Islamistischem Terror auf der Spur

Drei Journalisten versuchen in "Die Kinder des Dschihad" das Phänomen des islamistischen Terrors zu erklären. Auch wenn die aufwändigen Recherchen nichts Neues ergeben haben, ist doch ein lesenswerter Band herausgekommen, meint Jürgen Endres.

Drei Journalisten versuchen in dem kürzlich erschienenen Buch "Die Kinder des Dschihad" das Phänomen des islamistischen Terrors zu erklären. Auch wenn die aufwändigen Recherchen nichts Neues ergeben haben, ist doch ein lesenswerter Band herausgekommen, meint Jürgen Endres.

Bewaffneter Islamist in Gaza-Stadt bei Beerdigungsprozession des Islamischen-Jihad-Führers Aziz Shami; Foto: AP
Die "Kinder des Dschihad" haben keine Heimat außer ihrer Religion. Ihre Staatsangehörigkeit ist der Islam und ihre Zugehörigkeit die zur weltweiten Gemeinschaft der Muslime

​​Publikationen – mal mehr, mal weniger gelungen, mal aus berufenem, mal aus weniger berufenem Munde – rund um "islamischen Fundamentalismus", "Islamismus" oder "islamistischen Terrorismus" gibt es zuhauf und es werden zweifellos immer mehr.

Mit "Die Kinder des Dschihad" haben nun Souad Mekhennet, Claudia Sautter und Michael Hanfeld ein weiteres Buch veröffentlicht, das sich mit dem islamistischen Terrorismus auseinander setzt und versucht, dieses Phänomen zu erklären.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Autoren, allesamt renommierte Journalisten, haben mit ihrem Buch ein durchaus lesenswertes und in Teilen sogar spannendes Buch vorgelegt.

Dies, obwohl ihre sicherlich aufwendigen Recherchen nicht wirklich grundsätzlich Neues zu Tage fördern konnten und auch das erklärte Ziel des Autorentrios, nämlich bei ihren Erklärungen "bei denen anzusetzen, über die wir reden und die uns so rätselhaft sind" nur in Ansätzen erreicht werden konnte.

Vielfältige Schwerpunkte

Nichtsdestotrotz ist das anschaulich geschriebene Buch größtenteils überaus informativ. Insbesondere die von den Autoren auf Recherchereisen durch verschiedene Staaten Europas und der arabisch-islamischen Welt zusammengetragenen Originaltöne der interviewten Islamisten sind äußerst eindrücklich.

Inhaltlich ist das Buch mit den durch die Autoren getroffenen Themenschwerpunkten überaus vielfältig gestaltet. Dargestellt und erörtert werden etwa der Verlauf des "Karikaturenstreits", die historische Entwicklung des modernen Islamismus und islamistischen Terrorismus sowie verschiedene Biographien moderner militanter Islamisten in Europa und der arabisch-islamischen Welt.

Darüber hinaus besuchen die Autoren die "Jamia Hakkania", eine von den Taliban im Norden Pakistans betriebene Hochschule, zeigen auf, wie die islamistische Propaganda die vielfältigen Möglichkeiten des Internets nutzt und dokumentieren, wenn auch skizzenhaft, die Biographien verschiedener islamistischer "Größen": Sayyid Qutb, Usama Bin Laden und Abu Musab al-Zarqawi.

Warum die Autoren sich für den irreführenden, weil den geographischen Fokus des Buches fälschlicherweise verengenden Untertitel "Die neue Generation des islamistischen Terrors in Europa" entschieden haben, bleibt vor diesem Hintergrund allerdings unverständlich.

Übertrieben journalistischer Stil

Aufgrund seiner verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkte ist das Buch dann auch vieles zugleich: Analyse islamistischer Netzwerke, mikrosoziologische Skizze sich radikalisierender islamistischer Biographien, Dokumentation gängiger und häufig tradierter Verschwörungstheorien wie auch Beschreibung der Wahrnehmung und Interpretation der Verhältnisse und Ereignisse im Nahen Osten durch Islamisten.

​​Bewusst haben die Autoren in ihrem Buch einen äußerst journalistischen Stil gewählt – stellenweise vielleicht sogar zu journalistisch. Und so ist die Ankündigung im Vorwort "Dies ist ein Reportagebuch" Versprechen und Warnung an die Leserschaft zugleich: ein Versprechen auf spannende und informative Lektürestunden (was zweifelsohne eingehalten wird) und eine Warnung vor übertriebenen journalistischen, manchmal auch sensationsheischenden Stilmitteln.

So haben die Autoren "mit den "Kindern des Dschihad" selbst gesprochen", sich "unter konspirativen Umständen" mit Gesprächspartnern getroffen, Autos und Handys gewechselt, um an "Gesprächspartner heranzukommen", der Wind "fegt" um das Zentrum für Integration und natürlich ist die Ecke "zugig".

Islam als Bezugspunkt

Die im Verlauf des Buches gegebenen Erklärungsansätze für das Phänomen des Islamismus oder islamistischen Terrorismus sind nicht wirklich neu, werden jedoch innerhalb des Buches durch die verschiedenen recherchierten Biographien und Interviewpassagen äußerst anschaulich illustriert.

So wird deutlich herausgearbeitet, wie sich der Islam in vielen islamistischen Biographien zum einzig verbleibenden Bezugspunkt entwickelt und welch unterschiedliche Faktoren zu einem sich stetig radikalisierenden Islamverständnis beitragen können.

Die "Kinder des Dschihad", so die Autoren, haben keine Heimat außer ihrer Religion, ihre Staatsangehörigkeit ist der Islam und ihre Zugehörigkeit die zur weltweiten Gemeinschaft der Muslime.

Die porträtierten Radikalisierungsprozesse werden im Kontext weltpolitischer Entwicklungen oder Ereignisse (etwa beschleunigt oder gar angestoßen durch den Einmarsch US-amerikanischer Truppen in den Irak) sowie als Ursache einer durch Widersprüche charakterisierten, äußerst komplexen und oftmals durch Niederlagen geprägten Identitätssuche geschildert.

Der durch die Autoren rekonstruierte Weg der Radikalisierung Said Bahajis etwa erweist sich in diesem Sinne auch als Konsequenz einer Aneinanderkettung von verschiedenen Niederlagen – beruflicher und persönlicher Art.

Eindrücklich und lesenswert

Eine der großen Stärken des Buches ist es demzufolge, eben nicht die Religion des Islam für ihre extremistische und terroristische Ausprägung verantwortlich zu machen, sondern exemplarisch jene Grundlagen und darauf aufbauenden Prozesse herauszuarbeiten, die zu dem extremen Verständnis der Religion führen.

Besonders eindrücklich sind dann auch jene Passagen innerhalb des Buches, in denen die Autoren selbst in den Hintergrund treten und eben jene zu Wort kommen lassen, über die sie berichten und deren Ideenwelt und Verhalten sie erklären wollen.

Kurzum: Mit "Die Kinder des Dschihad" haben Souad Mekhennet, Claudia Sautter und Michael Hanfeld ein lesenswertes Buch vorgelegt, das auf anschauliche Art und Weise informiert und insbesondere durch die Eindeutigkeit vieler von den Autoren zusammengetragenen Aussagen auf seine Leser eindrücklich wirkt.

So lautet etwa die Antwort eines interviewten Mudschahedin auf seine Wünsche für die Zukunft: "Ich wünsche mir, wieder in den Irak zurückzukehren und dort als Märtyrer zu sterben."

Jürgen Endres

© Qantara.de 2006

Souad Mekhennet, Claudia Sautter, Michael Hanfeld: Die Kinder des Dschihad. Die neue Generation des islamistischen Terrors in Europa, 232 S.

Qantara.de

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