Vor 50 Jahren begann der Jom-Kippur-Krieg

Jerusalem. 6. Oktober 1973. Das Datum hat sich ins Gedächtnis der Beteiligten und ins kollektive Gedächtnis Israels eingebrannt. Ausgerechnet am Versöhnungstag Jom Kippur, dem höchsten aller jüdischen Feiertage, überraschten ägyptische und syrische Truppen den israelischen Nachbarn mit Angriffen. Es wird der vierte Krieg in dem gerade mal 25 Jahre alten Land. Ein Trauma und gleichzeitig ein Schritt auf dem Weg zum Frieden mit den Nachbarn.



Eine Reihe von Fehleinschätzungen und -entscheidungen, für die später einige ihren Hut nehmen mussten: Auch das war der Jom-Kippur-Krieg, wie erst jüngst freigegebene, bis dato geheime Akten zeigen. Die Warnungen vor einem Krieg ausgerechnet an Jom Kippur gab es – doch sie wurden als unwahrscheinlich abgetan. Dann erklangen die Sirenen. Um zwei Uhr nachmittags durchbrachen sie die Stille des Versöhnungstags, erinnert sich Lea Rabin in ihrem Buch "Ich gehe weiter auf seinem Weg".



Schlachtfelder gehören von der Staatsgründung an zu Israel. Im Mai 1948 erklärten die arabischen Nachbarn dem neu ausgerufenen Staat den Krieg. 1956 stritt man sich militärisch im sogenannten Sinai-Krieg. Dann kam der Sechs-Tage-Krieg (1967). Selten war das euphorische Gefühl der Unbesiegbarkeit größer als nachdem man Ostjerusalem "befreit" – oder in arabischer Lesart: "eingenommen" - hatte.



Es vergingen sechs Jahre bis zum nächsten Krieg. Knapp drei Wochen sollte er dauern und das Leben von rund 2.600 israelischen und 20.000 arabischen Soldaten kosten. Auch der Rest der Welt bekam die Folgen der Kämpfe im Heiligen Land zu spüren. Erdölproduzenten drosselten die Ölförderung und lösten eine weltweite Krise aus. In Deutschland waren vier autofreie Sonntage im Winter 1973 die Folge, von der Bundesregierung per Energiesicherungsgesetz verordnet.



Für Israel ist der arabische Überraschungsangriff ein Trauma geblieben. Erst Anfang September erklärte der Chef des Geheimdienstes Mossad, David Barnea, bei einer Gedenkveranstaltung, Israel müsse handeln, um seine "Abschreckungskraft zu beweisen". Die Fähigkeiten des Feindes dürften nicht auf die leichte Schulter genommen werden, so eine der Lehren aus dem Krieg von 1973, die ihre Relevanz bis heute nicht verloren habe. Und: Israel dürfe die Unterstützung in Krisenzeiten nicht überbewerten.



Angesichts der massiven US-amerikanischen Unterstützung Israels gegen die ägyptischen und syrischen Truppen klingt dies fast wie ein Affront; war es doch vor allem die Luftbrücke der USA, die das Überleben maßgeblich sicherte. Rund 22.000 Tonnen Panzer, Munition und Versorgungsgüter kamen auf diesem Weg ins Land. Nach verheerenden Einbrüchen der israelischen Front am Suezkanal, im Sinai und auf den Golanhöhen wendete sich das Blatt der Kriegsgeschichte erst an Tag acht zugunsten Israels.



Als sich die Kriegsparteien am 26. Oktober 1973 auf einen Waffenstillstand einigten, stand Israel strategisch besser da als zuvor. Sogar die 1967 besetzten Golanhöhen - von Syrien zu Beginn des Jom-Kippur-Kriegs zurückerobert - blieben schließlich in israelischer Hand. Doch das Vertrauen der Israelis in ihre Regierung war nachhaltig beschädigt. Golda Meir, erste Frau im Amt der Ministerpräsidenten, nahm über die verheerenden Verluste im April 1974 ihren Hut. Für drei Jahre kam unter Menachem Begin erstmals der konservative Likud, die Partei des heutigen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, an die Macht.



Mit dem Ende des Jom-Kippur-Krieges, der in der arabischen Welt Ramadan-Krieg genannt wird, weil er auch in den islamischen Fastenmonat fiel, eröffnete sich neue Gemengelage in Nahost. Der Mythos der israelischen Unbezwingbarkeit war gefallen. Nach der vernichtenden Niederlage im Sechs-Tage-Krieg sahen die arabischen Nachbarn durch die anfänglichen Erfolge ihres Überraschungscoups von 1973 ihre Ehre zumindest teilweise wiederhergestellt. Verhandeln erhobenen Hauptes wurde möglich.



Und so trafen im Zuge der Nachkriegsverhandlungen erstmals ein israelischer Ministerpräsident und ein ägyptischer Präsident direkt zusammen. 1979 dann unterzeichneten Menachem Begin und Anwar al-Sadat den israelisch-ägyptischen Friedensvertrag – den ersten Israels mit einem arabischen Nachbarn. Eine Lösung für den Nahost-Konflikt oder ein dauerhafter Frieden für die gesamte Region fehlen bis heute.



Zum 50. Jahrestag des Jom-Kippur-Krieges öffnete Israel seine Archive. 3.500 Akten, 1.000 Fotos, 800 Tonaufnahmen, 150 Transkripte und acht Videos umfasst die Sammlung, die kürzlich vom israelischen Staatsarchiv online gestellt wurde. Sie soll anhand der Originaldokumente der prägenden Zeit ermöglichen, "die Dramatik und die Emotionen der Öffentlichkeit", der Armee und der politischen Führung nachzuempfinden und zu erforschen. (KNA)