Das Kabinett der Feinde

Im Irak wurde jüngst der neue Ministerpräsident Haidar al-Abadi und ein Teil seines Kabinetts mit den Stimmen der kurdischen Abgeordneten vom Parlament bestätigt. Doch das Feilschen auf dem politischen Basar des Iraks nach Saddam Hussein ist damit noch lange nicht zu Ende. Aus Bagdad berichtet Birgit Svensson.

Von Birgit Svensson

Begeistern kann die neue Regierung in Bagdad nicht. Die Posten des Verteidigungs- und Innenministers sind noch nicht besetzt, und außer dem kurdischen Staatspräsidenten sind die Kurden nur noch mit ihrem ehemaligen, langjährigen Außenminister Hoshiar Zebari vertreten, der Vizepremier wurde. Zeitweise drohten deren Abgeordnete gar die Parlamentssitzung zu verlassen.

Auch zwischen den anderen Fraktionen gab es Streit. Die schiitische Badr-Partei konnte ihren Kandidaten für den Posten des Innenministers nicht durchbringen. Der ehemals mächtige Ölminister Hussein al-Scharistani wollte sich nicht mit dem Hochschulministerium zufrieden geben.

Das Feilschen auf dem politischen Basar im Irak nach Saddam Hussein ist also noch nicht zu Ende. Trotzdem haben 177 Abgeordnete (166 waren nötig) für die halbfertige Kabinettsliste des designierten Premierministers Haider al-Abadi gestimmt. So wertet man die Zustimmung der Parlamentarier auch eher als ein Votum für den neuen Premier und nicht unbedingt für dessen Regierung. Das Votum ist eine klare Absage an Nuri al-Maliki, der alles tat, um eine dritte Amtszeit zu bekommen und schließlich doch aufgeben musste.

Unter Feinden

Dieser sitzt nun umgeben von seinen Erzfeinden Ijad Allawi und Osama Nujaifi am Tisch von Präsident Fuad Masum. Während Allawi nach der letzten Wahl 2010 von Maliki kaltgestellt wurde, stieg Nujaifi als Parlamentspräsident zum einflussreichsten sunnitischen Politiker auf und rüttelte an Malikis Stuhl. Beschimpfungen und Verleumdungen waren die Folge.

Ein von Maliki initiiertes Misstrauensvotum gegen Nujaifi im Parlament scheiterte nur knapp. Nun muss Masum versuchen, seine drei Stellvertreter dazu zu bewegen, gemeinsam gegen den Terror des "Islamischen Staates" (IS) zu agieren und ihre Anhänger nicht gegeneinander, wie es in der Vergangenheit der Fall war, sondern miteinander zu mobilisieren. Denn nur so wollen die USA sich wieder stärker im Irak engagieren. Und nur so ist das Kalifat, das die Terrorgruppe auf weiten Teilen Nordiraks ausgerufen hat, zu besiegen.

Nuri al-Maliki (l.) gratuliert Haidar al-Abadi, dem neuen irakischen Ministerpräsidenten, in Bagdad; Foto: Reuters/Hadi Mizban
Ungeheure politische Last: Haidar al-Abadi muss all das wiedergutmachen, was Maliki eingebrockt hat. Er muss das Verhältnis zu den Sunniten reparieren und für die Kurden einen Kompromiss finden. Drei Monate hat er dafür Zeit. So lange wollen die Kurden stillhalten und ihm eine Chance zu einer einvernehmlichen Lösung geben.

Es steht sehr zu befürchten: Je länger der Dschihadisten-Staat besteht, desto schwieriger wird es, seine Gründung wieder rückgängig zu machen. Immerhin sind nun schon drei Monate seit der Blitzinvasion der Gotteskrieger und ihrer Einnahme Mossuls und Tikrits vergangen. Beständig hat die Terrormiliz Landgewinne verzeichnet – trotz gelegentlicher Rückzüge.

Schwieriges politisches Erbe

Auf dem neuen Premier liegt eine ungeheure Last. Abadi muss all das wiedergutmachen, was Maliki eingebrockt hat. Er muss das Verhältnis zu den Sunniten reparieren und für die Kurden einen Kompromiss finden. Drei Monate hat er dafür Zeit. So lange wollen die Kurden stillhalten und ihm eine Chance zu einer einvernehmlichen Lösung geben.

Es geht um Öl und dessen Export, um die Verteilung der Erlöse. Es geht um Kirkuk und die Verwaltungszugehörigkeit der reichen Ölstadt. Und es geht um mehr Selbstständigkeit in Entscheidungen, die die kurdischen Provinzen im Nordosten des Landes betreffen. Die Kurden drängen auf die Einhaltung des Prinzips eines föderalen Staates, der zwar in der irakischen Verfassung verankert, aber nie verwirklicht wurde.

Ex-Premier Maliki pochte auf die Rolle des Zentralstaates. Autonomiebestrebungen der Provinzen erteilte er stets eine rüde Absage. Als die ersten Demonstrationen gegen ihn und die Zentralregierung in Bagdad vor zwei Jahren in der Sunnitenprovinz Anbar friedlich begannen und auch aus Mossul Forderungen nach mehr Selbstständigkeit für Ninive laut wurden, wischte er die Anträge der jeweiligen Gouverneure kompromisslos vom Tisch. Er verlangte Gehorsam gegenüber Bagdad. Die Hauptstadt sollte das alleinige Sagen über die Zukunft des Landes haben.

Maliki als "neuer Saddam"?

Deshalb glaubten viele Iraker in Maliki einen neuen Saddam, einen neuen Diktator zu sehen. Auch deshalb jubelten viele zunächst den IS-Terroristen zu, als sie Mossul, Tikrit und andere Städte einnahmen und deren Einwohner vom "Joch Bagdads" befreiten.

Demonstration von sunnitischen Stämmen aus Ramadi gegen die Regierung al-Maliki am 23. Dezember 2012; Foto: Joy Bhowmik
Tiefes Misstrauen in die ehemalige Regierung Nuri al-Malikis und Widerstand gegen eine schiitische Dominanz in Politik, Verwaltung und Armee: Demonstration sunnitischer Stämmen aus Ramadi gegen die Regierung al-Maliki am 23. Dezember 2012.

Dass der Schiit Abadi auf Sunniten und Kurden zugehen will, zeigen Dokumente, die das irakische Internetportal IraqiNews jüngst veröffentlicht. Ein 20-Punkte-Papier wurde zur Grundlage für die Zustimmung zu seiner neuen Regierung gemacht. Darin heißt es, dass die Zentralregierung in Bagdad fortan eine umfangreiche Kooperation mit bewaffneten Stammesführern in den Sunnitenprovinzen anstrebe. Den Provinzen solle mehr Selbstständigkeit eingeräumt werden, indem sie selbst über Spezialkräfte für ihre Sicherheit bestimmen können.

Die zuletzt unter Premier Maliki verheerende Konfrontation zwischen Schiiten und Sunniten gipfelte in dem Vorwurf, die irakische Armee sei einseitig schiitisch ausgerichtet und würde Sunniten diskriminieren. Der neue Premier will nun den Sunniten selbst den Schlüssel für die Sicherheit in ihren Regionen in die Hand geben. Außerdem sagte er zu, dass Gebiete, die von IS im Kampf mit der irakischen Armee zerstört wurden, schnellstens wieder aufgebaut werden sollen.

Im Streit ums Öl und dessen rechtmäßigen Verkauf soll mit den Kurden schnellstens eine Lösung gefunden werden. Dafür soll Adel Abdul Mahdi sorgen, ein ruhiger, bedachter, schiitischer Politiker, der Seite an Seite mit den Kurden seit Jahren in Bagdad Politik macht und in Frankreich studiert und gelebt hat.

Im Gegensatz zu seinem unnachgiebigen, ruppigen Vorgänger Scharistani wird der neue Ölminister alles daran setzen, die Kurden im irakischen Verbund zu halten. Die Stimmen, die in den Kurdengebieten Erbil, Dohuk und Suleimanija nach einem unabhängigen kurdischen Staat rufen, sind zwar durch die Niederlage der Peschmerga gegenüber IS leiser geworden. Verstummt sind sie aber nicht.

Birgit Svensson

© Qantara.de 2014