Zwischen offener und latenter Muslimfeindlichkeit

Farbbeutel-Anschlag auf Moschee
Farbbeutel-Anschlag auf eine Moschee (Foto: Jan Woitas/dpa/picture alliance)

Der Soziologe und Islamwissenschaftler Imad Mustafa hat im Auftrag des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit (UEM) die erste wissenschaftliche Untersuchung über den Islamdiskurs der politischen Parteien in Deutschland erstellt.

Von Joseph Croitoru

Eine Studie, die sich speziell dem Islam-Diskurs der hiesigen Parteien und im Bundestag widmet, hat lange gefehlt. Insofern war es begrüßenswert, dass der 2020 vom damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer einberufene Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit (UEM) eine Untersuchung dazu veranlasst hat. Der damit beauftragte Autor, der Soziologe und Islamwissenschaftler Imad Mustafa, veröffentlichte seine Befunde für die Jahre 2015 bis 2021 bereits im Juni 2023 im Internet.  

Obwohl sie der UEM in seinem Bericht vom vergangenen Juni eingehend besprochen hatte, wurden sie öffentlich kaum wahrgenommen. Auch nicht, als Mustafas Untersuchung in leicht abgeänderter Form unlängst als Buch unter dem Titel erschien: "‘Der Islam gehört (nicht) zu Deutschland‘. Islam und antimuslimischer Rassismus in Parteiensystem und Bundestag". 

Wo seit Wochen landesweit gegen Rechtsextremismus und die "Alternative für Deutschland“ (AfD) protestiert wird, ihre Hetze gegen Muslime und deren Folgen für die deutsche Parteienlandschaft dabei aber kaum ein Thema bilden, wäre man gut beraten, sich Mustafas Untersuchungsergebnisse näher anzuschauen.  

Dass die AfD in der Öffentlichkeit und in den Parlamenten faktisch einen islamfeindlichen Diskurs etabliert hat, ist bekannt, nicht aber dessen Umfang und Entwicklung. So hat sie von Anfang an in ihren Wahlprogrammen für die Bundestags- und Landtagswahlen die Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland offen negiert, tendenziell aber haben zwischen 2017 und 2021 diese expliziten Ablehnungen eher abgenommen. Zugenommen hat hingegen bei der AfD die insgesamte Zahl sonstiger islamfeindlicher Äußerungen, ob in expliziter oder impliziter Form.   

Muslime berichten in den letzten Wochen von Beleidigungen und Übergriffen auf Frauen mit Kopftuch.
Nach dem Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober stehen Muslime in Deutschland erneut unter Generalverdacht. Sie berichten in den letzten Wochen und Monaten über Beleidigungen und Übergriffe auf Frauen mit Kopftuch. (Foto: Monika Skolimowska/dpa/picture-alliance)

Muslime sind die anderen

Migration, Integration, Flucht und Asyl, die von der AfD zu einer Gefahr für die als homogen konstruierte christlich-abendländische, deutsche Kultur stilisiert werden, verknüpft sie nicht immer direkt mit dem Thema Islam. Wo nicht Angst vor "Islamisierung" und gar Etablierung der Scharia in "Parallelgesellschaften" geschürt wird, operieren die Rechtspopulisten mit diffusen und verschwörungstheoretischen Begriffen. Etwa "Ausländer- und Clankriminalität" oder "orientalischer Raum" fungieren als islamfeindliche Codes. Und durch die Verwendung des Terminus "islamisch" anstatt "islamistisch" wird der Islam pauschal als Bedrohung inszeniert.  

Vor Parallelgesellschaften und kriminellen Clans warnt auch die CDU/CSU. Auch bei ihr sind Muslime eindeutig die anderen und es herrscht ebenfalls eine klare Tendenz zu Pauschalisierung. Auch die CDU sieht sich als Hüterin einer durch das christlich-jüdische Abendland geprägten deutschen Leitkultur, zu deren Werten sich Muslime zu bekennen haben.  

Nur so und durch erbrachte Arbeitsleistungen können sie integraler Teil der Gesellschaft werden. Zur Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland findet sich in den Wahlprogrammen der Union kein Bekenntnis – 2018 hatte sich Horst Seehofer gegen eine solche sogar ausgesprochen. Dabei ist es übrigens in dem im Dezember 2023 von der CDU vorgelegten Entwurf zu ihrem Grundsatzprogramm geblieben. Dort heißt es gleich im Anschluss an den Absatz "Jüdisches Leben gehört zu Deutschland": "Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland".  

Ressentimentgeladene Klischees auch bei Rot-Grün

In den Wahlprogrammen der FDP kommen Islam und Muslime weit seltener vor. Anders als AfD und CDU vermeiden es die Liberalen zwar grundsätzlich, von einer deutschen Kulturgemeinschaft zu sprechen und stellen stattdessen das Bekenntnis zum Grundgesetz in den Vordergrund.

Jedoch knüpft die FDP – so etwa im Bundestagswahlprogramm von 2021 – in latenter Form an anti-muslimische Narrative dort an, wo sie an Integrationskurse die Forderung stellt, Werte wie Geschlechtergleichheit, Akzeptanz unterschiedlicher sexueller Orientierungen und Toleranz gegenüber allen Formen des Glaubens und des Nichtglaubens zu vermitteln.

Auch die stereotype Einteilung in integrationswillige und unintegrierte Muslime, wie sie die CDU vornimmt, klingt bei den Liberalen an. Sie signalisieren zwar, islamische Gemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkennen zu wollen, würden aber diesen Status am ehesten nur "liberalen Muslimen" gewähren. 

Bei SPD und Grünen/Bündnis 90, die eine deutlich inklusivere Sprache verwenden, treten Bezüge zum Islam in weit schwächerer Form auf. Jedoch haben diese auch bei ihnen trotz der rassismuskritischen, sich aber seltener explizit gegen Muslimfeindlichkeit wendenden Einstellung identitätsstiftende Funktion. Vor allem beim Thema Integration macht Imad Mustafa bei beiden Parteien bisweilen implizite Annahmen in Bezug auf muslimische Migranten aus, die ressentimentgeladen sind und Klischees aus dem antimuslimischen Spektrum widerspiegeln: Homophobie, Patriarchat, Sexismus und Antisemitismus.   

Die AfD treibt die bürgerlichen Parteien vor sich her

Und wenn die Grünen, wie 2017, erklären, der Islam gehöre zu Deutschland, knüpfen sie dies an eine lange Reihe von Bedingungen. Mustafa gewinnt hier nicht zu Unrecht den Eindruck, "als würden die Grünen den Islam als Religion untrennbar mit Andersheit, Gefahr und Bedrohung assoziieren". Ambivalent bleibt aus seiner Sicht letztlich auch die aktualisierte Stellungnahme der Partei von 2021, die – an die FDP erinnernd – für muslimische Verbände eine rechtliche Gleichstellung in Aussicht stellt, dabei aber nur den "liberalen" unter ihnen das Einstehen für "Gleichberechtigung der Geschlechter, LSBTIQ*-Rechte und Feminismus" zutraut.  

Die einzige Partei, die ohne antimuslimische Narrative und Bedrohungsszenarien auskommt, ist die Linke. Gegen Muslimfeindlichkeit – vor allem bei der AfD – bezieht sie am deutlichsten und auch entschiedensten Stellung. 

Anhand dreier stichprobenartiger Analysen zu islambezogenen Bundestagsdebatten (2015, 2018 und 2021) gelangt der Autor zu dem Schluss, dass deren allgemeine Stoßrichtung von stereotypen Vorstellungen und Narrativen geprägt ist. Seit ihrem Einzug in den Bundestag 2016 schaffe es die AfD nicht nur, "die etablierten bürgerlichen Parteien mit ihren Anträgen diskursiv vor sich her zu treiben". Besonders beim Thema Integration habe sie durch ihre Provokationen zu einer Verschärfung der Tonlage beigetragen und gewissermaßen auch die Diskurshoheit erlangt.  

Eine Folge davon ist auch, dass die anderen Parteien bei dieser Thematik in der Auseinandersetzung mit der AfD häufig versuchen, "sich als besonders eifrige Befürworter von Integration und anderen erzieherischen Maßnahmen in Szene zu setzen". Es ist zu hoffen, dass auf Mustafas aufschlussreiche Studie weitere folgen werden.  

 Joseph Croitoru 

 © Qantara.de 2024   

Imad Mustafa: "Der Islam gehört (nicht) zu Deutschland“. Islam und antimuslimischer Rassismus in Parteiensystem und Bundestag, Transcript Verlag, Bielefeld 2023, 267 Seiten. Auch als Open Access auf der Verlagsseite verfügbar.