Letzter Ausweg aus der Misere?

In Irakisch-Kurdistan hatte die Verhängung einer Flugverbotszone gegen das Regime von Saddam Hussein 1991 wahre Wunder vollbracht. Und auch die Verhängung einer No-Fly-Zone im Libyenkonflikt 20 Jahre darauf führte schließlich zum Erfolg. Warum also nicht auch in Nordsyrien? Silke Mertins kommentiert.

Von Bagdad nach Sulaimaniya zu reisen, war vor zehn Jahren ein höchst bizarres Erlebnis. Während in der irakischen Hauptstadt die Paläste offen und die Schulen geschlossen waren, Plünderungen, Stromausfälle und Verkehrschaos den Alltag bestimmten, wirkte der kurdische Norden wie das Schwabenland nach der Kehrwoche: Polizisten achteten darauf, dass die Autofahrer ihre Beifahrer nur zum Bürgersteig ausstiegen ließen. Die Telefone funktionierten und in den Hotels wurden sogar Kreditkarten akzeptiert. Die Foltergefängnisse Saddam Husseins waren bereits zu Gedenkstätten umgewandelt und wirtschaftlich machte sich ein bescheidener Wohlstand bemerkbar.

Zu verdanken hatten die Kurden das kleine Wunder im Nordirak der Flugverbotszone "Operations Provide Comfort", die Amerikaner, Briten und Franzosen nach dem Aufstand der Kurden und Schiiten 1991 nördlich des 36. und südlich des 32. Breitengrades verhängten.

Kämpfer der Peschmerga in Irakisch-Kurdistan; Foto: AP
Widerstand der Kurden im Kampf gegen Saddam Hussein: Die Peschmerga setzten sich aus den bewaffneten Einheiten der kurdischen KDP und der PUK zusammen. Nach der Verhängung der nördlichen Flugverbotszone im Irak hatten sie die Kontrolle über die Kurdenregion des Landes.

​​Da der kurdische Widerstand, die Peschmerga, das Territorium auch am Boden verteidigen konnte, wurden die Kurden de facto bereits zehn Jahre vor den anderen irakischen Regionen, die sich noch im Machtbereich des Diktators Saddam Husseins befanden, befreit und wussten dies für den Aufbau staatlicher Strukturen zu nutzen.

Suche nach neuen Optionen

Warum sollte eine solche Schutzzone also nicht auch in Nordsyrien funktionieren? Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, was bei der für Juni geplanten internationalen Syrien-Konferenz herauskommen wird: bestenfalls Arbeitsgruppen.

Vor kurzem traf sich ein wichtiger Teil der Opposition, die "Nationale Syrische Koalition", in Istanbul. Sie ist sich nach wie vor nicht einmal sicher, ob sie überhaupt an Verhandlungen mit dem syrischen Regime teilnehmen will. Nach über 70.000 Toten im syrischen Bürgerkrieg ist für viele ein Kompromiss undenkbar geworden.

Der Westen muss sich zwangsläufig mit anderen Optionen befassen. Eine Aufhebung des Waffenembargos oder gar gezielte Waffenlieferungen? Ein zweifelhaftes Unterfangen, denn sie könnten in die falschen Hände geraten – in die der Dschihadisten, die damit nicht nur den "nahen Feind" Baschar al-Assad, sondern letztlich auch den "fernen Feind", die USA und Europa bekämpfen werden.

Man würde sich außerdem gemein machen mit den Monarchien Saudi-Arabien und Qatar, die schon jetzt die vorwiegend sunnitische Opposition gegen die alawitische Herrschaftselite mit Rüstungsgütern unterstützen – und damit alles als den Aufbau demokratischer Strukturen in Syrien im Sinn haben.

Und was spricht gegen die Verhängung noch schärferer Sanktionen gegen das Assad-Regime? Bisher haben die Strafmaßnahmen zu nichts geführt. Ein Regime, das mehr und mehr an Boden gewinnt, lässt das kalt.

Die Sanktionen geben den westlichen Entscheidungsträgern lediglich das beruhigende Gefühl, wenigstens nicht die Hände in den Schoß gelegt zu haben. Man kann es ihnen nicht verdenken, denn ein weiterer Krieg wie in Afghanistan oder im Irak, ist weder bei der amerikanischen, noch der europäischen Bevölkerung durchzusetzen.

Vorbild Libyen?

Teilnehmer der Nationalen Syrischen Koalition in Istanbul; Foto: Reuters
Tief gespaltene Opposition: Bei ihrem Treffen in Istanbul konnte sich die 60 Mitglieder umfassende Syrische Nationalkoalition ein weiteres Mal nicht dazu durchringen, liberale Kräfte stärker zu integrieren. Sie lehnte es ab, dem als liberal geltenden Block des Oppositionspolitikers Michel Kilo mehr Gewicht zuzugestehen.

​​Aber was spricht gegen eine Flugverbotszone? In Libyen haben die westlichen Verbündeten sie dazu genutzt, einen Luftkrieg zu führen, der kaum noch etwas mit einem Flugverbot zu tun hatte. Im Nordirak jedoch war das anders. Mit Kontrollflügen haben die USA, Großbritannien und Frankreich den Luftraum überwacht.

Zwar wurden die alliierten Kampfjets oft genug beschossen. Saddam Hussein hatte sogar eine Abschussprämie von 14.000 Dollar ausgesetzt. Es traf trotzdem keiner. Im Fall Nordsyriens könnten in der Türkei aufgestellte Flugabwehrsysteme für ein Ende der Luftangriffe sorgen. Kampfflugzeuge müssten den Luftraum zusätzlich kontrollieren.

Eine No-Fly-Zone würde der syrischen Opposition ermöglichen, eine Regierung zu bilden und Strukturen für ein neues Syrien aufzubauen. Die Rebellen hätten einen Rückzugsort und Flüchtlinge eine Zufluchtsstätte, zu der auch Hilfsorganisationen vordringen könnten. Auf diese Weise würde man das Feld nicht völlig den Islamisten überlassen. Allein dafür lohnte sich das Risiko.

Selbstverständlich birgt eine Flugverbotszone auch Risiken. Und auf Rückendeckung durch den UN-Sicherheitsrat braucht man wohl kaum zu hoffen. Aber sie ist auch eine Chance für die geschundenen Syrer, vielleicht die einzige. Der Einwand, eine Intervention verschlimmere die Lage nur, gilt jedenfalls nicht mehr.

Nachdem wir nun wissen, dass im Syrienkonflikt Giftgas gegen Zivilisten eingesetzt wurde und die libanesische Hisbollah offen auf Seiten Assads mitkämpft, haben sich die Vorzeichen geändert: Schlimmer kann es nicht mehr werden.

Silke Mertins

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de