Diplomatische Farce

Der Krieg in Syrien geht weiter. Täglich sterben Zivilisten in einem Konflikt mit vielen Fronten. Vertreter des syrischen Regimes und der Opposition haben sich in Astana zu Verhandlungen getroffen, denen aber die grundlegenden Voraussetzungen für einen Erfolg fehlen. Ein Essay von Burhan Ghalioun, Soziologe und ehemaliger Vorsitzender des oppositionellen Syrischen Nationalrats.

Essay von Burhan Ghalioun

Trotz der unter russischer Aufsicht geschlossenen Waffenruhe werden in Syrien täglich Dutzende Zivilisten bei Angriffen auf Rebellengebiete getötet.  In Astana, der Hauptstadt Kasachstans, wurde soeben eine neue Runde von Syrien-Verhandlungen geführt. Nur unter starkem internationalem Druck hat sich die Opposition an den Verhandlungstisch gesetzt. Doch der Versuch, hier zu einer Lösung zu kommen, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Angesichts des fehlenden Respekts für frühere Vereinbarungen oder internationale Garantien, angesichts der dominanten Rolle Russlands sowie dem Fehlen eines gemeinsamen politischen und rechtlichen Rahmens war es zu erwarten, dass die Verhandlungen in Astana und in Genf vor allem zu diplomatischen Manöver gerieten. Ihr Hauptziel war es, die Opposition diplomatisch zu schwächen und die Position des Regimes und seiner Verbündeten zu stärken. Anstatt den Syrern neue Hoffnung auf eine politische Lösung  zumindest mit minimalen Ergebnissen zu geben, hat diese Verhandlungsrunde nur noch mehr Frustration geschaffen.

Die Skepsis wächst, ob Verhandlungen in Astana oder Genf jemals die Ergebnisse bringen können, auf die die Syrer warten: Ein Ende der Aggression und den Beginn eines echten Übergangsprozesses für ein neues Syrien, in dem Frieden, Brüderlichkeit, Gerechtigkeit und Demokratie herrschen.

Assad spielt auf Zeit

Die Gespräche in Astana unterstreichen einige Entwicklungen, die den gesamten politischen Prozess untergraben können, falls sie es nicht ohnehin bereits getan haben. Hier die wichtigsten Entwicklungen:

Es war nie der Zweck der Verhandlungen, die Hoffnungen der Syrer auf Souveränität, nationale Einheit oder die Einhaltung von Grundrechten wie Menschenwürde, gute Regierungsführung oder Gleichheit vor dem Gesetz zu erfüllen. Stattdessen ging es stets darum, die militärischen und politischen Geländegewinne der anti-revolutionären Allianz sowie ihrer internen und externen Helfer zu legitimieren und damit den Kampf um die Aufteilung des Landes in verschiedene Einflusssphären zu verschärfen.

Im Ergebnis weigern sich das Assad-Regime und seine Verbündeten weiterhin, die Resolutionen der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrates umzusetzen. Stattdessen spielen sie auf Zeit und versuchen, den Konflikt militärisch zu entscheiden.

Die Agenda der Verhandlungen demonstriert das ganze Ausmaß der Verachtung für das Leben der Syrer und ihr tragisches Schicksal. So wurden die vom Sicherheitsrat ausdrücklich gewünschten vertrauensbildenden  Maßnahmen einfach aus den Verhandlungen ausgeklammert. Es ist in Astana in keiner Weise gelungen, die willkürlichen Bombenangriffe zu beenden, für die Freilassung der Gefangenen, ein Ende der ethnischen Säuberungen und Zwangsvertreibungen zu sorgen sowie das Aushungern ganzer Ortschaften zu unterbinden.

Der politische Übergang spielt kaum eine Rolle

Auffällig ist die unehrliche Rolle, die die Vereinten Nationen spielen. Der UN-Gesandte für Syrien, Staffan de Mistura, hat schon lange aufgehört, ein Vermittler zu sein. Stattdessen ist er ein Unterhändler Russlands und seiner Verbündeten in Teheran und Damaskus.

Unter dem Druck von Moskau und Teheran ließ de Mistura die von ihm selbst vorgeschlagene Agenda für die Verhandlungsrunde in Astana fallen. Stattdessen stimmte er zu, das Thema Terrorismus von der Tagesordnung zu streichen und zum Gegenstand zukünftiger politischer Verhandlungen zu erklären. Er tat dies zu einem Zeitpunkt, an dem es weder in Syrien noch international Uneinigkeit in dieser Frage gab.

Damit wollte er die Frage eines politischen Übergangs herunterspielen, die de Mistura selbst zunächst als Kern der Verhandlungen bezeichnet hatte. Der politische Wandel sollte nur noch einen Punkt unter vielen ausmachen. Die Assad-Regierung und die internationale Gemeinschaft würden dann aus der Verantwortung entlassen und das Scheitern der Gespräche allen Parteien gleichermaßen zur Last gelegt.

Schließlich wurden der Moskauer und der Kairoer Flügel der syrischen Opposition zu zwei verschiedenen Gesprächsparteien erklärt, um dadurch den Druck auf das Supreme Committee des Syrischen Nationalrats  zu erhöhen und  es zu weiteren Kompromissen zu zwingen. Das syrische Regime wird dadurch rehabilitiert und ein echter politischer Wandel in Syrien verhindert.

Der UN-Gesandte für Syrien, Staffan de Mistura, trifft die iranische Delegation während der ersten Verhandlungsrunde in Astana.
In der Kritik: Der UN-Gesandte für Syrien, Staffan de Mistura, wollte „die Frage eines politischen Übergangs herunterspielen, die er selbst zunächst als Kern der Verhandlungen bezeichnet hatte. Der politische Wandel sollte nur noch einen Punkt unter vielen ausmachen. Die Assad-Regierung und die internationale Gemeinschaft würden dann aus der Verantwortung entlassen und das Scheitern der Gespräche allen Parteien gleichermaßen zur Last gelegt“, kritisiert Burhan Ghalioun.

Die Genf IV-Gespräche kamen aus verschiedenen  Gründe nicht voran:  Die Schwäche der Opposition, ihre Empfänglichkeit für Manipulation und der Druck auf das Supreme Committee, auch Vertreter zu akzeptieren, die näher an Moskau sind als an den Forderungen der Menschen, spielen eine wichtige Rolle.

Aber es gab noch weitere Faktoren. Die unklare Position der neuen US-Regierung in der Nahostfrage und ihre Unfähigkeit, eine klare Vision für Syrien und die Region zu entwickeln, hat alle anderen Teilnehmer im Ungewissen gelassen. Ein weiterer Punkt war die Bereitschaft von Assad und Teheran, einen Erschöpfungskrieg gegen die Rebellen zu führen, nachdem sie an verschiedenen Orten in die Defensive geraten waren. Hinter dieser Bereitschaft verbergen sich Spannungen zwischen Russland und Iran bei der Frage, welche Ziele man verfolgen will.

Die syrische Opposition, vor allem die Vertreter des Moskauer und des Kairoer Flügels, steht in der Verantwortung, dem Druck ihrer jeweiligen Schirmherren standzuhalten und eine gemeinsame Grundlage zu finden, um mit dem Supreme Committee zusammen als Team zu verhandeln.

Eine militärische Entscheidung (von einer politischen ganz zu schweigen) kann keine Kriegspartei erzwingen. Es bleiben also zwei Optionen:

Erstens: Die Opposition wird militärisch und politisch so geschwächt, dass sie akzeptieren muss, ins Regime eingegliedert zu werden. Die Assad-Diktatur würde beibehalten. Dem Ganzen würde eine schöne, konstitutionelle und politische Fassade mit ein paar kosmetischen Veränderungen verliehen.

Zweitens: Es gibt einen Neuanfang, an dem alle oppositionellen Gruppen an einem demokratischen, pluralistischen System teilhaben können. Das würde einen kompletten Bruch mit den blutigen Herrschaftsmethoden der alten Garde bedeuten. In Astana wurden der Moskauer und der Kairoer Flügel der Opposition unter Druck gesetzt, damit sie nicht gemeinsam für die zweite Option verhandeln.

Generalsekretär Guterres muss eingreifen

Das Assad-Regime und seine Verbündeten ignorieren die Resolutionen der Vereinten Nationen und halten die vereinbarte Waffenruhe nicht ein. Unaufhörlich greifen sie Zivilisten an, bombardieren Städte und Wohnviertel, hungern sie aus und weigern sich, Gefangene freizulassen. All das stellt eine persönliche Herausforderung für den UN-Generalsekretär António Guterres dar. Denn der UN-Gesandte de Mistura ist schlicht und einfach zum Vertreter russischer Interessen geworden.

Wenn Guterres seine Glaubwürdigkeit nicht so kurz nach dem Beginn seiner Amtszeit schon verspielen will, dann muss er einschreiten und sicherstellen, dass die Verhandlungen unabhängig geführt werden.

Es ist an der Zeit, dass der UN-Generalsekretär das inzwischen sechsjährige Verhandlungs-Fiasko beendet. Er muss eine Initiative ins Leben rufen, die alle Parteien zur Verantwortung zieht. Es ist die Verantwortung von Guterres zu reagieren, wenn die Staaten Kompromisse verweigern, aber illegitime und illegale Ziele verfolgen. Wer seine Augen vor der Zerstörung einer ganzen Nation, vor Zwangsvertreibung und Massenmord verschließt, der verschlimmert dieses finstere Kapitel der Weltgeschichte nur noch.

Burhan Ghalioun

© Qantara.de 2017

Aus dem Arabischen von Filip Kaźmierczak

Der französisch-syrische Soziologieprofessor Burhan Ghalioun zählt zu den prominentesten syrischen Oppositionellen seines Landes. Er war bis 2012 Vorsitzender des "Syrischen Nationalrates" und ist seitdem Mitglied der "Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte".