Solidarisch durch die Krise

A man takes a bottle of washing detergent from a shelf in cooperative supermarket Mann wa Salwa in Beirut, Lebanon
Preisgünstige Lebensmittel für alle jenseits konfessioneller Grenzen bietet der "soziale Supermarkt" Mann wa Salwa. (Foto: D. Hodali/DW)

Als Reaktion auf ständig steigende Preise haben zwei Frauen in Beirut einen sozialen Supermarkt gegründet. Es geht ihnen nicht nur um günstige Preise, sie wollen auch gegen Libanons konfessionelle Spaltungen angehen.

Von Diana Hodali

Etwa drei Kilometer südlich des Beiruter Zentrums befindet sich der Stadtteil Furn el Chebbak, ein Wohnviertel mit kleinen Geschäften und viel Verkehr. Wenn man die Hauptstraße entlangläuft, deuten in Glaskästen aufgestellte Heiligenstatuen darauf hin, dass das Viertel einst stärker christlich geprägt war, heute leben dort Menschen mit unterschiedlichem religiösen und ethnischen Hintergrund.

Furn el Chebbak war früher auch ein Viertel, in dem Menschen der unteren Mittelklasse gelebt haben, doch ihr Lebensstandard ist in den vergangenen Jahren dramatisch eingebrochen. 

Etwas abseits der Hauptstraße in Furn el Chebbak befindet sich ein etwas anderer Supermarkt, der gemeinnützige, soziale Supermarkt “Mann wa Salwa”. Yousef kommt regelmäßig hierher, obwohl er etwas außerhalb lebt.

"Ich finde die Preise wirklich anständig. Ich habe sie verglichen und gemerkt, dass es hier billiger ist und ich bin froh, dass ich etwas sparen kann", erzählt er. "Ich habe drei Kinder, und ich bringe ihnen gerne manchmal Schokoriegel mit, wenn ich nach der Arbeit nach Hause komme. Hier sind diese Riegel 40 Prozent billiger." 

Lebanese entrepreneur Nawal Traboulsi sits in a chair outside her shop in Beirut. There is a car parked on the left and a slatted fence behind her
Gemeinsam in der Krise: Die Idee eines "sozialen Supermarktes" sei als eine Reaktion auf die steigenden Lebenshaltungskosten im Libanon und die Wirtschaftskrise entstanden, sagt Gründerin Nawal Traboulsi. (Foto: Diana Hodali/DW)

"Sozialer Supermarkt" mit erschwinglichen Preisen

Die Idee eines "sozialen Supermarktes" sei als eine Reaktion auf die steigenden Lebenshaltungskosten im Libanon und die Wirtschaftskrise entstanden, erzählen die beiden Gründerinnen, Nawal Traboulsi und Mariam Younes. Das Ziel: Jeder soll Zugang zu erschwinglichen und guten Lebensmitteln haben. Im Frühjahr 2023 konnten sie schließlich “Mann wa Salwa” eröffnen. Der Name des Ladens stammt von einer nougatähnlichen irakischen Süßigkeit, die aus dem Saft eines Baumes im Nordirak hergestellt wird - und soll dem Namen nach "ernähren und glücklich machen". 

"Wir wollten gegen dieses Gefühl der Ohnmacht angehen, denn viele denken, dass man dem Land nicht helfen kann, weil immer noch dieselbe politische Klasse das Land regiert", erzählt Nawal Traboulsi. 

2019 waren Libanesinnen und Libanesen auf die Straße gegangen, um gegen die korrupte Elite zu demonstrieren, doch vier Jahre später sind größtenteils immer noch dieselben korrupten Politiker im Amt. 

Der Libanon steckts seither in einer Wirtschaftskrise, wie sie das Land noch nicht erlebt hat. Diese Krise ist laut Weltbank "eine der weltweit schlimmsten seit Mitte des 19. Jahrhunderts". Das libanesische Pfund hat seit Ende 2019 ungefähr 90 Prozent seines Wertes verloren. Die Folge: Viele Menschen im Libanon müssen für das Recht auf ein menschenwürdiges Leben und für soziale Solidarität und Gerechtigkeit täglich neu kämpfen. Die nicht auszuschließende Gefahr einer Ausweitung des derzeitigen Nahost-Kriegs auf den Libanon schafft zusätzliche Verunsicherung und Sorgen.  

Ausschlaggebend für die Gründung des Ladens war jedoch die Wirtschaftskrise. "Wir haben diesen sozialen Supermarkt gegründet, um gegen diese schwierige Situation vorzugehen", sagt Traboulsi. Über eine Nichtregierungsorganisation, die Nawal Traboulsi schon viele Jahre zuvor gegründet hatte, haben die Gründerinnen internationale Fördermittel akquiriert, um erschwingliche Preise im Supermarkt zu ermöglichen. 

Cotton shopping bags bearing the name of the Mann wa Salwa store hang from hooks on a wall
Ein System von Patronage und Klientelismus: "Diese konfessionell geprägte Wohlfahrt hat jedoch zu einem stark zersplitterten und unregulierten System sowie zu einer Politisierung des Zugangs zu Sozialleistungen geführt", schrieb Haneen Sayed, Expertin für Entwicklung und Sozialschutz im Nahen Osten. (Foto: D. Hodali/DW)

Lokale Produkte bevorzugt

“Mann wa Salwa” basiert auf der Idee einer sogenannten Kooperative, einem Geschäft, in dem alle Kunden und Eigentümer zugleich sind - weil sie entweder durch einen überschaubaren finanziellen Beitrag pro Jahr Mitglieder der Kooperative werden, Anteile an dem sozialen Supermarkt kaufen oder dafür spenden. Dazu kommen einige wenige Stunden Freiwilligenarbeit in dem Supermarkt. So bekommen sie auf die eh schon günstigeren Preise auch noch einmal Rabatt. 

Auch Nicht-Mitglieder können bei “Mann wa Salwa” einkaufen. Nicht nur Schokoriegel sind in dem kleinen Supermarkt zu finden, sondern auch alltägliche Grundnahrungsmittel, frisches Gemüse und Obst, Waschmittel und Hygieneprodukte. Es gibt auch eine kleine Ecke mit Büchern. 

Der Fokus liegt aber auf Produkten, die keinen Kühlschrank benötigen, weil es im Libanon oft stundenlang am Tag keinen Strom gibt. Und diese Produkte haben die Kundinnen und Kunden besonders in den vergangenen Wochen bei 'Mann wa Salwa' gekauft. Das seien Hamsterkäufe, da die Sorge vor einem Übergreifen des Gaza-Krieges bei vielen im Land sehr groß sei, erzählt Mariam Younes. 

“Mann wa Salwa” stehe aber auch vor anderen Herausforderungen, sagt Nawal Traboulsi. Denn die Kooperative setze gerade auch auf lokale Produkte und Hersteller.

 "Wir wollen mit unserer Kooperative nicht nur die Käufer der Ware unterstützen, sondern auch die lokalen Hersteller und Händler. Der Staat unterstützt diese Menschen nicht und gleichzeitig erhebt der Staat keine Steuern auf Waren aus China, der Türkei oder Syrien. Die lokale Ware ist oft teurer. Das nehmen wir aber in Kauf." 

Daher muss das Team oft genau kalkulieren, zu welchem Preis sie Ware einkaufen kann, um sie auch weiter zu einem geringen Preis verkaufen zu können. Einen gewissen Anteil muss daher die Organisation tragen, damit die Preise niedrig bleiben können. 

Größte Konkurrenz sind die Parteien

Doch dem Team von ”Mann wa Salwa” ist es nicht nur wichtig, erschwingliche Lebensmittel anzubieten. Mariam Younes und Nawal Traboulsi haben auch eine gesellschaftspolitische Vision: "Unsere größte Konkurrenz sind nicht nur die Supermärkte - es sind die politischen Parteien! Die Menschen gehen zu den Parteien, die ihre Religionsgruppe vertreten, und bekommen von ihnen Reis, Nudeln und Zucker. Wir wollen aber nicht, dass die Menschen von ihren politischen Führern abhängig sind, auch nicht von ihren religiösen Anführern", sagt Nawal Traboulsi. 

Tatsächlich wird ein Großteil der sozialen Dienste im Libanon von nichtstaatlichen Akteuren erbracht, darunter politische Organisationen und religiöse Wohlfahrtsverbände, die sich oftmals als Interessenvertreter bestimmter Bevölkerungsgruppen verstehen. Dazu gehören Unterstützung für Schulgelder, Krankenhausrechnungen oder eben Zugang zu Lebensmitteln.

Den Konfessionalismus überwinden

"Diese konfessionell geprägte Wohlfahrt hat jedoch zu einem stark zersplitterten und unregulierten System sowie zu einer Politisierung des Zugangs zu Sozialleistungen geführt", schrieb Haneen Sayed, Expertin für Entwicklung und Sozialschutz im Nahen Osten, in einem Bericht für das Carnegie Center im Sommer 2023

Dies bedeutet, dass Bürger, die ihren politischen oder religiösen Anführern loyal gegenüber sind, eher soziale Hilfe bekommen als diejenigen, die nicht als loyal gelten. "Somit stärkt dieses System der informellen sozialen Hilfe Klientelismus und Patronage, die in der libanesischen Sozialstruktur endemisch sind", so Sayed. 

Nawal Traboulsi wünscht sich, dass "Mann wa Salwa" dazu beiträgt, dass der Konfessionalismus im Libanon ein Ende nimmt. Dies könne aber nur dann geschehen, wenn die Menschen nicht mehr auf ihre politischen Anführer angewiesen seien. "Natürlich sind wir ein Geschäft, das erschwingliche Lebensmittel verkauft - aber das Ziel ist ein größeres: Wir wollen weg vom Konfessionalismus!" 

In der Zukunft hoffen sie, dass der kleine Laden etwa 350 bis 500 Familien regelmäßig versorgen kann und noch mehr Menschen Mitglieder der Kooperative werden. Dazu will das Supermarkt-Team noch ein paar Werbe-Veranstaltungen machen. "Ich hoffe, dass hier immer mehr Leute einkaufen", sagt auch Kunde Yousef, bevor er den Laden mit seinen preisgünstig erworbenen Schokoriegeln verlässt. "Diese Kooperative ist eine gute Idee." 

Diana Hodali

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