Liebe zu Israel oder Hass auf Muslime?

Eine Familie aus dem Irak nach der Einbürgerung in Deutschland
Geschafft: Eine Familie aus dem Irak nach der Einbürgerung in Deutschland. (Foto: Marijan Murat/dpa/picture alliance)

Wer Deutscher werden möchte, soll sich zum Existenzrecht Israels bekennen. Die Regeln für die Einbürgerung sollen entsprechend verschärft werden. Das Land Sachsen-Anhalt ist mit einem besonderen Erlass zum Staatsangehörigkeitsrecht vorangeprescht. Eine Glosse

Von Stefan Buchen

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Haseloff, 

ich verstehe Sie. Als Christdemokrat, noch dazu als römisch-katholischer, möchten Sie beweisen, dass Sie kein Philister sind. Sie wollen einen Kontrapunkt des Anstandes setzen zur Judensau von Wittenberg. Nicht mehr zum Evangelium möchten Sie die Menschen bekehren, sondern zur wahren Liebe für Israel. 

Deshalb haben Sie Ihre Justizministerin am 29. November 2023 einen weisen Erlass verfügen lassen. Die Weisheit dieses Regierungsdokuments drückt sich bereits in seiner schlichten Geradlinigkeit aus. Statt 99 Thesen auszubreiten, beschränken Sie sich auf eine einzige. Sie lassen Ihre Ministerin schreiben: 

"Das Existenzrecht Israels ist deutsche Staatsräson. Die Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit erfordert das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels. Einbürgerungsbewerber haben daher unmittelbar vor der Einbürgerung schriftlich zu bestätigen, dass sie das Existenzrecht Israels anerkennen und jegliche gegen die Existenz des Staates Israel gerichteten Bestrebungen verurteilen.

Diese schriftliche Bestätigung ist zur Einbürgerungsakte zu nehmen. Mit diesem Bekenntnis zum Existenzrecht des Staates Israel und der ausdrücklichen Erklärung des Einbürgerungsbewerbers, dass er keine gegen die Existenz des Staates Israel gerichteten Bestrebungen verfolgt oder verfolgt hat, soll verhindert werden, dass Ausländer mit einer antisemitischen Einstellung die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. 

Reiner Haseloff mit Ehefrau Gabriele jubeln auf der CDU-Wahlparty.
Verschärfte Regeln bei der Einbürgerung: Sachsen-Anhalt hat als erstes Bundesland verfügt, bei der Einbürgerung müsse ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels abgelegt werden. Auf dem Bild Ministerpräsident Reiner Haseloff mit Ehefrau Gabriele jubelt auf der CDU-Wahlparty 2021 in Magdeburg. (Foto: Bernd Von Jutrczenka/dpa/picture alliance)

"Zugereiste aus dem Orient"

Für das Bekenntnis wird folgender Wortlaut empfohlen: "Ich erkenne ausdrücklich die besondere deutsche Verantwortung für den Staat Israel und das Existenzrecht Israels an und verurteile jegliche antisemitischen Bestrebungen, die gegen das Existenzrecht des Staates Israel gerichtet sind, noch habe ich solche Bestrebungen verfolgt.“ 

Sollten Einbürgerungsbewerber die Abgabe dieses Bekenntnisses verweigern, ist die Einbürgerungsurkunde nicht auszuhändigen. Dies ist aktenkundig zu vermerken. Der Einbürgerungsantrag ist in einem solchen Fall anschließend förmlich abzulehnen." 

Sie haben recht. Wir sollten mit den muslimischen Zeitgenossen, die es mit Sack und Pack und kruden Ideen in unser Land geschafft haben und auch noch Deutsche werden wollen, über ihr Verhältnis zum Staat Israel und zu den Juden reden. Und wir sollten es nicht beim bloßen Reden, welches bekanntlich immer droht, ins Gelaber abzugleiten, belassen. 

Wir sollten dieses interkulturelle Gespräch mit den Zugereisten aus dem Orient nutzen, um in sachsen-anhaltinischer Klarheit die Spreu vom Weizen zu trennen. Nur wer sich ausdrücklich zum Existenzrecht des Staates Israel bekennt, dem steht ein deutscher Pass zu! Antisemiten dürfen nicht zu Deutschen werden! 

Einbürgerungstest
"Hat sich ein Einbürgerungsbewerber, es könnten durchaus Palästinenser unter ihnen sein, etwa auch zum Herrschaftsanspruch des Staates Israel über das Westjordanland und den Gazastreifen zu bekennen? Und wie ist es mit dem Herrschaftsanspruch über die Gesamtheit der heiligen Stadt Jerusalem?", schreibt Stefan Buchen. (Foto: Imago/suedraumfoto)

Kleine konzeptionelle Holprigkeiten

Die Würde dieses Ziels hat mich über kleine konzeptionelle Holprigkeiten hinwegsehen lassen. Hat sich ein Einbürgerungsbewerber, es könnten durchaus Palästinenser unter ihnen sein, etwa auch zum Herrschaftsanspruch des Staates Israel über das Westjordanland und den Gazastreifen zu bekennen? Und wie ist es mit dem Herrschaftsanspruch über die Gesamtheit der heiligen Stadt Jerusalem

Schließt die Anerkennung des Existenzrechts Israels das Bekenntnis zur israelischen Kontrolle über all diese Territorien mit ein? Diese Fragen kamen mir, weil Mitglieder der demokratisch gewählten israelischen Regierung derartige Ansprüche tatsächlich erheben. In Gaza werden diese Ansprüche bekanntlich gerade mit ziemlich rabiaten militärischen Mitteln durchgesetzt. 

Offenkundig unsinnig wäre es zu fragen, ob ein Einbürgerungsbewerber palästinensischer Herkunft mit der ordentlichen Einreichung seines Antrags quasi auf das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser verzichtet. Denn wer Deutscher wird, braucht kein Selbstbestimmungsrecht mehr für eine dann eh hinfällige Nationalität. 

Ich sehe es ein. Das sind Spitzfindigkeiten und vor allem Petitessen. Wir halten uns damit nicht auf. Das positive Anliegen steht im Vordergrund: Die muslimischen Einwanderer sollen Israel und die Juden genauso lieben wie Sie es tun, sehr geehrter Herr Ministerpräsident.  

Eher Hass auf Muslime als Liebe zu den Juden

Sie hatten mich wirklich beinah von der Aufrichtigkeit Ihres Anliegens überzeugt. Doch dann schickte mir ein israelischer Staatsbürger, jemand also, der im Staat Israel selbständig und frei denkend existiert, einen kurzen Kommentar zu Ihrem Erlass. Wundern Sie sich nicht. Thesen aus Sachsen-Anhalt verbreiten sich schnell in der Welt, selbst wenn sie von einem Katholiken kommen.

Der kurze Kommentar des israelischen Staatsbürgers lautet: "Ze yoter mi-sinˀat Haman meˀasher me-ahavat Mordekhai." Der Absender bat mich, den Kommentar an Sie weiterzuleiten. Das ist natürlich etwas naiv. Denn nur Menschen, die Europa seit langem hinter sich gelassen haben, können glauben, dass Martin Luther seine Hebräischkenntnisse an den amtierenden Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt vererbt haben könnte. Ich helfe also mit einer Übersetzung nach: "Das kommt eher vom Hass auf Haman als von der Liebe zu Mordekhai." 

Eine bloße Übersetzung wäre sicherlich etwas unhöflich. Denn bei aller von Ihnen zur Schau gestellten Liebe zu Israel kann ich mir nicht sicher sein, ob Sie mit der Übersetzung ohne Erläuterung des kulturhistorischen Kontextes etwas anfangen können. Folgen Sie mir also bitte an den Hof des persischen Königs Xerxes vor rund 2.500 Jahren. Dessen Minister Haman war der Gegenspieler des Juden Mordekhai. Haman wollte die Juden im persischen Königreich auslöschen. Er konnte sich aber gegen Mordekhai nicht durchsetzen. Xerxes schützte die Juden und gestattete ihnen die Rückkehr von Persien nach Jerusalem, wo sie den Zweiten Tempel errichteten. Sie können die vielfältigen und bunten Details im biblischen Buch Esther nachlesen. 

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Ein unschöner Verdacht

Wenn der israelische Kommentator sagt "aus Hass auf Haman, nicht aus Liebe zu Mordekhai", schreibt er Ihnen ein klares Motiv für Ihren Einbürgerungserlass zu. Es gehe Ihnen um die Abneigung gegen Muslime, nicht um die Liebe zu den Juden! 

Denn Haman steht in der Redewendung für die Muslime und Mordekhai für die Juden. Das begreift man, obwohl der historische Haman gar kein Muslim war. Haman ist der Böse in der Geschichte, das ist der Punkt. Und die heutigen Bösen sind die Muslime. Das versteht sowieso jeder. Über die nötige Abstraktionsfähigkeit verfügen Sie als promovierter Physiker, da bin ich zuversichtlich. 

Hat Sie da jemand durchschaut, Herr Ministerpräsident Haseloff? Ich bin plötzlich unsicher geworden, was Ihre Beweggründe für den Einbürgerungserlass betrifft. Der jüdische Witz kann gefährlich sein. Er kann auch einen alten Hasen wie Sie auf dem falschen Fuß erwischen. 

Ich beginne, darüber nachzudenken, ob Ihr Erlass nicht doch zu simpel und zu plump sein könnte. Setzen Sie etwa darauf, sich bei den Bürgern von Sachsen-Anhalt beliebt zu machen, indem Sie zeigen, dass Sie gegen Muslime sind? Das ist ein unschöner Verdacht. Und je mehr man bohrt, desto unschöner wird er.

Wollen Sie gar Ihre autochthonen Bürger vom Vorwurf des Antisemitismus entlasten, indem Sie diesen Makel von ihnen nehmen und den Muslimen anheften? Das wäre ein gewagtes Unterfangen. Derjenige, der 2019 die Juden am Yom Kippur in der Synagoge von Halle a.d. Saale niedermähen wollte und nur an der schweren Eingangstür scheiterte, hieß Stephan. Das wissen Sie noch, ja? Stephan ist kein muslimischer Name. 

Hochburg der AfD

Die germanisch-völkische AfD kommt in Sachsen-Anhalt in Umfragen auf 30 Prozent. Liegt das Antisemitismus-Problem nicht eher in diesem fetten Balken als in irgendwelchen dünnen Splittern? Gewiss, auch ein Mohamed kann auf dumm-brutale Gedanken kommen.

Aber dieser Gefahr zu begegnen, scheint mir Aufgabe von Verfassungsschutz und Polizei zu sein, nicht von Einbürgerungserlassen. Sie rufen andere auf, sich zur Verantwortung für die deutsche Vergangenheit zu bekennen. Dabei scheint diese Vergangenheit ausgerechnet in Ihrem Bundesland besonders deutlich bis in die rechtsextremistische Gegenwart durch. 

Habe ich etwas nicht verstanden? Bin ich voreingenommen? Ich habe einen Vorschlag. Vielleicht finden wir einen neutralen Beobachter, jemanden wie den französischen Schriftsteller und Pädagogen Jacques Decour, der von Oktober 1930 bis Januar 1931 in Ihrer Hauptstadt Magdeburg zu Gast war und einen Bericht über seinen Aufenthalt verfasst hat.

Decour wollte die Versöhnung mit den Deutschen. Er war ihnen wohlgesonnen, was für einen Franzosen damals ziemlich ungewöhnlich war. Aber die Realität wollte er nicht ausblenden. Decour schrieb auf, dass ein Großteil der Magdeburger Stadtgesellschaft Sympathien für die Nationalsozialisten hegte. 

Die nationalsozialistische Forderung, die Juden auszubürgern und zu vertreiben, weil diese "die Reinheit der Rasse" trübten, komme gut an. Deutschland sei nur für die Arier, so der damalige Tenor in Magdeburg und ganz Deutschland. 

Jacques Decour, der neutrale Beobachter, arbeitete als Gastlehrer an einem Magdeburger Gymnasium. Erstaunt hörte er von den Schülern, dass Heinrich Heine kein Deutscher sei. Ihn hatten sie bereits ausgebürgert. Diese Ablehnung hat Decour, den Germanophilen, der das "Wintermärchen" und alle anderen Werke von Heine gelesen hatte, schockiert. Er sah in der Verstoßung eine so entsetzliche Heuchelei, dass er seinem Bericht am Ende nicht die Überschrift "Magdeburg", sondern "Philisterburg" gab. 

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Der Organisator des Holocaust kommt aus Halle

Allein deshalb kann ich gut verstehen, dass Sie kein Philister sein wollen. Zumal zwischen dem Erscheinen des Buches 1932 und heute die allgemein bekannten grauenvollen Dinge in Deutschland und Europa passiert sind. Vielleicht könnten Sie mir bei der Gelegenheit einmal mitteilen, inwiefern in den heutigen sachsen-anhaltinischen Schulen und überhaupt im öffentlichen Leben die Rolle von Reinhard Heydrich aus Halle a.d. Saale im "Dritten Reich" thematisiert wird. 

Immerhin war er ja der Hauptplaner des Holocaust und hat als Chef des Reichssicherheitshauptamtes zur Wannsee-Konferenz eingeladen. Wie gesagt, es wäre gut, wenn wir einen neutralen Beobachter wie Jacques Decour finden könnten, der einen ausgewogenen Report über die heutigen Verhältnisse in Sachsen-Anhalt verfasst. Vielleicht schlagen Sie einen Berichterstatter vor. 

Denn Sie brauchen faktische Grundlagen für Ihre Politik. Sie wollen ja nicht, dass nach dem Ende Ihrer langen Amtszeit die AfD die Regierung in Sachsen-Anhalt übernimmt. Andererseits, jeder kennt Sie als aufrechten Patrioten. Da wird Sie schon niemand antasten. 

Im Moment haben Sie jedenfalls die Strategie gewählt zu zeigen, dass Sie genauso gegen Muslime abhassen können wie die völkischen Germanen. So wollen Sie die AfD-Wähler zurück zu den Christdemokraten holen. 

Ob der Plan aufgeht? Am Ende dieses Jahres 2024 werden wir schlauer sein. Aber zunächst einmal, lieber Herr Haseloff, steht Purim vor der Tür. Bei diesem Fest wird der Sieg von Mordekhai und Esther über Haman gefeiert. Die Menschen verkleiden sich ähnlich wie im rheinischen und im thüringischen Karneval. Vielleicht feiern Sie einfach mal mit. Sie merken, ich nehme Sie beim Wort. Ich glaube an den pädagogischen Effekt. 

Das Schöne ist, dass Sie vollkommene Narrenfreiheit bei der Wahl der Verkleidung haben. Sie können sich als Mönch von Wittenberg, Ulrich Siegmund, Ahmad Yassin, Hassan Nasrallah, Benjamin Netanjahu oder Barbie verkleiden. Alles ist erlaubt. Es wird auch, in Erinnerung an den guten alten persischen Wein, ausgiebig getrunken. Vielleicht bringt Sie das auf andere Gedanken. 

Mit freundlichen Grüßen, 

Stefan Buchen

© Qantara.de 2024

Der Autor ist als Fernsehjournalist für das ARD-Politikmagazin Panorama tätig. Er studierte 1993-96 Arabische Sprache und Literatur an der Universität Tel Aviv.