Das strategische Dilemma der Islamischen Republik 

Das im vergangenen Frühjahr von China vermittelte Abkommen zwischen Iran und Saudi-Arabien hat gezeigt, dass sich die Außenpolitik der Islamischen Republik in einem labilen Gleichgewicht befindet.
Das im vergangenen Frühjahr von China vermittelte Abkommen zwischen Iran und Saudi-Arabien hat gezeigt, dass sich die Außenpolitik der Islamischen Republik in einem labilen Gleichgewicht befindet.

Das im vergangenen Frühjahr von China vermittelte Abkommen zwischen Iran und Saudi-Arabien hat gezeigt, dass sich die Außenpolitik der Islamischen Republik in einem labilen Gleichgewicht befindet. Hintergründe von Amin Naeni und Ali Fathollah-Nejad

Von Amin Naeni & Ali Fathollah-Nejad

Das im März 2023 unter chinesischer Vermittlung unterzeichnete Abkommen zwischen Iran und Saudi-Arabien zur Normalisierung der Beziehungen der regionalen Erzrivalen wird allgemein als Beleg für eine neue Dynamik in der Region gewertet. Es wird vor allem als ein wichtiger Schritt zur Beendigung der regionalen Instabilität und als Demonstration des wachsenden internationalen Einflusses von Peking gelesen.  

Die Islamische Republik nutzte die Gelegenheit, um von der brutalen Niederschlagung der revolutionären Proteste im vergangenen Herbst abzulenken und der damit verbundenen Gefahr einer zunehmenden internationalen Isolation zu entgehen. Dies führte schließlich dazu, dass Teheran einer Entspannung der Beziehungen zu Saudi-Arabien zustimmte.  

Darüber hinaus versuchte die iranische Führung, das Abkommen als Beleg für den Niedergang der USA im Nahen Osten und den endgültigen Beginn einer post-amerikanischen Weltordnung zu werten. In der Debatte wird jedoch oft vernachlässigt, dass dieses Abkommen ein zentrales Dilemma in der Außenpolitik der Islamischen Republik geschaffen hat: ein instabiles Gleichgewicht zwischen ihren beiden wichtigsten Strategien, nämlich der regionalen "Achse des Widerstands“ und dem globalen "Blick nach Osten“. 

 

— Foreign Ministry (@KSAmofaEN) March 10, 2023

 

Sowohl die Regierung von Ebrahim Raisi als auch die staatlichen Medien, die dem Obersten Führer Ali Khamenei nahestehen, haben ihre Unterstützung für die Entspannung der Beziehungen zu Saudi-Arabien zum Ausdruck gebracht. Unterdessen besteht die Hauptbotschaft der Teheraner Propaganda darin, das Abkommen als einen Schlag gegen die Gegner der Islamischen Republik darzustellen – seien es Israel oder die Vereinigten Staaten.  

In diesem Sinne verbreiteten iranische Tageszeitungen das Narrativ, dass der Deal mit Riad "eine neue Ordnung in Westasien“ und "eine neue Ära regionaler Entwicklungen“ einleite. So bezeichnete General Yahya Rahim-Safavi, ehemaliger Kommandeur der Islamischen Revolutionsgarden und Berater Khameneis, das Abkommen als nicht weniger als ein "politisches Erdbeben, das das Ende der amerikanischen Hegemonie in der Region signalisiert“. Rahim-Safavi behauptete sodann, Teherans "Blick auf die Nachbarn und den Osten wird das geopolitische Gewicht Irans erhöhen“. 

Seltsames Schweigen der iranischen Machtzentren 

Gleichzeitig maß keines der wichtigsten Machtzentren der Islamischen Republik, weder der Oberste Führer noch die Revolutionsgarden, dem Abkommen besondere Bedeutung bei – von einem historischen Wendepunkt für die Region ganz zu schweigen. Erst Ende Mai, als der neue Sultan von Oman Teheran besuchte und dabei das iranisch-saudische Abkommen begrüßte, brach Khamenei sein Schweigen und sprach von einer "guten Politik der Regierung Ebrahim Raisi zur Ausweitung der Beziehungen zu den Nachbarn und den Ländern der Region“.  

Eine solche allgemeine Bemerkung, die lediglich die längst bekannten Ziele Teherans wiedergibt, kann als eine Bagatellisierung, wenn nicht gar als Abwertung der Bedeutung des Abkommens mit Saudi-Arabien verstanden werden. Im Gegensatz dazu betonte Khamenei in seiner iranischen Neujahrsansprache etwa zehn Tage nach Bekanntgabe des Abkommens mit Riad die Entschlossenheit seines Landes, die "Achse des Widerstands“ zu unterstützen – ein wesentlicher geopolitischer Streitpunkt zwischen Teheran und Riad in den letzten zwanzig Jahren.

Identität und Überleben der Islamischen Republik sind eng mit der von ihr geführten "Achse“ verbunden. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die iranische Führung ihr regionales Netzwerk zugunsten einer Normalisierung der Beziehungen zu Riad aufgeben wird. Denn immerhin nutzt das Regime seinen destabilisierenden regionalen Einfluss als Hebel, um seine Interessen auch gegenüber dem Westen zu verfolgen.

Genau ein Jahr vor dem Abkommen, also im März 2022, hatte Khamenei noch betont, dass die iranische Präsenz in der Region "unsere strategische Tiefe ist; sie selbst ist ein Mittel zur Stärkung des Nezâm [d.h. des Systems der Islamischen Republik]. Sie ist ein Machtinstrument des Nezâm. Warum sollten wir das aufgeben, wenn wir so etwas haben können und haben sollten?“

Irans Oberster Führer Ayatollah Ali Khamenei (Foto: ZUMA PRESS/picture-alliance)
Historischer Wendepunkt? Weder Irans Oberster Führer Ali Khamenei noch die Revolutionsgarden haben dem Abkommen zwischen Riad und Teheran besondere Bedeutung beigemessen – von einem historischen Wendepunkt für die Region ganz zu schweigen. Erst Ende Mai, als der neue Sultan von Oman Teheran besuchte, brach Khamenei sein Schweigen und sprach von einer "guten Politik der Regierung Ebrahim Raisi zur Ausweitung der Beziehungen zu den Nachbarn und den Ländern der Region“.  



Die Revolutionsgarden haben Saudi-Arabien in den letzten Jahren häufig gedroht. Ihr Schweigen zum Abkommen in Riad scheint Zweifel an Teherans tatsächlichem Engagement zur Umsetzung des Abkommens geweckt zu haben. 



Es gehört zudem zur iranischen Strategie, mit einer regionalen Eskalation zu drohen, sollte der Westen – etwa im Zusammenhang mit dem Atomstreit – härter gegen Teheran vorgehen wollen. In einem solchen Szenario würde sich ein Krieg nicht auf die USA und den Iran beschränken, sondern viele Staaten der Region einbeziehen – also möglicherweise auch Saudi-Arabien, so droht ein wichtiger Architekt der nuklearen Eskalationspolitik des Iran in einem Spiegel-Interview im April.

Ein regionaler Flächenbrand – so das Narrativ aus Teheran – wäre die Folge eines Scheiterns der Wiederbelebung des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA, das sogenannte Atomabkommen) und der Reaktivierung ("snapback“) von UN-Sanktionen seitens der Unterzeichnerstaaten der EU, woraufhin Iran nicht nur aus dem Abkommen, sondern auch aus dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) austreten würde.  

Diesem Szenario nach könnten sich die USA bzw. Israel zu militärischen Maßnahmen veranlasst sehen, um Teheran am Erwerb der Atombombe zu hindern, wobei der Iran die Interessen dieser Mächte und ihrer vermeintlichen Partner in Westasien ins Visier nehmen würde. Mit anderen Worten: Iran droht damit, das Abkommen mit Saudi-Arabien für eine Politik der regionalen Eskalation zu opfern. 

Chinas Suche nach regionaler Stabilität: ein Vabanquespiel 

Die Rolle Chinas fügt der Situation eine weitere komplexe Ebene hinzu. Das iranische Regime hat versucht, eine Koalition mit Moskau und Peking zu schmieden und behauptet, dass dieses Dreieck die nächste Weltordnung gestalten werde. Tatsächlich sieht Teheran in seiner Politik des "Blicks nach Osten“ nicht nur den Schlüssel zur Überwindung seiner politischen Isolation, sondern auch die Chance, zukünftig eine globale Rolle einzunehmen.

Der saudische Außenminister Prince Faisal bin Farhan trifft seinen iranischen Amtskollegen Hossein Amir-Abdollahian im Juni 2023 in Teheran (Foto: Vahid Salemi/AP/dpa/picture alliance)
Wachsendes Interesse am Nahen und Mittleren Osten: China ist daran interessiert, sein internationales Standing durch sein Engagement im Nahen Osten zu verbessern. Peking investiert verstärkt in Saudi-Arabien und unterstützt damit auch die saudische "Vision 2030“. Frieden und Stabilität zwischen Riad und Teheran sind demnach für Peking von größter Bedeutung.    



In diesem Sinne hat China dazu beigetragen, die iranischen Außenhandelseinnahmen aus Ölverkäufen trotz der bestehenden extraterritorialen US-Sanktionen aufrechtzuerhalten, während die beiden Länder ihre Beziehungen durch ein im März 2021 unterzeichnetes Abkommen mit 25 Jahren Laufzeit ausbauen wollen. Die Islamische Republik wendet sich daher geopolitisch und wirtschaftlich verstärkt China zu. 

China ist seinerseits daran interessiert, sein internationales Standing durch sein Engagement im Nahen Osten zu verbessern. Peking investiert verstärkt in Saudi-Arabien und unterstützt damit auch die saudische "Vision 2030“. Frieden und Stabilität zwischen Riad und Teheran sind demnach für Peking von größter Bedeutung.  

Pekings Ziel, seinen Einfluss und seine Wirtschaftsbeziehungen in einer stabilisierten Region auszuweiten, könnte jedoch damit kollidieren, dass Teheran Milizen unterstützt.  

Iranischer Außenpolitik droht Schieflage

In diesem Sinne betonte NourNews, die Nachrichtenagentur des iranischen Obersten Nationalen Sicherheitsrats, dass das Abkommen mit den Saudis keine Änderung der iranischen "Kernstrategien“ zur Folge haben werde. Um die Umsetzung des Abkommens zu gewährleisten, scheint Riad vor diesem Hintergrund auf den Einfluss Chinas in Teheran angewiesen zu sein. 

Kurzum: Sollte der Iran seine Unterstützung für bewaffnete nichtstaatliche Akteure im Nahen Osten aufrechterhalten, riskiert er einerseits Spannungen mit China und setzt möglicherweise seine politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Peking aufs Spiel. Andererseits könnte die Islamische Republik durch eine Schwächung der "Achse des Widerstands“ an Einfluss und "strategischer Tiefe“ in der Region verlieren und somit anfälliger für Druck von außen werden.

Das daraus resultierende Ungleichgewicht stellt nun eine ernsthafte Herausforderung für die iranische Führung dar. Die Verfolgung regionaler Ambitionen und die daraus resultierende Hebelwirkung (insbesondere gegen den Westen) bei gleichzeitigem Ausbau der Beziehungen zu nicht-westlichen Großmächten, insbesondere China, erfordert einen heiklen Balanceakt, der weitreichende Folgen haben könnte.  

In einem Interview, das nur eine Woche nach dem Abkommen mit Riad veröffentlicht wurde, skizzierte der stellvertretende Außenminister Ali Bagheri die Außenpolitik der Islamischen Republik in der "Übergangszeit der internationalen Ordnung“ und hob dabei zwei wichtige Punkte hervor: den Abschluss langfristiger Abkommen mit Ländern wie China und Russland sowie die Stärkung der "Achse des Widerstands“ im Nahen Osten. 

Das jüngste, von China vermittelte Abkommen mit Saudi-Arabien stellt jedoch beide Punkte in Frage und verdeutlicht die sich abzeichnende Schieflage der iranischen Außenpolitik. Es bleibt abzuwarten, ob und wie Teheran mit diesem strategischen Dilemma umgehen wird. 

Amin Naeni & Ali Fathollah-Nejad

© Qantara.de 2023

Dr. Ali Fathollah-Nejad ist Gründer und Direktor des Center for Middle East and Global Order (CMEG) sowie Autor der kürzlich erschienenen Studie The Islamic Republic in Existential Crisis: The Need for a Paradigm Shift in the EU's Iran Policy (Paris: Institut der Europäischen Union für Sicherheitsstudien, Chaillot Paper). X: @AFathollahNejad 

Amin Naeni ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alfred Deakin Institute for Citizenship and Globalisation (ADI) an der Deakin University in Melbourne, Australien. Er ist außerdem Fellow am Center for Middle East and Global Order (CMEG). X: @Amin_Naeni