Schwere Hypothek

Eine Gasse mit Geschäften im Basar der Altstadt von Damaskus, Syrien
Eine Gasse mit Geschäften im Basar der Altstadt von Damaskus, Syrien. Hier spielt der Roman "Der Schamaya-Palast" des palästinensischen Autors Ali Al-Kurdi.

Der palästinensische Autor Ali Al-Kurdi flüchtete als Kind mit seiner Familie nach Syrien. In seinem Roman erzählt er vom Schicksal der Palästinenser, die im jüdischen Viertel von Damaskus untergekommen sind.

Von Volker Kaminski

Wenn man diesen Roman liest, beschleicht einen bald ein Gefühl von Unübersichtlichkeit. Mitten in der Altstadt von Damaskus leben die Menschen in chaotischen Verhältnissen. Kinderreiche Familien drängen sich in winzigen Wohnungen. Die Menschen versuchen sich selbst zu helfen, indem sie in den Innenhöfen Zimmer an ihre Wohnungen anbauen, neue Wände einziehen oder ganz einfach Zelte aufschlagen.

Der titelgebende Schamaya-Palast, ein ursprünglich von einer reichen jüdischen Familie im 19. Jahrhundert erbautes prächtiges Haus, dient auf mehreren Etagen beinahe fünfzig Familien als Wohnraum. 

Aus einer dieser Familien stammt Ahmad, dem als Kind beim Spiel mit den anderen nie bewusst wird, "dass wir in einem Teil der Stadt lebten, dessen vielfältiges, mosaikartiges Gewebe ein Sammelbecken unterschiedlicher Religionen, Ethnien und Kulturen darstellte”.
 
Doch er spürt schon früh, dass er zu einer mittellosen Flüchtlingsfamilie gehört, die auf staatliche Unterstützung angewiesen ist. Er vermeidet es, aus Scham vor der Armut seiner Familie, Freunde zu sich einzuladen. Als Sohn eines Büglers trifft ihn die Verachtung reicherer Mitschüler, er lernt jedoch sich zu behaupten und registriert aufmerksam seine Umwelt.  

Cover von Ali Al-Kurdis "Der Schamaya-Palast", Wallenstein Verlag 2022
In seinem Roman erzählt Ali Al-Kurdi vom Leben palästinensischer Flüchtlinge in der Altstadt Damaskus mit ihrer ethnischen und religiösen Vielfalt. (Quelle: Verlag)

Sehnsucht nach der verlorenen Heimat

Ahmad ist jedoch nicht die Hauptfigur des bereits 2010 auf Arabisch erschienenen Romans, der aus vielen kleinen Kapiteln besteht, die in sich abgeschlossene Episoden bilden. Andere Personen und Familien rücken in den Vordergrund, die eine Rolle in Ahmads Leben spielen, wie zum Beispiel Rascha, ein Nachbarkind, das zunächst ähnliche Startbedingungen hat wie Ahmad. 

Doch bald ändert sich ihr Leben, als einer ihrer Brüder ins Ausland flieht und im Golfstaat Katar Arbeit findet, von wo aus er die Familie finanziell unterstützt. Raschas weiteres bewegtes Schicksal wird neben Ahmads Leben sporadisch verfolgt, doch neben ihnen begegnen wir einem ganzen Reigen weiterer Bewohner des Schamaya-Palastes und der Altstadt von Damaskus.  

Alle Protagonisten und Nebenfiguren sind verbunden durch ihre Sehnsucht nach der verlorenen Heimat. Sie stellen sich ihre Rückkehr vor und träumen davon, dass sich die Lage in ihren Heimatländern – insbesondere Palästina – verbessert. 

Vorderhand versuchen sie, im Schamaya-Palast eine zweite Heimat zu finden, und manch einer hält hier sogar auf engstem Raum seine Ziegen. Ein Freund Ahmads, der in einer christlichen Kirche wohnt und dort christliche Feiertage begeht, beschreibt den Ort folgendermaßen: "Ich hatte sofort das Gefühl, auf magische Weise in eine andere Welt katapultiert zu sein, eine heimelige, warme und einfache Welt.“ 

 

Kaleidoskop menschlicher Schicksale

Dieser Freund übernimmt im Text teilweise die Position des Erzählers, was zunächst verwirrt, da der Autor nirgends signalisiert, dass ein anderer Erzähler spricht. Die Fülle an Personen und die Vielfältigkeit teils tragisch endender, teils zum Erfolg führender Episoden rechtfertigt indes diese Mehrstimmigkeit. Dem Autor geht es in erster Linie um ein vielfarbiges Kaleidoskop von menschlichen Schicksalen und diametralen Lebenswegen, die ihren Ausgang in der Altstadt von Damaskus nehmen.

Der Schamaya-Palast bildet das magische Zentrum, er ist Sinnbild all dieser schweren Leben, in seinen ehemals opulenten Gängen und Räumen herrscht unentwegt ein unangenehmer Geruch aus Abfällen, Knochenresten und geronnener Milch, ein Gemisch, "das wir als Odeur des Schamaya-Palastes bezeichnen können.“ 

Wie schwer es die Protagonisten auch in ihrem weiteren Leben haben, wird in der Folge immer deutlicher. Einerseits schließen sich einige junge Männer (unter ihnen Ahmad) dem palästinensischen Widerstand an, begehen als Mitglieder der "Fedajin“ Anschläge in den israelischen Gebieten, werden verhaftet, gefoltert und zu jahrelangen Gefängnisstrafen verurteilt. Andere entfernen sich weit von ihrer arabischen Heimat, ohne sich jedoch von ihrer Herkunft lösen zu können.   

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So kann Rascha nach ihrem Studium zwar ihren arabischen Mann überreden, mit ihr in die USA zu ziehen, doch die Ehe ist unglücklich und ihre Söhne entfremden sich von ihr und dem westlichen Lebensstil und vertreten islamistische Standpunkte. Ein weiterer Freund Ahmads, der in Paris lebt, scheitert ebenfalls und wird drogenabhängig. 

Dieser insgesamt pessimistische Blick auf die Folgen von Migration und die Schwierigkeiten der Integration gibt dem Roman eine melancholische Note. Al-Kurdi hinterfragt kritisch, warum im Leben so vieler Menschen Unglück und Versagen nicht abreißen. 

Am Ende kehren wir zu Ahmad zurück, der eine gewisse Lebensreife erreicht hat und für Bescheidenheit plädiert. Seine Frage: "Haben wir wirklich wie Don Quijote gegen Windmühlen gekämpft?“, mildert das persönliche Scheitern und reiht es ein in ein allgemein menschliches Schicksal.  

Volker Kaminski 

© Qantara.de 2023 

 Ali Al-Kurdi, "Der Schamaya-Palast", aus dem Arabischen übersetzt von Larissa Bender, Wallstein Verlag 2022, 178 S.

Ali Al-Kurdi, geb. 1953 in Damaskus, ist ein palästinensischer Schriftsteller und Journalist. Er lebt heute in Weimar.