Damoklesschwert über den Köpfen

Pakistans Präsident Musharraf zu kritisieren, ist seit Verhängung des Ausnahmezustands gefährlich geworden. Tausende Oppositionelle, Menschrechtsaktivisten und Journalisten wurden inzwischen festgenommen. Viele andere sind untergetaucht. Annette Meisters berichtet.

Protestierende gegen Musharraf wurden in Polizeihaft genommen; Foto: AP
Nach Protesten gegen Präsident Musharraf wurden unzählige Oppositionelle in Haft genommen

​​Sie kamen, als es dunkel war. Musharraf hatte den Ausnahmezustand kaum verhängt, da fuhren die Polizeiwagen auch schon vor Saleem Zias Haus vor. Etwa ein Dutzend Beamte drangen auf das Grundstück, bedrohten Personal und Familie und zogen wieder ab, als sie Zia selbst nicht finden konnten.

Nach anderthalb Stunden kamen sie zurück, um die Angehörigen noch einmal in Angst und Schrecken zu versetzen. Saleem Zia erwischten sie wieder nicht.

Kein Wunder: Der Oppositionspolitiker hatte sein Haus rechtzeitig nach Bekanntgabe des Ausnahmezustands verlassen. Zia ist Chef der Muslim-Liga in der Provinz Sindh, der Partei von Pakistans früherem Premierminister Nawaz Sharif (PML-N), den Musharraf 1999 durch einen Militärcoup aus dem Amt gejagt hatte.

Arrest als Teil der Spielregeln

Zia war klar, welche Gefahr ihm in der neuen Situation drohen würde: Während Musharrafs Herrschaft wurde der unliebsame Politiker bereits acht Mal unter Arrest gestellt.

Um einem erneuten Versuch der Festnahme zu entgehen, versteckt sich Saleem Zia seit Verhängung des Ausnahmezustandes an wechselnden Orten. Meist kommt er bei Freunden unter. Das Treffen mit ihm kommt auf Vermittlung eines gemeinsamen Bekannten zustande und findet unauffällig im Büro eines Immobilienmaklers statt.

"Der Arrest selbst wäre nicht das Problem", erklärt Zia. "Das ist Teil der Spielregeln, wenn man unter einem Militärherrscher Oppositionsarbeit leistet. Aber wir müssen die bevorstehende Parlamentswahl vorbereiten, und da muss ich präsent sein." Daher habe ihn die Partei gebeten, vorsichtig zu sein.

Mit aller Macht gegen die obersten Richter

Auch Politiker anderer Oppositionsparteien wurden seit Beginn des Ausnahmezustands festgenommen – in erster Linie solche, die wie Saleem Zia von Beruf Juristen sind. Der Grund: Anwälte und Richter haben Musharrafs Macht in den vergangenen Monaten durch Demonstrationen und Petitionen gegen seine Wiederwahl zum Präsidenten massiv in Frage gestellt.

Der Ausnahmezustand gibt Musharrafs Regime nun die Möglichkeit, mit aller Macht gegen sie und die obersten Richter des Landes vorzugehen.

"Das sind Aktionen eines verzweifelten Mannes", behauptet Zohra Yusuf, führende Menschenrechtsaktivistin der "Human Rights Commission Pakistan" (HRCP). Sie glaubt, dass Musharrafs Machtbasis rapide bröckelt und seine Tage an der Spitze von Armee und Staat gezählt sind.

Auch ihre Organisation ist von den Razzien betroffen. Am Tag nach der Verkündung des Ausnahmezustands wurde ein HRCP-Treffen in Lahore von Polizei und paramilitärischen Einheiten gestürmt.

70 Aktivisten wurden abgeführt und erst nach zwei Tagen im Gefängnis und in Gästehäusern der Regierung wieder freigelassen. Die HRCP-Vorsitzende Asma Jehangir steht weiterhin unter Hausarrest.

Keine weiteren Festnahmen riskieren

Zohra Yusuf hat deshalb ihre Kollegen in Karatschi angewiesen, möglichst unauffällig zu agieren, wenn sie ihre Kritik am Regime kundtun. Oberste Priorität sei es momentan, keine weiteren Festnahmen zu riskieren.

"Zurzeit ist es einfach zu schwierig, die Leute wieder frei zu bekommen", erklärt Zohra Yusuf. "Die Anwälte, die unsere Arbeit normalerweise unterstützen, sitzen entweder selbst schon hinter Gittern oder boykottieren aus Protest gegen den Ausnahmezustand die Gerichte."

Der Handlungsspielraum von Regimekritikern ist also merklich geschrumpft. Die elektronischen Medien waren die ersten, die das zu spüren bekamen. Noch vor der Bekanntgabe des Ausnahmezustands stoppten die Kabelnetzbetreiber den Empfang privater Fernsehsender mit Nachrichtensendungen.

Wer keine Satellitenschüssel besitzt, also die überwiegende Mehrheit der Pakistaner, sieht seither schwarz. Die Sender sollen erst dann wieder über das Kabelnetz ausgestrahlt werden dürfen, wenn sie sich der staatlichen Zensur unterwerfen und nichts Negatives mehr über die Armee und deren Chef Musharraf berichten.

Warnschüsse gegen Journalisten

Nadeem Jamal vom englischsprachigen Nachrichtensender "Dawn News" gibt zu, dass dieser Druck und die Festnahmen in Journalistenkreisen die Berichterstattung beeinträchtigen.

"Auch unter normalen Bedingungen überprüfen wir die Richtigkeit aller Fakten in unseren Filmen", betont Jamal. "Aber jetzt sind wir noch vorsichtiger geworden, und irgendwie fühlt es sich an wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen."

Doch die Frage ihrer persönlichen Sicherheit ist nicht das einzige Problem für die Journalisten. Zusätzlich wird ihre Arbeit dadurch erschwert, dass so viele Informanten unter Hausarrest stehen oder in Haft sind. "Das macht die Recherche nicht leichter", bedauert Nadeem Jamal.

Erstaunlich unbeeindruckt von all diesen Einschränkungen berichten zurzeit noch die Zeitungen. Bisher dürfen sie trotz massiver Kritik an Musharrafs Vorgehen weiterhin erscheinen – vermutlich weil von den 160 Millionen Pakistanis dank einer verheerenden Bildungspolitik die Hälfte sowieso Analphabeten sind. Schätzungen zufolge lesen nur etwa 1,5 Millionen Pakistaner überhaupt die Zeitung.

Aber auch in Pressekreisen hat es erste deutliche Warnungen gegeben: Wenige Tage nach Beginn des Ausnahmezustands bekam die Redaktion einer auf Urdu erscheinenden Zeitung in Karatschi Besuch von der Polizei. Berichte der Redakteure wurden beschlagnahmt, verbunden mit dem Verbot, einen Teil der Zeitung zu drucken.

Es sind schlechte Zeiten für Menschenrechte und Meinungsfreiheit in Pakistan.

Annette Meisters

© Qantara.de 2007

Qantara.de

Ausnahmezustand in Pakistan
Doppelspiel der Militärs
Die Verhängung des Ausnahmezustandes rechtfertigte Präsident Musharraf mit der vorherrschenden Gewalt im Land. Doch könnte dies auch der Versuch sein, einem drohenden Gerichtsurteil zuvorzukommen. Thomas Bärthlein kommentiert.

Benazir Bhuttos Rückkehr nach Pakistan
Alles ist möglich
Pakistans Ex-Premierministerin Benazir Bhutto lässt sich nach ihrer Rückkehr aus dem Exil als Hoffnungsträgerin für Demokratie und Wohlstand feiern. Doch kann sie die Erwartungen aus dem In- und Ausland erfüllen? Zweifel sind angebracht. Von Annette Meisters
Politische Krise in Pakistan

Politische Krise in Pakistan
Endspiel für Musharraf
Mit der Absetzung des populären Vorsitzenden Richters am Obersten Gerichtshof in Pakistan hat Präsident Pervez Musharraf einen innenpolitischen Konflikt verschärft, der auch seine eigene Machtposition zunehmend untergräbt. Irfan Husain informiert.