Kein deutsches Geld mehr für Menschenrechts-NGOs

Die palästinensische Menschenrechtsorganisation Al-Haq
Die palästinensische Menschenrechtsorganisation Al-Haq ist eine von sechs 2021 von Israel zu Terrororganisationen erklärten Nichtregierungsorganisationen. (Foto: Majdi Mohammed/AP/ picture alliance)

Obwohl es keinen Missbrauch gab, wurde ein wichtiger Teil der Zusammenarbeit mit der palästinensischen Zivilgesellschaft gekappt. Hinter der Entscheidung steht auch ein alter Konflikt zwischen Israel und Deutschland. Hintergründe aus Ramallah und Tel Aviv

Von Christian Meier

Enttäuschung, teilweise auch Unverständnis und Wut. Das sind in diesen Wochen verbreitete Reaktionen in der palästinensischen Zivilgesellschaft, wenn es um Deutschland geht. Der Grund ist, dass die Bundesregierung sich nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober eng an die Seite Israels gestellt hatte – dabei nach Ansicht vieler Palästinenser aber einseitig Position bezogen hat und zu israelischen Verbrechen im Gaza-Krieg schweigt. 

Noch konkreter richtet sich der Unmut gegen die Institutionen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Dabei hatte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) erst vor wenigen Wochen verkündet, dass die Förderung wiederaufgenommen wird. Ministerin Svenja Schulze hatte sie unmittelbar nach dem 7. Oktober ausgesetzt, um sicherzustellen, dass deutsche Gelder nicht der Hamas oder anderen Terrorgruppen zugutekommen. Die Überprüfung habe keine Hinweise auf Zweckentfremdung gegeben, hieß es in einer Pressemitteilung vom 13. Dezember dann. Die "strengen Kontrollmechanismen des BMZ“ hätten sich "als robust erwiesen“. 

Das Eigenlob war nur ein Teil der Wahrheit. Wie Recherchen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ergeben haben, wurde ein wichtiger Teil der Zusammenarbeit mit der palästinensischen Zivilgesellschaft vom BMZ und dem Auswärtigen Amt schlichtweg gekappt. Die Ministerien sind damit einem seit langem geäußerten israelischen Wunsch nachgekommen, der zwischenzeitlich auch zu einem Konflikt innerhalb der Bundesregierung geführt hat.

Die Hilfsorganisation "Addameer" setzt sich für palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen ein.
Die Hilfsorganisation "Addameer" setzt sich für palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen ein. Sie gehört auch zu den Nichtregierungsorganisationen, die Israel verdächtigt, den Terror zu unterstützen.(Foto: MOHAMAD TOROKMAN/REUTERS)

Irritationen bei den Durchführungsorganisationen

Nun scheint dieser Konflikt beigelegt. Das geht aus dem "Bericht über den Prüf- und Freigabeprozess des BMZ-Portfolios für die Palästinensischen Gebiete“ vom 11. Dezember hervor. Das als Verschlusssache deklarierte Dokument, das der FAZ vorliegt, dokumentiert die Überprüfung von fast 160 Projekten der Entwicklungszusammenarbeit. Sie wurden teilweise über bilaterale staatliche Förderung finanziert, teilweise über sogenannte Durchführungsorganisationen – deutsche Nichtregierungsorganisationen und die deutschen politischen Stiftungen. 

In dem Bericht ist zu lesen, dass "auch bei erneuter intensiver Prüfung kein Fall von Missbrauch festgestellt worden ist“. Das habe unter anderem der Bundesnachrichtendienst bestätigt. Gleichwohl wird einige Seiten weiter kategorisch festgehalten: "Neue Kooperationen mit den sechs von Israel als terroristisch gelisteten Nichtregierungsorganisationen (...) werden nicht mehr bewilligt. Bei den noch laufenden Kooperationen (...) wirkt das BMZ im Dialog auf eine unmittelbare Einstellung durch die Träger vor Ende der Laufzeit hin.“ 

Konkret bedeutet das: Einige der wichtigsten zivilgesellschaftlichen Organisationen in Palästina werden von der Förderung ausgeschlossen. Ein Mitarbeiter einer deutschen Organisation, die im EZ-Bereich tätig ist, sagt dazu: "In einer Phase gestiegener Menschenrechtsverletzungen die Partnerschaft mit Menschenrechtsorganisationen zu beenden, halten wir für sehr gefährlich. Es ist auch Deutschlands Image abträglich.“ 

Hinter der Entscheidung steht ein seit Jahren währender Konflikt zwischen Israel und Deutschland sowie weiteren westlichen Ländern. Im Oktober 2021 hatte Israel sechs palästinensische NGOs zu Terrorgruppen erklärt. Darunter sind namhafte Menschenrechtsorganisationen wie Al-Haq. Laut den israelischen Vorwürfen sind die sechs NGOs Tarnorganisationen der "Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) und haben Hilfsgelder an diese umgeleitet. 

Gerangel zwischen den Ministerien

Aus dem Ausland kam Kritik an der überraschenden Einstufung, die auch nicht verging, als Israel in westlichen Hauptstädten Material präsentierte, das den Terrorvorwurf erhärten sollte. Im Gegenteil: Im Juli 2022 erklärten Annalena Baerbock und die Außenminister acht weiterer EU-Länder gemeinsam, die israelischen "Belege“ seien nicht überzeugend. Man werde die sechs NGOs weiter fördern. 

In einem anderen deutschen Ministerium trafen die israelischen Emissäre allerdings auf mehr Gehör als im Auswärtigen Amt: Im Bundesinnenministerium, wo die Zusammenarbeit zwischen deutschen und israelischen Sicherheitsbehörden gepflegt wird, hielt man die präsentierten Belege für glaubwürdig. In der Folge entwickelte sich ein Patt innerhalb der Regierung, was die Genehmigung von Förderprojekten für die betroffenen NGOs anging. 

Mit dem Überfall der Hamas auf Israel und dem Krieg im Gazastreifen hat sich dieses Patt nun gelöst. Die FAZ hat mit Mitarbeitern zahlreicher deutscher Organisationen gesprochen, die direkt oder indirekt von der Entscheidung betroffen sind. In mindestens drei Fällen haben das BMZ und das Auswärtige Amt kürzlich neue Förderungen nicht bewilligt, die einige der sechs NGOs betreffen. 

Zudem wurde die Förderung einer weiteren palästinensischen NGO untersagt, auch wenn sie nicht zu den sechs als terroristisch eingestuften Organisationen gehört. Bei den deutschen Durchführungsorganisationen hat das teilweise starke Irritationen hervorgerufen. Kritik gibt es sowohl an der Entscheidung selbst als auch an der Art und Weise, wie diese übermittelt worden sei – teilweise in mündlichen Gesprächen und ohne klare Begründung. 

Am Sonntag hatte Israels Präsident Izchak Herzog die deutsche Außenministerin empfangen.
Außenministerin Annalena Baerbock bei Israels Präsident Itzhak Herzog, Januar 2024: Nimmt die israelische Regierung Einfluss auf Entscheidungsprozesse der Bundesregierung? (Foto: Michael Kappeler/dpa/picture alliance)

Im Windschatten des 7. Oktober abgeräumt

Eine Sprecherin des BMZ sagte der FAZ auf Anfrage, tatsächlich habe die Bundesregierung "schon vor dem 7. Oktober 2023 beschlossen, die Zusammenarbeit mit diesen sechs Organisationen nicht weiter zu fördern“. Von einem solchen Beschluss ist allerdings nichts bekannt. Einiges deutet darauf hin, dass das "Problem“ der sechs NGOs vielmehr im Windschatten des 7. Oktober und der Überprüfung der deutschen EZ aus dem Weg geräumt wurde. 

Die Einschätzung des Auswärtigen Amtes zu den sechs NGOs hat sich nicht geändert – man hält sie dort weiterhin nicht für Terrororganisationen, sondern im Gegenteil für Stützen der palästinensischen Zivilgesellschaft. Angesichts der politischen Gesamtlage nach dem 7. Oktober hatte man vorerst aber Wichtigeres zu tun, als sich weiter in Diskussionen mit dem Innenministerium zu verstricken. 

Parallel dazu ist es der israelischen Regierung anscheinend gelungen, ihren Einfluss auf den deutschen Entscheidungsprozess zu verstärken. Eine Sprecherin des BMZ bestätigte der FAZ im Dezember, dass Israel in die Überprüfung der EZ eingebunden sei: etwa durch "regelmäßige Gespräche“ mit der israelischen Botschaft in Berlin. Und im BMZ-Bericht heißt es, bei der Priorisierung des Überprüfungsprozesses sei ein Schwerpunkt auf die "Berücksichtigung israelischer Interessen“ gelegt worden.  

Mehr Kontrolle über die Besetzten

Eine Mitarbeiterin einer deutschen Organisation, die in den palästinensischen Gebieten tätig ist, nennt diese Passage des Berichts "erschreckend“ und "frappierend“. Manche Beobachter aus der EZ-Szene glauben seit langem, durch die Einstufung der sechs NGOs als Terrororganisationen wolle Israel letztlich erreichen, dass es über den Fluss von Fördergeldern aus dem Ausland mitentscheidet. Der Besatzer will seine Kontrolle über die Zivilgesellschaft der Besetzten verstärken.  

Bei deutschen Organisationen geht nach der Entscheidung zum Förderverbot daher auch die Befürchtung um, dass es nicht bei den bislang betroffenen NGOs bleibt. "Dass Deutschland da einknickt, ist sehr gefährlich“, sagt einer. "Es könnte Israel dazu ermuntern, den Raum der Zivilgesellschaft noch weiter einzuschränken.“  

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Aufrufe zum Boykott deutscher Einrichtungen

Manche palästinensischen Organisationen haben es der deutschen Regierung allerdings auch leicht gemacht, gegenüber den israelischen Forderungen nachzugeben. Al-Haq und andere NGOs haben für ihre Kritik an Israel nach dem 7. Oktober äußerst scharfe Worte gewählt – welche die deutsche Schmerzgrenze offenbar überschritten. 

In zwei offenen Briefen aus dem Herbst, die von zahlreichen NGOs aus dem Nahen und Mittleren Osten unterzeichnet wurden, wird Israel vorgeworfen, im Gazastreifen einen Vernichtungsfeldzug zu betreiben.  

Die Briefe, die in der Szene unter den Namen "181“ und "255“ bekannt sind – das bezieht sich auf die Zahl der Unterzeichner –, sind geprägt von Begriffen wie "Apartheid“ oder "Genozid“. Zudem wird Israel das Recht auf Selbstverteidigung abgesprochen, während das Recht der Palästinenser auf bewaffneten Widerstand hervorgehoben wird. 

Das BMZ wertete die beiden Briefe als "israelfeindliche Aufrufe“. BMZ und Auswärtiges Amt verlangten daraufhin von EZ-Organisationen, zu melden, ob unter Förderpartnern auch Unterzeichner der Briefe sind. Falls ja, werden sie gefragt, ob sie sich vom Inhalt distanzieren. Ist das nicht der Fall, sollen sie vorerst von weiterer Förderung ausgeschlossen werden. In mindestens einem Fall ist das geschehen. 

Mehrere EZ-Mitarbeiter kritisieren das als "Gesinnungsprüfung“. Eine Deutsche fasst die Reaktion einer Partnerorganisation in Gaza so zusammen: "Wir sind hier im Krieg und jetzt sollen wir uns auch noch so positionieren, wie die deutsche Regierung es gerne hätte – ansonsten bekommen wir kein Geld mehr.“ Ein anderer sagt, die Briefe "spiegeln eine weitverbreitete Einstellung in der MENA-Region wider“. Sie entsprächen natürlich nicht der eigenen Auffassung. Aber die Argumentation darin werde überwiegend auf rechtlicher Basis geführt. "Solche Positionen müssen wir aushalten.“ 

Die Stimmung gegenüber Deutschland verschlechtert sich weiter. Im Internet kursieren inzwischen Aufrufe zum Boykott deutscher Einrichtungen sowie palästinensischer Institutionen, die mit Deutschland zusammenarbeiten. Einzelne deutsche Institutionen in Ramallah haben aus Sicherheitsgründen die Nationalflagge abgehängt. In mindestens einem Fall ist einer deutschen Organisation auch schon ein Partner abgesprungen – weil er keine deutschen Fördergelder mehr akzeptieren möchte. 

Christian Meier 

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