"Bei uns muss man gar nicht erst nach Panama gehen"

Die Enthüllungen der "Panama Papers" werfen ihre Schatten auch auf Tunesien. Dennoch: Der Zeitpunkt könnte nicht günstiger sein, nunmehr entschlossen gegen Vetternwirtschaft und Korruption im eigenen Land vorzugehen. Von Sarah Mersch aus Tunis

Von Sarah Mersch

Erst brach die Webseite unter dem Ansturm der Nutzer fast zusammen, dann wurde sie gehackt und zwei Tage lang vom Netz genommen. "Inkyfada" – die tunesische Seite, die die Informationen zu den Panama Papers veröffentlicht, hatte keinen leichten Start. Dabei hat die Redaktion von "Inkyfada" erst zwei Namen öffentlich gemacht. Die jedoch haben es in sich, handelt sich doch um keinen Geringeren als Mohsen Marzouk, 2014 Wahlkampfmanager von Staatspräsident Beji Caid Essebsi und inzwischen Vorsitzender einer neuen Partei namens "Projekt Tunesien". Als weitere Person wird Samir Abdelli aufgeführt, Wirtschaftsanwalt und Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014.

Insgesamt finden sich in rund 8.000 Dokumenten der "Panama Papers" Verbindungen nach Tunesien, mehr als 20 Tunesier werden dort namentlich genannt, so "Inkyfada"-Herausgeber Malek Khadhraoui.

Laut Darstellung von "Inkyfada" verfügt Samir Abdelli über Verbindungen zu drei Offshore-Firmen, an denen er zwischen 2006 und 2015 beteiligt gewesen sein soll. Eine davon, das "Global Petroleum Management", das in Ölgeschäfte im Süden Tunesiens involviert ist, hat Abdelli auch als Anwalt vertreten. Korruptionsvorwürfe weist der ehemalige Präsidentschaftskandidat jedoch weit von sich. Er habe lediglich im Auftrag seiner Kunden gehandelt und sich dabei an geltendes Recht gehalten.

Moralisch zweifelhaft, strafrechtlich nicht

Der inzwischen in Ungnade gefallene Wahlkampfchef von Präsident Essebsi, Mohsen Marzouk, soll sich im Herbst 2014, just zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen, per Email bei der panamesischen Firma Mossack Fonseca erkundigt haben, wie er auf den Jungferninseln oder auf der Antillen-Insel Anguilla eine Firma eröffnen könne. So relevant das moralisch sein mag, strafrechtlich belangt werden kann der Politiker dafür kaum.

Die Vorwürfe gegen die beiden Politiker mögen im internationalen Vergleich eher dünn erscheinen, sie haben jedoch in Tunesien auf verschiedenen Ebenen überraschend heftige Reaktionen ausgelöst. Das Webmagazin "Inkyfada", das die Berichte über die Tunesien betreffenden "Panama Papers" veröffentlichte, sah sich massiven Anfeindungen der Öffentlichkeit und anderer tunesischer Medien ausgesetzt. Von einem "Sturm im Wasserglas" und "Stimmungsmache" war dort die Rede.

Screenshot "Inkyfada" mit dem Aufmacher zu den "Panama Papers" im Zusammenhang mit Tunesien
Insgesamt finden sich in rund 8.000 Dokumenten der "Panama Papers" Verbindungen nach Tunesien, mehr als 20 Tunesier werden dort namentlich genannt, berichtet "Inkyfada"-Herausgeber Malek Khadhraoui.

Kritiker warfen den Journalisten unter anderem vor, nicht sauber zu arbeiten und keine klaren Beweise für das Fehlverhalten der beschuldigten Politiker zu liefern. Die "Inkyfada"-Redaktion verteidigte ihr Vorgehen. Sie habe alle Betroffenen vor Veröffentlichung kontaktiert, damit sie zu den Dokumenten Stellung nehmen könne. Für alles weitere sei die Justiz zuständig.

Juristische und politische Konsequenzen

Mohsen Marzouk wandte sich umgehend an die Justiz, um Anzeige gegen "Inkyfada" zu erstatten. Er streitet ab, die zitierten Emails verfasst zu haben, und wirft den Betreibern der Webseite Diffamierung vor.

Doch Tunesien ist nicht nur das erste Land, in dem gegen ein Medium wegen einer Veröffentlichung Anzeige erstattet wird. "Tunesien ist auch das erste arabische Land, in dem die Politik auf die Enthüllungen reagiert hat", freut sich Mouheb Garoui von der Organisation "I Watch", dem tunesischen Büro von "Transparency International".

Seit Bekanntwerden der ersten Informationen über die "Panama Papers" im tunesischen Kontext überschlugen sich die Ankündigungen der Politik, sich der Angelegenheit anzunehmen. Justiz- und Finanzministerium sowie die tunesische Zentralbank leiteten eine Untersuchung ein, das Parlament hat einen Untersuchungsausschuss eingerichtet und die "Nationale Instanz zur Korruptionsbekämpfung" forderte "Inkyfada" zur Zusammenarbeit auf.

"Es sieht so aus, als werde sich die Politik endlich bewusst, was für ein schwerwiegendes Korruptionsproblem Tunesien hat", meint Garoui. Diesen Elan müsse man jetzt nutzen, um ernsthaft gegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Schmiergeldzahlungen im Land vorzugehen.

Mouheb Garoui von der Organisation "I Watch"; Foto: Sarah Mersch
Im Sumpf von Schmiergeldern, dubiosen Finanztransaktionen und Filz: "Es sieht so aus, als werde sich die Politik endlich bewusst, was für ein schwerwiegendes Korruptionsproblem Tunesien hat", meint Garoui von der NGO "I Watch".

Blühende Korruption – auch nach 2011

Obwohl mit der Flucht von Langzeitdiktator Zine El Abidine Ben Ali im Januar 2011 die prominenten Köpfe der korrupten Wirtschaftselite von den Spitzen der Macht verdrängt wurden, hat sich in Tunesien im Alltag nur wenig geändert: Der Schwarzhandel mit Benzin, Zigaretten und Waffen blüht, Schmiergelder fließen, um Verwaltungsvorgänge zu beschleunigen; und 54 Prozent der landesweiten Unternehmen sollen sich laut einer Studie des tunesischen Unternehmerverbands nicht ans Gesetz halten. Auf dem Korruptionsindex von "Transparency International" steht Tunesien derzeit auf Platz 76 (von 167) – schlechter als noch im Jahr 2011. Als Tunesier müsse man also gar nicht erst nach Panama gehen, scherzt Mouheb Garoui.

Obwohl verschiedene staatliche Organe nach dem politischen Umbruch mit der Aufarbeitung der Korruption beauftragt wurden hat sich seitdem kaum etwas geändert. Der umfangreiche Abschlussbericht einer im Januar 2011 ins Leben gerufenen Kommission zur Untersuchung von Geldwäsche und Veruntreuung öffentlicher Gelder verstaubt seit seiner Veröffentlichung.

"Hierin finden sich beispielsweise Beweise dafür, wie der Direktor einer staatlichen Bank auch nach der Revolution an einem Tag 900.000 Dinar (rund 205.000 Euro) auf das Konto einer Schwester von Ben Ali überwiesen und das Geld aus dem System entfernt hat", berichtet Mouheb Garoui. Doch zu einem Verfahren sei es nie gekommen. Stattdessen wurde der Verantwortliche sogar noch befördert. Bis heute sei in Tunesien der politische Wille nicht erkennbar, ernsthaft gegen Korruption, Filz sowie gegen den aufgeblasenen Verwaltungsapparat vorzugehen. "Heute gibt es zwar keine Ben Alis und Trabelsis mehr, doch stattdessen haben andere Politiker und Geschäftsleute ihren Platz eingenommen", so Garoui.

Der tunesische Ex-Präsident Moncef Marzouki, Foto: Sarah Mersch/DW
Zur wirtschaftlichen Krise im Land hatte sich jüngst auch der frühere tunesische Präsident Moncef Marzouki zu Wort gemeldet. Unter den Mitgliedern der gegenwärtigen Regierung seien "notorisch Korrupte", die "die Moral des Landes ruinieren", sagte Marzouki. Gegen die Korruption in Tunesien sei definitiv noch nicht genug getan worden.

Jetzt oder nie gegen die grassierende Korruption

Die aktuelle Instanz zum Kampf gegen die Korruption, die 2014 ihre Arbeit aufgenommen hat, klagt über Personalmangel, fehlende Budgets und auch gezielte Schikanen durch die Verwaltung. Ihr neuer Direktor Chawki Tabib, der als integer geltende ehemalige Vorsitzende der tunesischen Anwaltskammer, hat zwar gerade von der Regierung die Zusage erhalten, dass das Budget der Instanz deutlich erhöht wird. Doch bei der Instanz stapeln sich mittlerweile mehr als 9.000 Fälle.

"In der zuständigen Kammer des Finanzgerichts gibt es aber nur elf Richter", berichtet Garoui. Die wurden nach der Revolution für viel Geld weitergebildet und dann auf Anordnung des Justizministeriums nach und nach in andere Bereiche versetzt“, erzählt er kopfschüttelnd.

Allerdings gibt es derzeit Gesetzesvorhaben, die unter anderem den Schutz von sogenannten Whistleblowern vorsehen. Außerdem will die Regierung in Kürze eine Fünfjahresstrategie zum Kampf gegen die Korruption vorstellen. "Insofern wurden die 'Panama Papers' für Tunesien wirklich zum passenden Zeitpunkt veröffentlicht", meint Garoui. "Der Zeitpunkt ist günstig. Entweder man verabschiedet jetzt diese wichtigen Gesetze oder man lässt es ganz bleiben. Denn wer sich jetzt dagegen stellt, macht sich automatisch verdächtigt."

Unterdessen warten viele Tunesier auf weitere Namen von Prominenten, die in den "Panama Papers" stehen sollen – unter anderem auch der Name eines tunesischen Medienunternehmers.

Sarah Mersch

© Qantara.de 2016