Positives Europa-Image

Entgegen der Behauptungen von Parallelgesellschaften und Abgrenzungen von Einwanderern zeigt eine neue EU-Studie zeigt, dass sich die in Europa lebenden Türken der dritten oder vierten Generation durchaus mit den Werten der EU verbunden fühlen. Einzelheiten von Daniela Schröder.

Entgegen der Behauptungen von Parallelgesellschaften und Abgrenzungen von Einwanderern zeigt eine neue EU-Studie zeigt, dass sich die in Europa lebenden Türken der dritten oder vierten Generation durchaus mit den Werten der EU verbunden fühlen und dort eine "kosmopolitische Identität" entwickelt haben. Einzelheiten von Daniela Schröder.

Wer eine vielschichtige Identität hat, muss keine gespaltene Persönlichkeit sein. Dass sich in Europa lebende Türken sowohl mit ihrer Heimat, als auch mit ihrem Gastland identifizieren, könne als Brücke zwischen der Europäischen Union und ihrem größten und umstrittensten Beitrittskandidaten dienen, meint Ayhan Kaya.

Der Migrationsforscher der Istanbuler Bilgi-Universität hat in einer Studien-Reihe das Selbstverständnis der in Deutschland, Frankreich und Belgien lebenden Türken untersucht. Sein Fazit: "Euro-Türken" besitzen eine wichtige Vermittlerrolle.

"Bindestrich-Identitäten"

Rund zweidrittel der in Europa lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln betrachten sich als Türken und auch als Europäer, sagte Kaya jüngst bei der Vorstellung seiner Studie in Brüssel. Vor allem junge und gebildete Türken bezeichneten sich als europäisch-türkisch oder – ganz kosmopolitisch – als Europäer, was er auch als so genannte "Bindestrich-Identitäten" bezeichnet.

Eine konkrete Definition europäischer Identität existiere unter den Türken zwar nicht. Dennoch betrachteten sich die Europa-Türken als genauso europäisch wie deutsche oder französische Staatsbürger, so Kaya.

Was die europäische Identität ausmache, werde je nach gesellschaftlicher Zugehörigkeit der Europa-Türken anders ausgelegt, meint der Migrationsforscher. Während die Arbeiterklasse – entsprechend der Debatte in der Türkei – Europa vor allem mit Werten wie Demokratie, Gleichheit, Menschenrechten und Modernisierung gleichsetze, verbinden die mittleren Einkommensschichten mit der Europäischen Union Wissenschaft, Forschung oder Gesetzgebung.

Die dritte oder vierte Generation der in Europa lebenden Türken strebe eine europäische Identität gar nicht mehr an, da sie bereits eine auf kulturellen Unterschieden basierende kosmopolitische Identität entwickelt habe.

Die EU ist kein "Christenclub"

Bundeskanzlerin Merkel und türkischer Ministerpräsident Erdogan in Berlin; Foto: AP
Genau wie der türkische Ministerpräsident Erdogan begrüßen viele in Europa lebenden Türken ein möglichst baldigen EU-Beitritt der Türkei.

​​Die Mehrheit der Europa-Türken sehe die EU als einen Wirtschaftsverbund, so Kaya. Nur wenige empfänden sie als christliche Gemeinschaft – ein Grund dafür, dass die EU bei den Europa-Türken ein positives Image habe. Die Mehrheit befürworte nach wie vor den EU-Beitritt der Türkei, wenngleich diese Zahl in den vergangenen zwei Jahren zurückgegangen sei.

"Die meisten EU-Türken glauben, dass die EU-Mitgliedschaft sich positiv auf Menschenrechte, Demokratie und Berufschancen in der Türkei auswirken würde", meint der Migrationsforscher. "Gleichzeitig befürchten sie jedoch einen negativen Einfluss auf traditionelle Moralvorstellungen und Familienwerte."

Obwohl vor allem Türken in Deutschland die wirtschaftliche Zukunft des Landes pessimistisch und die Aussichten für die Türkei dagegen sehr optimistisch einschätzten, würden nur 30 Prozent der Europa-Türken nach einem EU-Beitritt zurück in ihr Heimatland ziehen. Die EU-Türken betrachteten sich als Bereicherung für den Arbeitsmarkt, das kulturelle Leben und den Wertekonsens in ihren neuen Heimatländern, so Kaya. "Allerdings beunruhigt sie auch, dass manche Europäer argwöhnten, dass sie die Sozialsysteme ausnutzten und sich der Integration verweigerten."

Faktoren für Radikalisierung und Desintegration

Dass sich die Türken in Europa wieder stärker auf den Islam konzentrieren, wertet Kaya als Zeichen für eine Suche nach Schutz und Gerechtigkeit in einer von Kapitalismus, Egoismus, Unsicherheit und Einsamkeit geprägten, modernen westlichen Gesellschaft. Diese empfinde den Islam als Bedrohung ihres Lebensstils und sehe im islamischen Fundamentalismus die Ursache für Fremdenhass, Rassismus und Gewalt.

"Dabei ist die Orientierung an der Religion und an kulturellen und nationalen Konzepten nicht der Grund für diese Erscheinungen, sondern vielmehr das Ergebnis von Arbeitslosigkeit, Armut und sozialer Ausgrenzung", so Kaya. Dazu passe auch, dass gut 40 Prozent der europäischen Türken – inklusive die Generation der in einem EU-Staat geborenen dritten Einwanderer-Generation – nicht die Staatsbürgerschaft ihres Gastlandes annehmen wollen.

Radikalisieren würden sich junge Muslime in Europa jedoch erst durch islam- und fremdenfeindliche Tendenzen in ihren europäischen Heimatländern. Religion werde als Symbol benutzt, sie diene als Weg, um sich zu politisieren und um gegen die Ausgrenzung vom öffentlichen Leben anzukämpfen, so Kaya.

"Um dem entgegenzuwirken, dürfen sich die EU-Staaten mit türkischen Bevölkerungsteilen nicht länger als Gastarbeiterländer definieren, sondern müssen sich als Einwanderungs-Gesellschaften verstehen und ihre Integrationspolitiken entsprechend ausbauen."

Daniela Schröder

© Qantara.de 2008

Daniela Schröder arbeitet als freie EU-Korrespondentin in Brüssel.

Qantara.de

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Kayas jüngste Studie zu Türken in Belgien und der EU finden Sie hier