«Der Sudan ist auf dem Weg zur größten humanitären Krise weltweit» - Konfliktforscher sieht wenig Chancen auf Ende des Krieges

In einer Klinik von Ärzte ohne Grenzen im Sudan werden an Unterernährung leidende Kinder behandelt.
In einer Klinik von Ärzte ohne Grenzen im Sudan werden an Unterernährung leidende Kinder behandelt. (Foto: Patricia Simon/AP Photo/picture alliance)

Frankfurt a.M.. Ein Jahr nach Beginn des Krieges im Sudan ist nach Einschätzung des Afrika-Experten Gerrit Kurtz kein Ende der Kämpfe in Sicht. Keine der Parteien lasse derzeit die Bereitschaft erkennen, den Krieg zu beenden, sagt der Konfliktforscher von der Stiftung Wissenschaft und Politik dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dabei drohe bereits jetzt eine Hungersnot in dem afrikanischen Land. epd-Gespräch: Moritz Elliesen

epd: Am 15. April 2023 ist der Konflikt zwischen der Armee und der RSF-Miliz im Sudan eskaliert. Es ging los mit Gefechten in der Hauptstadt Khartum. Seitdem herrscht Krieg im Sudan. Wie ist die Lage in dem afrikanischen Land ein Jahr nach Beginn der Kämpfe?

Gerrit Kurtz: Die Lage ist katastrophal. Es wird an verschiedenen Orten gekämpft, am heftigsten weiterhin in und um Khartum, aber auch in Darfur und im Zentrum des Landes. Hinzu kommt, dass sich mehr und mehr bewaffnete Gruppen und Milizen einer der Parteien anschließen und Teil des Krieges werden.

epd: Hat denn eine der Seiten Chancen auf einen militärischen Erfolg in diesem Krieg?

Kurtz: Derzeit ist nicht erkennbar, dass eine Partei diesen Krieg militärisch für sich entscheiden kann. In der an Khartum angrenzenden Stadt Omdurman konnte die Armee in den vergangenen Wochen einige Stadtviertel zurückerobern, einschließlich des symbolisch wichtigen Gebäudes des Staatsfernsehens. Aber die RSF bleiben ein starker Gegner.

epd: Wie ist die humanitäre Lage?

Kurtz: Der Sudan ist auf dem Weg, zu der größten humanitären Krise der Welt zu werden. Es handelt sich jetzt schon um die größte Vertreibungskrise. Seit Beginn des Krieges mussten mehr als acht Millionen Menschen ihr Zuhause verlassen. Die meisten von ihnen sind innerhalb des Landes vertrieben. Zudem droht eine Hungersnot im Land.

Bereits jetzt sterben in einigen Gebieten in Khartum und in Vertriebenencamps in Darfur Menschen an Hunger. In den nächsten Monaten werden es wahrscheinlich noch mehr werden.

epd: Schenkt die internationale Gemeinschaft dieser Krise genug Aufmerksamkeit?

Kurtz: Es gibt internationale Bemühungen, aber es ist ganz klar, dass die internationale Aufmerksamkeit nicht das Niveau erreicht, das nötig wäre angesichts des Ausmaßes. Die humanitäre Hilfe ist wirklich nur zu einem Bruchteil finanziert.

epd: Woran liegt das?

Kurtz: Wenn wir Europa und auch die USA betrachten, hat es auch damit zu tun, dass die Kriege in der Ukraine und Nahost die Regierungen sehr stark in Anspruch nehmen. Die USA, die in der Vergangenheit die Führung übernommen haben, sind zudem sehr mit sich selbst beschäftigt. Letztendlich dürfen das aber keine Ausreden sein.

epd: Lassen Sie uns ein wenig in der Zeit zurückgehen. Nach dem Sturz des Diktators Omar al-Baschir im Jahr 2019 gab es große Hoffnung auf eine Demokratisierung im Sudan. Davon ist das Land nun weit entfernt. Was ist schiefgegangen?

Kurtz: Die sudanesischen Parteien und auch internationale Akteure hatten darauf gesetzt, dass der Einfluss des Militärs durch die Bildung einer zivil-militärischen Übergangsregierung nach und nach zurückgedrängt wird. Aber das Gegenteil ist passiert. Die Sicherheitskräfte, die 2019 extrem unter Druck standen, haben wieder an Einfluss gewonnen.

epd: Warum?

Kurtz: Bei Verstößen der Sicherheitskräfte gegen die Übergangsverfassung wurde zu oft weggesehen - auch von der internationalen Gemeinschaft. Es hätte mehr Druck gebraucht, etwa durch gezielte Sanktionen nach dem Putsch 2021. Gleichzeitig schauten die politischen Parteien oft mehr auf ihre eigene Sichtbarkeit als auf die Etablierung von Übergangsinstitutionen wie einer parlamentarischen Versammlung.

epd: Seit Beginn des Krieges vor einem Jahr gab es zahlreiche Vermittlungsversuche, bisher allerdings ohne Erfolg. Welchen Ausweg gibt es aus diesem Konflikt?

Kurtz: Im Moment kann ich bei den Konfliktparteien keine Bereitschaft erkennen, den Krieg zu beenden. Vermittlungsversuche, die nur darauf setzen, werden scheitern. Zielführender sind Verhandlungen über Teillösungen wie lokale Waffenruhen oder die flächendeckende
Wiederherstellung des Internetzugangs. Dabei könnten die Grundlagen für einen zukünftigen Friedensprozess gelegt werden. Die Idee, man müsste für Frieden nur zwei Generäle um einen Tisch versammeln und dann ein paar Tage oder Wochen reden, ist unrealistisch. (epd)