Warum Sanktionen Teherans Tyrannen helfen

Mit der Idee der gezielten Sanktionen gegen den Iran hat der Westen ein Narrativ erfunden, mit dem sowohl er wie das iranische Regime bequem leben können, die Menschen im Iran aber kaum. Denn Sanktionen zerstören die Mittelschicht und wirken wie ein langsam verabreichtes Gift gegen die Zivilgesellschaft. Von Ali Fathollah-Nejad

Von Ali Fathollah-Nejad

Seit Jahrzehnten werden Sanktionen mit einem Narrativ begründet: Sie sollen widerspenstige Gewaltherrscher zur Vernunft erziehen, ihren Missetaten nach außen wie nach innen ein Ende bereiten.

Mit chirurgischer Präzision ziehen sie die Schlinge um den Hals des Tyrannen immer enger, so dass dieser in taumelnder Aussichtslosigkeit zu außenpolitischer Vernunft angehalten und zugleich schwächelnd seine blutbeschmierten Hände von der Gurgel seines geknechteten Volkes nimmt. Schön wäre es, denn man könnte auf einen Schlag zweierlei Gutes bewirken: Der Übeltäter wird zur Strecke gebracht, das malträtierte Volk befreit und auf den Weg in die Demokratie entlassen. Doch so wirken Sanktionen in der Realität nicht.

Bei jeder neuen Sanktionsrunde beeilen sich westliche Politiker zu betonen, dass die Sanktionen nicht auf die iranische Bevölkerung abzielen, die ein besseres Leben verdiene als unter dem gegenwärtigen Regime. Was mögen aber Iraner selbst denken, die die Sanktionsfolgen erfahren?

Im Würgegriff der Sanktionen: Die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran wirken sich immer spürbarer auf die Zivilbevölkerung aus. Die Inflation ist dramatisch gestiegen und damit die Preise für Medikamente und Lebenshaltungskosten. Als Folge des Erdölembargos hat der Iran 25 bis 40 Prozent seiner Haupteinnahmen verloren.

​​Stellen wir uns einen Moment lang vor, wie es ist, in einem Land zu leben, das unter einem schweren Sanktionsregime steht. Wie es ist, wenn die Kosten für Miete, Kleidung und Nahrungsmittel unaufhörlich steigen, wenn die eigene Währung fast nichts mehr wert ist, wenn der Arbeitsplatz gefährdet ist, da der notwendige Handel mit dem Ausland immer stärker unterbunden wird? Wenn Banken Iraner im In- und Ausland als Ausgestoßene behandeln, jegliche Bankgeschäfte mit dem Ausland, zu privaten oder geschäftlichen Zwecken, gegen höhere Gebühr nur über Drittländer auszuführen sind, wenn man bei jeder Flugreise wegen der sanktionsbedingten Alterung der Flugzeuge um sein Leben bangen muss. Wenn Lebensmittellieferungen aus dem Ausland ihre Fracht nicht ausladen dürfen und eine humanitäre Katastrophe bei Krebs- und anderen Schwerkranken wütet.

Eine leise Hoffnung

Bei alldem stellt der beispiellose Ausschluss des Landes vom internationalen Banken- und Finanzsystem das Auge des Sturmes dar, in dessen Zuge sämtliche, also auch rein zivile Branchen der Wirtschaft gelähmt werden. Dies ist nur ein Ausschnitt aus dem gigantischen Ausmaß unserer "gezielten Sanktionen gegen das Regime". Ähnliche Meldungen aus Iran mehren sich von Tag zu Tag, es sind Stimmen der Verzweiflung von Menschen, denen die Luft zum Atmen in einem repressiven System durch Sanktionen noch dünner wird.

Aber Freiheit verlange nun einmal Opfer, hallt der laute Zwischenruf aus Teilen des iranischen Exils von Los Angeles bis nach London. Der Preis sei zwar hoch, aber es sei nun an der Zeit, ihn zu zahlen, beschwört auch ein Ramin auf Facebook. Nahezu fauchend erwidert Sara: "Wir zahlen den Preis unserer Freiheit: Wenn du es vergessen haben solltest, das Evin-Gefängnis ist überfüllt!" Andere erinnern daran, dass die Revolutionäre in Ägypten zu keinem Zeitpunkt Sanktionen gegen ihren Tyrannen gefordert haben und ihn schließlich aus eigenen Stücken zu Fall brachten.

Die positive Einschätzung von Sanktionen beruht auf der Annahme eines begünstigenden Verhältnisses zwischen Sanktionen und Demokratisierung. Hinzu kommt eine leise, aber dennoch deutlich zu vernehmende Hoffnung, die manche westliche Politiker und Exil-Iraner zu einen scheint: Die ökonomische Not werde den Volkszorn gegen das Regime richten und den Weg für seinen endgültigen Sturz ebnen.

Geisel der Gewaltherrschaft

Vom komfortablen Ausland aus mag diese faschistoide Züge tragende Vorstellung à la "Je größer die Not, desto größer die Hoffnung!" einen gewissen Reiz ausüben. Ihr liegt nichts weniger als die Annahme zugrunde, dass es akzeptabel sei, die iranische Gesellschaft als Geisel einer Gewaltherrschaft zu behandeln.

Dabei vergessen wir einen Zusammenhang, der uns im Westen selbstverständlich ist: Eine gesunde und prosperierende Mittelschicht bildet das Rückgrat einer demokratischen Gesellschaft. Just diese aber wird gerade im Iran zugrunde sanktioniert. Wie zudem eine Studie der Harvard University gezeigt hat, treffen die Sanktionen zuvörderst die jungen Menschen im Iran, jene Bevölkerungsmehrheit also, für die man bereits die Rolle des Fahnenträgers einer Demokratie nach westlichem Vorbild vorgesehen hat. Anders ausgedrückt: Ein vom wirtschaftlichen Überlebenskampf geplagter Mensch wird kaum die Muße besitzen, als Bürger in den demokratischen Kampf zu ziehen.

Auch ist das obige Szenario der sanktionsbedingten Revolte seit über dreißig Jahren - also seit Errichtung der Islamischen Republik - nicht eingetroffen. Und was sagt das über unser Bild der kognitiven Fähigkeit der Iraner aus, bei Schuldzuweisung für ihre zusehends desolater werdende wirtschaftliche Situation nicht unterscheiden zu können zwischen den Raubzügen eines kleptokratischen Regimes und dem Sanktionsregime des Westens?

Wahrheiten wegsanktionieren

Zieht man die Erkenntnisse der Wissenschaft über Sanktionsfolgen in Betracht, stellt der Fall Iran ein Paradebeispiel dar: In die Enge getriebene autoritäre Regime erhöhen die Repression gegen die Opposition und sind zudem in der Lage, die Kosten von Sanktionen auf das Volk abzuwälzen, wodurch ihre Herrschaft eher verlängert wird.

Wasser auf die Mühlen der Hardliner: "In die Enge getriebene autoritäre Regime erhöhen die Repression gegen die Opposition und sind zudem in der Lage, die Kosten von Sanktionen auf das Volk abzuwälzen, wodurch ihre Herrschaft eher verlängert wird", meint Fathollah-Nejad.

​​Den sanktionierenden Regierungen dürfte indes kaum entgangen sein, dass systemnahe Organe, wie die Revolutionsgarden, von den Sanktionen sogar profitieren. Das Regime baut dank der Sanktionen seinen Machtvorsprung gegenüber der Zivilgesellschaft sogar noch weiter aus.

Darum haben sich Vertreter der iranischen Zivilgesellschaft und führende Oppositionspolitiker gegen Sanktionen ausgesprochen. Der Westen hat es jedoch vorgezogen, diese Stimmen einfach zu überhören.

Für die politische Klasse des Westens genießt das, was Außenminister Guido Westerwelle bei einer weiteren Verschärfung der Sanktionen verkündet hat, Priorität: "Es geht darum, dass wir nicht akzeptieren können, dass der Iran nach der Atombombe greift."

Als die Sanktionen vor mehr als dreißig Jahren begannen, drehte sich keine einzige Zentrifuge im Iran, heute sind es Tausende. Außerdem hat das Atomprogramm viel mit einem Gefühl der Unsicherheit angesichts der Instabilität der Region und der Feindseligkeit der Nachbarn zu tun - eine Wahrnehmung, die man nicht wegsanktionieren kann.

Gift gegen die Zivilgesellschaft

Zudem sollen Sanktionen vom Iran Zugeständnisse erzwingen. Was in der Vergangenheit ausgeblieben ist, dürfte auch in Zukunft ausbleiben. Denn Sanktionen füttern die Propagandamaschinerie des Regimes über den bösartigen Westen, der das iranische Volk unterjochen will.

Auch aus dem Beispiel Irak wurde nichts gelernt. Es scheint sogar, als hätte es die irakische Tragödie nie gegeben. Schon in den neunziger Jahren aber fiel diese Wiege der Zivilisation auch einem Sanktionsprogramm zum Opfer. Die von Washington vorgeschlagenen Sanktionen des UN-Sicherheitsrats wurden von einem UN-Sanktionskoordinator (Denis Halliday) zum nächsten (Hans von Sponeck) als genozidäre Maßnahme verurteilt.

Nichts weniger als Iraks soziales Gefüge wurde zerschmettert, die Nahrungsmittelversorgung, das Gesundheits- und Bildungswesen brachen zusammen, ebenso die Infrastruktur. Während Frauen und Kinder als schwächste Glieder der Gesellschaft am meisten zu leiden hatten, blieb Saddam jedoch fest im Sattel. Es war "eine andere Art von Krieg", wie Hans von Sponeck, der damals zweite für die UN-Sanktionen zuständige Koordinator, der aus Protest zurücktrat, später in seinem Buch schrieb.

Landeswährung im Sturzflug: Der Verfall des iranischen Rial führt schon jetzt zu einem sinkenden Lebensstandard im Iran. Die offiziell ermittelte Teuerungsrate beträgt 25 Prozent, liegt nach Schätzungen von US-Wissenschaftlern wahrscheinlich aber längst bei bis zu 60 Prozent binnen eines Monats.

​​Dass der Begriff der "gezielten", "intelligenten" Sanktionen so unkritisch gesehen wird, ist ein Zeugnis unserer Selbstgefälligkeit. So ziehen wir eine bequeme Lüge einer unbequemen Wahrheit vor.

Es ist ein Selbstbetrug, denn de facto sind unsere Sanktionen ein brutaler Angriff auf ein ganzes Land. Sie schwächen den hundertjährigen Kampf der Iraner um Demokratie, weil sie jene, die ihn zu führen haben, im Alltag plagen, während die Unterdrücker sich ungehindert bedienen und ausstatten können. Sanktionen wirken wie ein langsam verabreichtes Gift gegen die Zivilgesellschaft.

Was nun?

Nun sind derzeit zwei Entwicklungen zu befürchten: Entweder muss eine notleidende Bevölkerung auf Jahre hinaus in einem durch die äußere Drohkulisse und Sanktionen gefestigten, sich in Richtung einer Militärdiktatur entwickelnden Regime um das schiere Überleben kämpfen. Oder ein Krieg wird jegliche Perspektive auf Demokratie und menschenwürdiges Leben begraben.

Alles in allem hat sich der Westen mit der Idee der gezielten Sanktionen ein Narrativ erfunden, mit dem sowohl er wie das iranische Regime bequem leben können, die Menschen im Iran aber kaum. Zwei Fragen sollten wir uns ehrlicherweise stellen: Genießen nicht alle, egal unter welchem noch so brutalen System sie leben, die gleichen Menschenrechte? Und: Wenn also Sanktionen den Tyrannen am Leben halten - was geschähe, wenn man sie einfach aufhöbe?

Ali Fathollah-Nejad

© Qantara.de 2013

Der Autor ist ein in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden ausgebildeter deutsch-iranischer Politologe. Zurzeit stellt er seine Promotion an der "School of Oriental and African Studies" (SOAS) der Universität London fertig.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de