"Die Armen brauchen Barfußarchitekten"

Hassan Fathy, der bedeutendste Architekt Ägyptens, war im eigenen Land stets umstritten und international wenig bekannt. Eine Ausstellung in Frankfurt zeigt nun seine Gouachen und Zeichnungen. Ingeborg Flagge stellt den Künstler vor.

Hassan Fathy, der bedeutendste Architekt Ägyptens, war im eigenen Land stets umstritten und international wenig bekannt. Eine Ausstellung in Frankfurt zeigt nun seine Gouachen und Zeichnungen. Ingeborg Flagge, Direktorin des Deutschen Architektur Museums, stellt den Künstler vor.

Das Sadat Rest House in Gharb Husayn, Foto: www.kmtspace.com
Kunstwerke in Lehm: das Sadat Rest House in Gharb Husayn

​​Hassan Fathy glaubte an die soziale Verantwortung des Architekten und stellte sich ihr sein Leben lang. Das Geld, das er mit dem Bau von zahlreichen Luxusvillen für eine reiche Klientel verdiente, steckte er samt und sonders in Bauten und Dörfer für arme Fellachen. Sie waren die Auftraggeber, für die er sich wirklich engagierte.

"Der Bauherr, an dem ich interessiert bin, wird durch jene 800 Millionen repräsentiert, von denen die Statistik sagt, dass diese Menschen der 3. Welt dazu verdammt sind, früh zu sterben, weil sie unter schlechten Bedingungen wohnen.

Dies ist der Bauherr, dem ein Architekt dienen sollte, aber Architekten sind an diesen Armen nicht interessiert. Es ist wie bei den Barfußärzten in China; die Armen brauchen ebenfalls Barfußarchitekten".

Fathy, 1900 in Alexandria geboren und 1989 gestorben, ist der bedeutendste ägyptische Architekt des 20. Jahrhunderts. In Deutschland ist er kaum bekannt, im eigenen Land war er zeitlebens unpopulär. Aber 16 Jahre nach seinem Tode schwärmen diejenigen, die ihn kannten, noch immer von seinem Charisma und von der Sinnlichkeit seiner Architektur.

Lichtdurchflutete Lehmbauten

Fathys Bauten sind fast ausschließlich in Lehmbauweise errichtet. Ihre archetypischen Formen sind von skulpturaler Schönheit, mit begehbaren Dächern, intimen Innenhöfen, feingliedrigen Sonnengittern.

Sie leben vom kontrollierten Spiel des Lichtes, das durch kunstvoll mit Glas oder Holz verkleidete Öffnungen ins Innere seiner Schulen, Moscheen, Theater, Märkte und Fabriken eindringt.

Den europäischen Betrachter fasziniert an Fathys Architektur vor allem ihre abstrakte Großform, die bestürzend fremdartig erscheint. Der Lehm erlaubt weiche Konturen und sanft schwingende Linien von sinnlichem Reiz. Dahinter steht Fathys Überzeugung: "Gerade ist die Linie der Pflicht, gebogen ist der Weg der Schönheit."

Dörfer aus Lehm

Diesem Ziel folgt auch eines seiner spektakulärsten Dorfprojekte, Neu Gourna. Ein streng geometrischer Plan wird von sanft geschwungenen Straßen und schrägen Gassen durchbrochen. Hierdurch entsteht eine Spannung, die im Durchgehen immer neue Blickwinkel schafft.

Hassan Fathys großer Verdienst ist die Wiederentdeckung der traditionellen Lehmbauweise für die moderne ägyptische Architektur. Ihre Prinzipien waren vergessen; erst mit Hilfe nubischer Baumeister gelang Fathy eine Renaissance der Bogenkonstruktion und der Kuppelbautechnik, die er an Projekten in Ägypten, Saudi-Arabien, Indien, Griechenland erprobte.

Eines seiner sozial wie architektonisch anspruchsvollsten Dörfer in Lehmbau ist das Dar-Al-Islam Dorf, das 1980 in New Mexiko, USA, entstand. Das niedrige Dorf vor der großartigen Gebirgskulisse ist der schönste Beweis für die Dauerhaftigkeit von Fathys Architektur, wenn sie genutzt, geliebt und gepflegt wird.

Kritik im eigenen Land

Genau daran krankten Fathys Bauten in Ägypten. Die Behörden verweigerten ihm die Zusammenarbeit. Seine Kollegen, europäisch erzogen und international orientiert, schalten seine Architektur romantisch und anachronistisch. Seine Nutzer waren zu lethargisch und wenig aufgeklärt, um Fathys fortschrittliche Ideen zu verstehen.

Fathy, der aus einer alten Familie stammt, verstand sich als Glied einer langen Kette von Baumeistern, die im Islam wurzeln und verpflichtet sind, die Tradition arabischen Bauens fortzusetzen. Hier der Kosmopolit, der in der ganzen Welt zu Hause war und als Guru verehrt wurde, dort der ägyptische Baumeister, der arabische Baukunst zu neuer Blüte brachte und sich im eigenen Land geschmäht und gehasst sah.

Fathy hatte in Kairo zwar eine westlich orientierte Architektenausbildung genossen. Doch weder sah er sich wie die europäische Moderne in der Lage, radikal mit der Vergangenheit zu brechen, noch glaubte er an eine jedem Land überzustülpende internationale Architektur. Architektur war für ihn orts- und traditionsbezogen, nicht einheitlich und massenhaft herstellbar.

Als Architekt verstand er sich als fast mystischer Seismograph. Nicht er findet die Formel für seine Architektur, sondern Räume, Maßstäbe, Proportionen finden ihn. "Es gibt eine heilige Geometrie der Pharaonen. Räume haben eine heilsame Wirkung. Das sind Geheimnisse, die wir zurückgewinnen müssen".

Fathys Hauptverdienst sind dennoch nicht seine Bauten. Vielmehr ist es seine Fähigkeit, Bilder und Visionen zu formulieren, die jahrtausende alte Prinzipien des ägyptischen Bauens aufgreifen und eine Tradition vor Augen führen, die immer sichtbar, aber nicht mehr anerkannt war.

In seinen märchenhaften Gouachen, die er anstelle nüchterner Bauzeichnungen verwendet, tauchen neben seinen karg-schönen, kubisch geschlossenen Häusern denn auch Zitate aus der altägyptischen Götterwelt auf. Den strengen Grundriss von Neu-Gourna bewachen Hathor als Kuh und Osiris als Sykamore-Baum.

Bauen für die Armen

Hassan Fathy war zeitlebens ein beharrlicher und geduldiger Anwalt der Armen. Dies nicht nur weil er Architektur als soziale Baukunst verstand, sondern vor allem weil er daran glaubte, dass gute Architektur menschliche Lebensbedingungen verbessern hilft. "In einem schönen Haus hat die Seele die Chance, zu wachsen und zu fliegen …".

In seinem 1969 erschienenen Buch "Bauen für die Armen" formulierte er Grundsätze, denen sich jeder Architekt stellen sollte:

"Architektur für die Armen sollte nicht wie die Behandlung einer besonderen Krankheit angesehen werden. Es geht um neue Architektur, die für reich und arm gilt. Unglücklicherweise genießen die Armen nicht die Vorzüge der Ästhetik. Mit Armut assoziiert man Hässlichkeit, was falsch ist. Je billiger ein Projekt, desto wichtiger die Sorge und Aufmerksamkeit für die ästhetischen Belange".

Ingeborg Flagge

© Ingeborg Flagge

Der Artikel erschien erstmalig in der Frankfurter Rundschau vom 9. Februar 2005

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Autorin

  • Deutsches Architektur Museum
  • Weitere Informationen über Hassan Fathy finden Sie auf der Architektur-Datenbank The Great Buildings Collection (engl.)