Siebziger Jahre Retro: Mitra Sumaras Album "Dream"

Mitra Sumara performing live on stage
Das Bandprojekt "Mitra Sumara“ wurde von der stilprägenden Sängerin Yvette Massoudi gegründet. Kein Wunder also, dass "Mitra Sumara" auf ihrem neuen Album "Dream" vor allem Songs singen, die ursprünglich von Frauen vorgetragen wurden. (Foto: mitrasumara.com)

Das mittlerweile zweite Album der Band "Mitra Sumara" erinnert an die Zeit im Iran vor der Islamischen Revolution. Die Sammlung jazzig-persischer Retro-Hits lädt förmlich zum Tanzen ein.

Von Richard Marcus

Für die meisten Nicht-Iraner und wohl auch für Iraner, die die Iranische Revolution von 1979 nicht miterlebt haben, sind die Worte Iran und Popmusik unvereinbar. Dabei war Popmusik in den 1970er Jahren im Iran genauso präsent wie klassische und traditionelle Musik. 

Frauen als Künstlerinnen gehörten damals ganz selbstverständlich dazu, was heute kaum vorstellbar ist und was das Regime niemals zulassen würde. Das Album Dream des in den USA lebenden Trios Mitra Sumara ist eine Hommage an diese Musik. 

Gegründet wurde das Bandprojekt von der stilprägenden Sängerin Yvette Massoudi. Kein Wunder also, dass sich die Titelauswahl des Albums auf Lieder konzentriert, die ursprünglich von Frauen gesungen wurden. 

Für Massoudi ist dieses Album ein weiterer Schritt auf der Suche nach ihren Wurzeln. Die Sängerin iranisch-amerikanischer Abstammung wurde als Kind von Amerikanern adoptiert. Lange Zeit suchte sie nach ihrem leiblichen iranischen Vater. Als sie ihn gefunden hatte, knüpfte sie wieder an ihre persischen Wurzeln an. Daraus entstand das Bandprojekt Mitra Sumara

Album cover: Mitra Sumara's "Dream" (distributed by Persian Cardinal)
Der Atem der Moderne: Die persönlichen Erfahrungen der drei Musiker aus modernen amerikanischen Jazz-Ensembles flossen in die Stücke auf "Dream" ein und verstärken deren Atmosphäre auf eine Weise, wie es in den 1970er Jahren nicht möglich war (Foto: mitrasumara.com)

Auf Entdeckungsreise

Ihre Entdeckungsreise führte sie auch zur iranischen Popmusik der 1970er Jahre. Damals vermischte sich nordamerikanische und europäische Popmusik mit nahöstlichen Klängen. Jazz, Funk und viele andere Musikstile kamen zusammen und ließen etwas Einzigartiges in der Region entstehen. 

Mit Dream hat Yvette Massoudi zusammen mit dem Bassisten Rubin und Keyboarder Jack Gruber ein weiteres Werk zeitloser Musik geschaffen. Das Album ist eine Mischung aus all den Stilen, die in den Originaltiteln verwendet wurden. Es atmet aber auch den Hauch des Neuen. Es ist keine bloße Reproduktion dessen, was bereits war, sondern nimmt den Sound und transportiert ihn in unsere heutige Welt. 

So enthalten die Stücke auf Dream jazzige und elektronische Elemente, die die Atmosphäre auf eine Weise verstärken, wie es in den 1970er Jahren noch nicht möglich war. Die persönlichen Erfahrungen der drei Musiker aus modernen amerikanischen Jazzensembles verleihen den Stücken einen Hauch von Modernität und machen sie passender für ein heutiges Publikum. 

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Reine Poesie

Geblieben ist die Magie der Lieder, die auf dem Album durch die Kombination der zeitgenössischen musikalischen Einflüsse mit den Texten der Originalmelodien noch intensiver wird. Wer die Übersetzungen liest, ist beeindruckt von der reinen Poesie, die man in den 1970er Jahren in Nordamerika oder Europa so nicht oft in einem Popsong findet. 

Ein perfektes Beispiel dafür ist das Auftaktlied des Albums, "Aroose Noghreh Poosh" (Die Silbermondbraut), geschrieben von Naser Cheshmazar und ursprünglich gesungen von der iranischen Künstlerin Ramesh. Die ersten Zeilen des Liedes – "Ich bin eine Silbermondbraut / Im Morgengrauen des Tagesanbruchs / Für die fahlen Farben meines ungeduldigen Herzens / Die Schönheit deiner Augen ist vielversprechend"– sind nicht das, was man von einem Popsong erwarten würde. Ganz gleich, aus welcher Epoche. 

Die Musik hat ihren ganz eigenen Schwung. Zu Beginn spielt eine Bläsergruppe einen kräftigen Up-Tempo-Beat. Das Schlagzeug unterstützt den Rhythmus und treibt den Song voran. Sobald Massoudis Stimme einsetzt, wiegt und webt sich ihr Gesang wie hypnotisierend durch den Sound. 

Ihre Stimme schlägt die Brücke zwischen dem Original und den modernen Versionen der Songs: Ihr Gesang klingt so, wie die ursprünglichen Sängerinnen geklungen haben könnten. Ohne zu imitieren, reproduziert sie Stil und Gefühl und verleiht den Liedern eine Authentizität, die eine rein zeitgenössische Interpretation nie erreichen könnte. 

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Feinsinnige Stimme

Mit "Shekare Ahoo“ (Hirschjagd), einem persischen Volkslied, geht die Band einen anderen Weg. Die sparsame Instrumentierung unterstreicht den einprägsamen Text des Liedes: "Ich möchte in den Bergen auf Hirschjagd gehen/Wo ist mein Gewehr, Leyli? Wo ist mein Gewehr?/Wo ist mein Gewehr, Leyli? Wo ist mein Gewehr?/Im Schlaf hast du deinen Geliebten getötet /Mit dem Blut deines Geliebten, Leyli, hast du einen Brief geschrieben /Mit dem Blut deines Geliebten, Leyli, hast du einen Brief geschrieben". 

Massoudis Stimme klingt dabei, als käme sie aus einem alten Radio. Die Musik ist unkapriziös: Elektronische Keyboards weben mit subtilen und einfachen Klängen einen Klangteppich, der die Stimmeffekte begleitet. Dieses Lied wird normalerweise mit akustischen Instrumenten gespielt, aber die Bearbeitung durch die Band trägt dazu bei, das eher makabre Thema zu unterstreichen und verleiht ihm eine entsprechend schaurige Wirkung. 

"Kalaghaye Khabarchin“ ("Die Krähe verkündet die Nachricht“) von Amir Aram, ursprünglich 1971 von Leila Forouhar gesungen, klingt mit seinem kecken Bläsersatz und dem rhythmischen Oompah-Stil fast wie eine Polka. Doch Massoudis feinsinnige Stimme und die Jazzeinflüsse des Liedes bewahren es vor dieser Einordnung. 

Lyrisch sind wir wieder im Reich der Poesie: "Die Krähe, die die Nachricht verkündet / Sie kommen in Schwärmen zu Tausenden / Mit gebrochenen Flügeln / Sie sagen, dass deine Liebe in Einsamkeit verharrt.“ Die Bilder sind so eindringlich, dass man sich vorstellen kann, wie sich der Himmel verdunkelt und die Krähen um die Wette fliegen, um die Nachricht von der Liebe dieses Menschen zu verkünden.  Es liegt eine Schönheit in diesen Worten, wie man sie in der Popmusik selten findet. 

Dream vermittelt dem Hörer einen Eindruck von der Komplexität und Vielfalt der iranischen Popmusik aus der Zeit vor der Revolution von 1979. Die Texte der Lieder gehen auf die alte Tradition der iranischen Poesie zurück, die sowohl in der klassischen persischen Musik als auch in der iranischen Volksmusik zu finden ist. Die Interpretationen von Mitra Sumara bewahren den Charakter der Lieder durch Massoudis wunderbaren Gesang. Sie sorgen aber auch dafür, dass sie für ein heutiges Publikum musikalisch zugänglich werden. 

Es ist ein gelungenes Album, das den Menschen vielleicht bewusst macht, dass der Iran nicht die homogene Masse ist, als die er gerne dargestellt wird. Wie uns die jüngsten Proteste gezeigt haben, lebt unter dem Mehltau der Theokratie ein lebendiges und kreatives Volk. Dream ist ein Beispiel für diesen Geist. 

Richard Marcus

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