"Die politische Arena ist geschlossen"

Ägyptens regimekritische Opposition steht fast drei Jahre nach der Machtergreifung der Armee mit dem Rücken zur Wand. Linksliberale Parteien und Bewegungen sind politisch marginalisiert, versuchen jedoch durch enge Allianzen ihre Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Doch reicht das aus, um auch langfristig politischen Einfluss zu bewahren? Aus Kairo berichtet Sofian Philip Naceur.

Von Sofian Philip Naceur

Repression gehört wieder zum Alltag in Ägypten. Aktivsten werden verhaftet und vor Gericht gestellt, Proteste sind faktisch verboten. Selbst verbal geäußerter Unmut über Präsident Abdel Fattah al-Sisi und seine Politik wird strafrechtlich verfolgt. Jedwede Form der Opposition wird konsequent und erbarmungslos mundtot gemacht.

"Die politische Arena ist geschlossen", erklärte Medhat Zahed, Chef der "Sozialistischen Volksallianz" (SPAP), bereits im April 2014. Damals nutzten seine Partei und weitere linksliberale Kräfte den Präsidentschaftswahlkampf, um für eine Alternative zur islamistischen Agenda der Muslimbruderschaft einerseits und der Militärherrschaft andererseits zu werben. Es sollte vorerst die letzte Gelegenheit sein, offen gegen Al-Sisis Politik zu opponieren. Denn heute, zwei Jahre nach dessen Amtsantritt, ist die Bewegungsfreiheit der Opposition beschränkter denn je.

Auch der Journalist und ehemalige Sprecher der Verfassungspartei, Khaled Dawoud, zeigt sich frustriert. "Ohne Kritik üben zu wollen, aber der Präsident agiert wie ein Armeekommandeur im Krieg, die Opposition hat keinerlei Raum zum Manövrieren", erzählt er. Dabei keimte nach der umstrittenen Ankündigung Al-Sisis die Inseln Tiran und Sanafir im Roten Meer an Saudi-Arabien abzutreten erstmals wieder Hoffnung auf den politischen Raum im Land öffnen zu können.

Die Proteste gegen die Abgabe der Inseln am 15. April waren weit größer als erwartet, sagt Dawoud. Dies sei eine klare Botschaft an Al-Sisi gewesen, dass Menschen wieder bereit sind, öffentlich eine Position zu artikulieren, die sich von der Linie des Regimes unterscheidet. Doch das harte Vorgehen der Staatsmacht gegen die zweite Protestwelle am 25. April führte der Opposition vor Augen, dass offene Regimekritik auch weiterhin nicht toleriert wird.

Proteste gegen die Übergabe von zwei Inseln an Saudi-Arabien vor dem Gebäude der Journalistengewerkschaft in Kairo; Foto: Reuters/A. Dalsh
Protest gegen Ausverkauf nationaler Interessen: In Ägypten hatten sich im April die Proteste gegen Pläne der Regierung gerichtet, zwei Inseln im Roten Meer an Saudi-Arabien abzutreten. Doch ein Großaufgebot von Sicherheitskräften verhinderte größere Kundgebungen. Insgesamt wurden etwa 400 Menschen festgenommen und der Staatsanwaltschaft überstellt. Menschenrechtsanwälte berichteten von mehr als 1.300 Festgenommenen wegen Kritik an der geplanten Übergabe der Inseln.

Die strafrechtlichen Folgen der Proteste stellen die Opposition derweil auch vor ein finanzielles Problem, bestätigt Dawoud. Denn dutzende Aktivisten, darunter Mitglieder der "Verfassungspartei", der trotzkistischen "Revolutionären Sozialisten" und der liberalen "Bewegung 6. April", wurden nicht nur zu Haftstrafen, sondern auch zu empfindlichen Geldbußen in Höhe von umgerechnet rund 10.000 Euro verurteilt. Damit trägt Ägyptens Justiz dazu bei, die klamme linksliberale Opposition auch finanziell in Bedrängnis zu bringen.

Ägyptens Opposition unter Druck

Auch daher sei die Verfassungspartei in einem schlechten Zustand, so Dawoud. "Die allgemeine Atmosphäre im Land ermutigt Parteien keineswegs dazu politisch aktiv zu sein, vor allem in der Opposition. Letztendlich braucht eine Partei Finanzmittel, eine freie Presse und die Möglichkeit sich auszudrücken, doch all dies ist derzeit nicht gegeben", betont der Journalist.

Dennoch setzen die an der Kampagne gegen das Inselabkommen mit Riad beteiligten Parteien und Bewegungen ihre Arbeit fort und organisieren Sit-Ins und Informationsveranstaltungen. Die Proteste im April und die gemeinsame Kampagnenarbeit haben das linksliberale Lager wieder enger zusammenrücken lassen. Und das auch über ideologische Barrieren hinweg. Denn neben linken, antikapitalistischen Parteien wie der SPAP, der "Al-Karama", dem "Popular Current" und den "Revolutionären Sozialisten" sind auch die "Bewegung 6. April", die "Verfassungspartei" und die "Ägyptische Sozialdemokratische Partei in der demokratischen Strömung", einer informellen oppositionellen Allianz, organisiert.

Doch diese Kooperation ist keineswegs neu, betont Ayman Abdelmeguid, Mitglied des Politbüros der "Bewegung 6. April". In der Tat haben seit Beginn der Revolution 2011 sozialistische und trotzkistische, aber auch liberale und sozialdemokratische Kräfte immer wieder koaliert. Zunächst gemeinsam mit den Muslimbrüdern gegen die Militärherrschaft, ab 2013 mit regimenahen Kräften gegen die islamistische Politik von Expräsident Mohamed Mursi.

Anhänger der Bewegung 6. April in Kairo; Foto: AP
Verloren gegangener Nimbus: Die Jugendbewegung des 6. April, die mittlerweile vom Sisi-Regime verboten wurde, spielte eine Schlüsselrolle beim Aufstand gegen Mubarak, der mit ersten Massenprotesten am 25. Januar 2011 begann.

Seit Mursis Absetzung und der erneuten Machtergreifung der Armee ist die linksliberale Opposition jedoch weitgehend isoliert. Und das dürfte vorerst auch so bleiben – zu tief sind die Gräben zwischen Islamisten und Linksliberalen sowie regimenahen und Kräften, die sich kritisch über das Militär äußern.

Eine Allianz linker und liberaler Gruppierungen

Entscheidend für die jüngste Neuauflage dieser Allianz linker, liberaler und sozialdemokratischer Kräfte ist jedoch abermals der erdrückende Einfluss der Armee auf die politische Sphäre im Land und der konsequenten Ablehnung dessen seitens sozialdemokratischer Parteien. "Unser Ziel ist ein ziviler, demokratischer und moderner Staat", betont Farid Zahran, neu gewählter Vorsitzender der ägyptischen Sozialdemokraten. "Wer mit uns langfristig Schulter an Schulter an der Verwirklichung dieses Zieles arbeiten wird, können wir nicht sagen, aber wir werden dabei keine Kompromisse eingehen."

Ägyptens Sozialdemokraten verstehen sich als eine Art Scharnier innerhalb der parteipolitischen Landschaft am Nil. "Wir treffen uns mit linken Parteien, aber auch mit liberalen Parteien wie den 'Freien Ägyptern' und der Wafd-Partei." Die Sozialdemokraten wollen Brücken bauen und halten daher auch Kontakte zu regimenahen Parteien, die von linken Kräften gemieden werden. "Die einzige Lösung für die politische und wirtschaftliche Krise ist der Dialog zwischen Parteien, aber auch innerhalb der Gesellschaft", so Zahran. "Wollen wir die Krise in den Griff bekommen, müssen wir uns endlich an einen Tisch setzen", sagt er.

Anders als in Europa ist eine Kooperation von Sozialdemokraten und Linken in Ägypten jedoch kein Tabu. Europas sozialdemokratische Parteien tendieren nach rechts, in der Dritten Welt nach links, meint Zahran. Auch die "Bewegung 6. April" akzeptiert einen "Kapitalismus mit menschlichem Antlitz" – solange die Armen dabei nicht ärmer werden, so Abdelmeguid. Wirtschaftspolitisch sei man nicht weit entfernt von der Linken, glaubt er.

Heute mag dieses Bündnis angesichts der vollständigen staatlichen Kontrolle der politischen Sphäre und der Medien durch regimenahe Kräfte und anhaltende polizeiliche Repression gar überlebenswichtig sein. Doch ob diese "kohärente Arbeitsgruppe", wie Abdelmeguid die Allianz bezeichnet, das Potenzial dazu hat, sich zu einer gestaltungsfähigen Kraft zu entwickeln, bleibt offen und eng verknüpft mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik des Regimes. Hält dieses an seinem bisherigen katastrophalen Kurs fest, der die sozialen Probleme des Landes noch weiter verstärkt, dürften linke und liberale Kräfte auch in Zukunft aneinander gebunden bleiben.

Sofian Philip Naceur

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