Mehr Rechte nach der Scheidung

Women walk past a cafe on Tahrir Square, Cairo
Stehen Mütter in Ägypten bald mehr im Fokus? Angesichts steigender Scheidungsraten tragen Mütter heute häufiger allein die Verantwortung für ihre Familien. Eine Änderung im Familienrecht stärkt ihre finanziellen Ansprüche. (Foto: picture-alliance/dpa/A.Gintenreiter)

Das ägyptische Familienrecht diskriminiert Frauen und Verbesserungen sind bisher kaum durchsetzbar. Doch jetzt stärkt eine Änderung ihre finanziellen Ansprüche nach einer Scheidung.

Von Nouran Sayed Ahmed

In vielen familienrechtlichen Verfahren in Ägypten sind Frauen die Klägerinnen. Auf der Suche nach Gerechtigkeit stoßen sie jedoch nach wie vor auf zahlreiche Hindernisse. Dabei hat das ägyptische Familienrecht (Gesetz Nr. 1/2000 zur Neuregelung des Personenstands) die Rechtsbeziehungen zwischen Ehegatten in einigen wichtigen Punkten neu geregelt. 

Dies betrifft Eheschließung, Scheidung, Sorgerecht und Unterhalt. Die Neuregelung hat den Frauen unbeabsichtigt mehr Einfluss in der Familie und in der Kindererziehung gegeben und damit die sozialen und wirtschaftlichen Realitäten verändert. Frauenfeindliche Kreise in der Gesellschaft beklagen diese Veränderungen jedoch als einen Abbau männlicher Privilegien.  

Die meisten Familienrechtsprozesse, die von Frauen angestrengt werden, betreffen den finanziellen Ausgleich nach einer Scheidung, also Unterhalt und Kindesunterhalt. Diese finanziellen Verpflichtungen der Männer sind in der islamischen Rechtsprechung eigentlich klar geregelt. 

Dennoch sehen konservative Kreise in der Aufnahme konkreter Bestimmungen über zu leistende Zahlungen im Personenstandsgesetz ein Instrument, mit dem die Behörden im Namen der Frauen intervenieren können. Ihrer Ansicht nach erleichtern diese Bestimmungen Frauen den Zugriff auf das Vermögen des Mannes, insbesondere im Falle einer Scheidung.

Außerdem würden sie die Rechte des Mannes bei der Festsetzung eines angemessenen Unterhalts für die Kinder einschränken. Die Zahlungen sind bis zur Volljährigkeit des Kindes im Alter von 21 Jahren zu leisten. Sie steigen proportional zur Inflation. 

Darüber hinaus sehen Interessenverbände geschiedener Männer in den gesetzlich festgelegten finanziellen Verpflichtungen nach der Scheidung die Gefahr, dass Frauen einen leichteren Zugriff auf das Einkommen des Ehemanns erhalten.  

Die männlichen Parteien in den Personenstandsverfahren fürchten das Gesetz auch deshalb, weil ihnen Haftstrafen drohen, wenn sie Gerichtsbeschlüsse missachten, Zahlungen nicht leisten oder sich weigern, ihre Einkommensverhältnisse offen zu legen. 

In der Realität fehlt es jedoch häufig an effektiven Mechanismen, um Gerichtsentscheide über Unterhaltszahlungen, Kindergeld und andere finanzielle Ansprüche von Frauen durchzusetzen. Angesichts des drohenden Widerstandes konservativer Kreise dürfte es schwierig sein, eine gesetzliche Regelung durchzusetzen, die die Durchsetzung dieser Ansprüche stärken kann.  

Die Ehe als Zugewinngemeinschaft

Dennoch können ägyptische Frauen in Zukunft auf mehr finanzielle Gerechtigkeit hoffen. In der ägyptischen Gesellschaft werden Forderungen laut, das Vermögen zwischen den Ehepartnern so aufzuteilen, dass auch geschiedene und verwitwete Frauen, die aktiv zum Vermögen ihres Mannes beigetragen haben, einen gerechten Anteil erhalten. 

Frauenrechtlerinnen fordern zunehmend eine gesetzliche Verankerung dieses Prinzips, um Frauen im Falle einer Scheidung wirtschaftlich zu entlasten. 

Auch Ahmad al-Tayyib, der Großscheich der einflussreichen Al-Azhar in Kairo, setzt sich dafür ein und verweist darauf, eine Aufteilung des Vermögens der Eheleute nach einer Scheidung entspreche den Prinzipien der islamischen Rechtsprechung und wahre die Rechte der Frauen. 

Weitere Chancen für Frauen ergeben sich aus den Bemühungen der ägyptischen Regierung, die Schattenwirtschaft zu bekämpfen und die dort Beschäftigten in die reguläre Wirtschaft zu integrieren, um die Steuereinnahmen des Staates zu erhöhen.  

Sollte diese ökonomisch motivierte Initiative erfolgreich sein, würde sie unbeabsichtigt die Möglichkeiten der Familiengerichte stärken, Vermögen genauer zu bewerten und männliche Parteien in den Familienrechtsverfahren daran hindern, die informelle Wirtschaft zu nutzen, um sich dem Unterhalts- oder Zugewinnausgleich für ihre Frauen zu entziehen.  

Diese neue Steuerpolitik könnte dazu beitragen, die wirtschaftliche Belastung von Frauen als Ernährerinnen ihrer Familien zu verringern, die ineffektiven Bestimmungen der bestehenden Gesetze auszugleichen und die finanzielle Kluft zwischen den Geschlechtern zu verringern. 

Die unzureichenden Mechanismen zur Durchsetzung von Gesetzen zwingen alleinerziehende Frauen derzeit häufig dazu, den Lebensunterhalt für ihre Familien vollständig selbst zu erwirtschaften.

Hinzu kommt, dass die Frau sowohl nach ägyptischem Zivilrecht als auch nach der islamischen Scharia automatisch das Sorgerecht für ihre minderjährigen Kinder hat und die volle Verantwortung für die Kinderbetreuung trägt.  

Nach Intervention des Verfassungsgerichtes räumen heute sowohl das ägyptische Familienrecht aus dem Jahr 2000 als auch das reformierte ägyptische Kindschaftsrecht den Müttern die Möglichkeit ein, neben den Vätern Entscheidungen über die Erziehung ihrer Kinder zu treffen. 

Gleichzeitig gibt es eine wachsende Zahl von Fällen, in denen Väter das Sorgerecht vollständig an ihre ehemalige Partnerin abtreten und sich im Gegenzug jeglicher finanzieller Unterstützung und Entschädigung entziehen. 

Diese zunehmende Verantwortung der Mütter findet, ob gewollt oder nicht, in einer Zeit statt, in der die Scheidungsraten steigen und der Trend zur gerichtlichen Klärung von Ehestreitigkeiten zunimmt. Man muss sich daher nicht wundern, wenn sich die ägyptische Gesellschaft in den kommenden Jahren stärker auf die Rolle der Mütter konzentrieren wird.  

Nouran Sayed Ahmed

© sada | Carnegie Endowment for International Peace 2024

Nouran Sayed Ahmed ist eine ägyptische Autorin mit den Schwerpunkten Recht, Religion und Sportpolitik in Ägypten. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt The Global Politics of "Moderate Islam" der Henry Luce Foundation.