht diese Politik das Regime zum Hauptnutznießer einer Umschichtung der Vermögenswerte von der Mittel- und Unterschicht zur militärischen Elite. Das Regime akkumuliert Gewinne aus Kreditzinsen, Rüstungsgeschäften sowie Öl- und Gaseinnahmen – alles finanziert durch den ägyptischen Steuerzahler.

Außerdem ist damit sichergestellt, dass aufkeimende Forderungen nach Demokratisierung mit internationalen Interessen kollidieren würden. Das Regime kann dadurch weitaus länger überleben, als ohne diese üppige Unterstützung möglich wäre.

Maged Mandour

© Carnegie Endowment for International Peace 2020

Aus dem Englischen von Peter Lammers

Maged Mandour ist Politikwissenschaftler und schreibt auf openDemocracy die Kolumne "Chronicles of the Arab Revolt".