Problem oder Chance?

Immer öfter sitzen Schüler verschiedener Nationen, Kulturen und Religionen in einem Klassenzimmer. An der Uni Hildesheim überlegt man, wie man Lehrer besser auf diese Vielfalt vorbereiten kann, und zwar weltweit. Anke Martina Witt berichtet

Von Anke Martina Witt

"Es sind doch alles Kinder, ich mache da gar keinen Unterschied", sagt Lehramtsstudentin Janina. Die 24-Jährige studiert an der Universität Hildesheim Deutsch und Religion. Für sie ist es ganz normal, dass sie in ihrer Klasse die unterschiedlichsten Schüler unterrichtet. "Ich habe es ja schon selbst als Schülerin erlebt, dass wir nicht nur Deutsche in der Klasse waren." Daher sei ihr immer bewusst gewesen, was als Lehrerin auf sie zukommt, betont Janina.

Doch auch an deutschen Universitäten hat das Thema interkulturelle Bildung in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Immerhin kommt heute jedes dritte Kind unter fünf Jahren aus einer Einwandererfamilie. Um ihre Lehramtsstudenten besser auf die Vielfalt im Klassenzimmer vorbereiten zu können, hat die Universität Hildesheim gerade ein Zentrum für Bildungsintegration gegründet. Zu diesem Anlass trafen sich vor kurzem rund 300 nationale und internationale Experten aus Wissenschaft und Praxis, um länderübergreifend über den Stand und die Perspektiven in der Lehrerausbildung zu diskutieren.

Hintergründe der Zuwanderung erfassen

Schon seit einigen Jahren hat die Hochschule in Hildesheim ein besonderes Augenmerk auf die interkulturelle Lehrerausbildung. Sie bietet ihren Studierenden Seminare und Vorlesungen zu Mehrsprachigkeit und interkultureller Pädagogik an. Im Projekt "LernKU(H)LT - Kinder unterschiedlicher Herkunftssprachen lernen im Team" helfen angehende Lehrer Schülern mit Migrationshintergrund bei Hausaufgaben und fördern ihre Sprachfähigkeit.

David Montemurro von der Universität Toronto; Foto: DW
Im klassischen Einwanderungsland Kanada gehöre interkulturelle Bildung zum Studium, betont David Montemurro von der Universität Toronto.

Künftig sollen sich alle Lehramtsstudierenden mit Mehrsprachigkeit und Deutsch als Zweitsprache beschäftigen, egal, ob sie Mathe, Kunst oder Deutsch studieren. Das Angebot an interkulturellen Themen soll ausgebaut werden. "Es ist wichtig, dass Studenten sich auch mit den Hintergründen der Zuwanderung beschäftigen", betont Melanie Fabel-Lamla, Professorin für Schulpädagogik. Nur so könnten sie vorbereitet sein auf mögliche Konflikte im Klassenzimmer, verschiedene kulturelle und religiöse Werthaltungen.

Während in Deutschland die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Kulturen und Sprachen der Schüler noch recht jung ist, gehört sie im klassischen Einwanderungsland Kanada schon seit langem zum Alltag. "Gerade in großen Städten kann es sein, dass an einer Schule bis zu 70 verschiedene Sprachen gesprochen werden", erklärt David Montemurro von der Universität Toronto. Daher käme kein Lehramts-Student um das Thema interkulturelle Bildung herum. "Es ist Bestandteil der gesamten Ausbildung, von Anfang an", sagt der Bildungsexperte.

In ihrer Bewerbung für einen Studienplatz müssen die Studierenden beschreiben, wie sie künftig mit der Vielfalt in ihrem Klassenzimmer umgehen wollen und warum sie für den Lehrerberuf geeignet sind. Außerdem würden sich viele Lehrer in Englisch als Zweitsprache weiterbilden, egal ob sie eigentlich Mathe oder Physik unterrichten. "Ihnen ist sehr schnell klar, dass sie nur erfolgreich unterrichten können, wenn sie auf die unterschiedlichsten kulturellen oder sozialen Hintergründe der Schüler eingehen", so Montemurro.

Kulturelle Vielfalt im Klassenzimmer

Vielfältig sind in Kanada allerdings nicht nur die Klassenzimmer, sondern auch die Hörsäle. "30 bis 40 Prozent meiner Studierenden haben einen Migrationshintergrund", berichtet der Professor. Viele Jugendliche mit Migrationshintergrund erreichten gute Schulabschlüsse. Allerdings gebe es noch Probleme: Studien hätten gezeigt, dass etwa Schüler mit südamerikanischem Hintergrund durchschnittlich schlechter abschnitten. Dort müssten auch Universitäten und Schulen nachbessern.

Ciğdem Bozdağ von der Uni Istanbul; Foto: DW
Ciğdem Bozdağ von der Uni Istanbul sieht beim Thema "kulturelle Vielfalt" einen Nachholbedarf für die Türkei.

Auch in Norwegen hat sich der Blick auf die Vielfalt im Klassenzimmer verändert - weg vom Problem hin zur Chance. Dabei bezieht sich Vielfalt aber nicht nur auf die kulturellen Hintergründe der Kinder, sondern zum Beispiel auch auf ihre Religion, ihre soziale Herkunft oder ihre geistigen Fähigkeiten, sagt Heidi Biseth vom Buskerud and Vestfold University College in der Nähe von Oslo: "Angehende Lehrer sollten diese Unterschiedlichkeiten als etwas völlig Normales wahrnehmen."

Dennoch müsse in der Lehrerausbildung auch noch weiter auf den Umgang mit unterschiedlichen Kulturen eingegangen werden. "Es ist wichtig, dass die Studierenden für die eigene und für fremde Kulturen sensibilisiert werden; dass sie lernen, wie sie mit Kindern umgehen, die eine andere Sprache sprechen." Das sei wichtiger, als mit exotischem Essen und bunten Fahnen die Vielfalt zu feiern.

In der Türkei sieht der Umgang mit der Vielfalt im Klassenzimmer und die Ausbildung der Lehrer wiederum ganz anders aus, berichtet Ciğdem Bozdağ von der Sabancı Universität Istanbul. Es gebe zwar viele Minderheiten, wie Kurden oder auch Aleviten, trotzdem sei kulturelle Vielfalt kein Thema auf der politischen Agenda. Viele türkische Lehrer wüssten daher nicht, wie sie etwa mit kurdischen Schülern, mit unterschiedlichen Kulturen und Sprachen in ihrer Klasse umgehen sollen, kritisiert Ciğdem Bozdağ.

Mittlerweile gibt es laut Bozdağ aber einige Studien zu dem Thema. Die Wissenschaft beginne sich damit zu beschäftigen. "Es muss aber noch viel passieren", sagt die Forscherin. Ideen und Anregungen von der Tagung an der Universität Hildesheim könnten da ein weiterer Schritt in die richtige Richtung sein.

Anke Martina Witt

© Deutsche Welle 2014

Redaktion: Sabine Damaschke/DW