"Nach der Frankfurter Buchmesse hat sich nichts geändert"

Die italienische Übersetzerin Isabella Camera d’Afflitto beklagt das fehlende Interesse an der arabischsprachigen Literatur in Europa und die mangelnde Kooperationsbereitschaft in den arabischen Ländern. Nelly Youssef traf sie in Kairo.

Die italienische Orientalistin und Übersetzerin Isabella Camera d’Afflitto beklagt das fehlende Interesse an der arabischsprachigen Literatur in Europa und die mangelnde Kooperationsbereitschaft in den arabischen Ländern. Nelly Youssef traf sie in Kairo.

Isabella Camera d’Afflitto: Die Europäer wissen nicht, dass es eine große literarische Kultur in Ägypten gibt und auch im Libanon. Für sie sind alle Araber gleich. Foto: privat
Isabella Camera d’Afflitto: Die Europäer wissen nicht, dass es eine große literarische Kultur in Ägypten gibt und auch im Libanon. Für sie sind alle Araber gleich.

​​Wie präsent ist arabische Literatur in Italien? Gibt es seitens der italienischen Verleger ein Interesse an der arabischen Literatur?

Isabella Camera d’Afflitto: Ich finde, dass die arabische Literatur in Italien kaum vertreten ist. Das trifft auch auf Europa im Allgemeinen zu, vor allem, weil die in Europa bekannten arabischen Romanautoren in französischer Sprache schreiben, wie zum Beispiel Assia Djebar oder Tahar Ben Jelloun. Eine weitere, geringe Anzahl arabischer Romanautoren ist nur einem kleinen Lesepublikum in Italien bekannt.

Ich habe, im Gegensatz zu den lateinamerikanischen oder japanischen Autoren, kaum Namen von Schriftstellern auf dem italienischen oder dem europäischen Markt gesehen, die in den arabischen Ländern sehr berühmt sind.

Selbst die wenigen berühmten arabischen Autoren verkaufen nicht mehr als 5.000 Exemplare eines Werkes. Das ist, verglichen zum Beispiel mit den Verkaufszahlen des kolumbianischen Schriftstellers Gabriel Garcia Marquez, sehr bescheiden.

Ich glaube, dass die Gründe hierfür in der Vergangenheit liegen. Die Orientalisten waren früher reine Akademiker und haben schlecht übersetzt, weil sie Romane wie wissenschaftliche Werke übertragen haben.

Ein anderer Grund ist, dass die Orientalisten jene Werke ausgewählt haben, die den Geschmack der Europäer trafen, was in Europa zur Verbreitung bestimmter Klischees über die Araber führte. Die Europäer akzeptieren gegenwärtig keinen Roman, der diese Auffassungen ändern würde.

Leider gibt es bei den Europäern kein wirkliches Interesse an der arabischen Kultur. Das deutlichste Beispiel dafür ist das, was auf der letzten Frankfurter Buchmesse geschah. Einerseits haben die Araber selbst eine große Chance vertan, andererseits wurde klar, dass Europa nichts über die arabische Welt weiß. Eine gleichzeitige Einladung an die gesamte "arabische Welt" zur Frankfurter Buchmesse bedeutet, dass Europa die arabischen Länder als einen Block ansieht – und das ist nicht richtig.

Korea ist in diesem Jahr Ehrengast. Die Einladung richtet sich an ein Land in Südostasien und nicht an die gesamte Region Südostasien. Warum haben sie beispielsweise nicht nur Ägypten oder nur den Libanon eingeladen? Weil sie nicht wissen, dass es eine große literarische Kultur in Ägypten und auch im Libanon gibt. Sie glauben, dass alle Araber gleich sind, und dies ist auch ein Klischee.

Ich habe für kleine Verlage mehr als 40 Romane von arabischen Schriftstellern übersetzt. Darunter waren unter anderem Abdalrachman Munif, Edwar al-Charrat, Dschabra Ibrahim Dschabra und Ibrahim al-Koni. Aber wenn ich diese Autoren großen Verlagen in Italien anbieten würde, so würden sie diese mit der Begründung ablehnen, dass niemand sie kennt und sie keinen Anklang bei den Lesern finden würden.

Deren Maßstab für einen übersetzungswürdigen arabischen Schriftsteller ist seine Bekanntheit in Frankreich oder Großbritannien. Ibrahim al-Koni zum Beispiel ist in Frankreich sehr bekannt und konnte nun, dank der Übersetzungen des deutschen Arabisten Hartmut Fähndrich, auch in Deutschland Fuß fassen. Selbst die Bücher von Nagib Machfus werden in Italien momentan nicht annähernd so gut verkauft, wie nach der Verleihung des Literaturnobelpreises.

Ich denke, dass die bekanntesten arabischen Schriftsteller in Italien Munif und Machmud Darwisch sind - allerdings nur in bestimmten Fachkreisen, nicht aber beim Normalbürger, der keine arabischen Bücher kennt, außer vielleicht die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht und den Koran und gelegentlich Tahar Ben Jelloun.

Wie kann man Ihrer Meinung nach die Übersetzung arabischer Literatur in die europäischen Sprachen fördern?

Camera d’Afflitto: Ich denke, dass die Araber immer die Könige verpasster Chancen bleiben werden. Nicht nur, weil ihnen auf der Frankfurter Buchmesse die goldene Chance einer stärkeren Förderung von Übersetzungen entgangen ist, sondern dies zeigt sich auch bei einigen anderen Gelegenheiten, wie beispielsweise bei einem der Projekte, an dem ich zusammen mit europäischen Kollegen beteiligt war: "Zeugnisse des Mittelmeers" war ein spezielles Projekt, das auf die Förderung arabischer Literatur in Europa abzielte.

Wir haben Bücher ins Italienische, Spanische, Französische, Deutsche und Polnische übersetzt und veröffentlicht. Das Projekt dauerte sechs Jahre. Die europäische Kulturstiftung in Amsterdam hat 60% der Kosten übernommen, den Rest trugen kleine Verlage in Europa.

Als wir, nach dem Ende der Unterstützung durch die Europäische Kulturstiftung, mit Verantwortlichen in unterschiedlichen arabischen Isabella Camera d’Afflitto ist seit 1993 Professorin für Arabische Literatur und Sprache an der Universität Neapel. Sie ist die Herausgeberin der Reihe ">Ländern Kontakt aufgenommen haben, damit sie uns weiterhelfen, stießen wir nur auf wohlwollende Worte und leere Versprechungen. Sie haben nichts unternommen.

Ich denke, dass die Araber auch diese besondere Chance verpasst haben, weil dieses Projekt auch gesamtarabisch ausgerichtet und nicht für ägyptische oder emiratische Literatur gedacht war. Jedes Land, das wir kontaktiert haben, wollte nur die Förderung seiner eigenen Autoren. Dies bedeutet, dass die "arabische Welt" nicht existiert, sondern eine Illusion ist.

Wir waren frustriert, weil wir weder psychische Unterstützung noch Dank oder Anerkennung von irgendeinem Verleger aus Syrien, Tunesien oder Ägypten erfahren haben, mit dem wir sprachen.

Selbst den Botschaften in den europäischen Ländern haben wir das Projekt vorgestellt, sie aber haben noch nicht einmal eine Veranstaltung für ein Buch, einen Schriftsteller oder Übersetzer gemacht, obwohl sie in Italien arabische Künstler unterstützen. Das mag ja schön und gut sein, aber der Maler präsentiert sich in einer Ausstellung und nimmt dann seine Werke mit. Ein Buch aber bleibt in einer Bibliothek oder in den Buchläden.

Die Araber sollten Zeit, Mühe und Geld für die Förderung von Übersetzungen investieren. Sie veranstalten viele Konferenzen und Festivals, aber sie geben sich nicht die Mühe, kleinen, auf arabische Literatur spezialisierten Verlagen in Italien und anderen Ländern einen Dank oder eine Einladung auszusprechen.

Wie sehen Sie die modernen Strömungen in der arabischen Literatur? Gibt es Gemeinsamkeiten mit der modernen europäischen und amerikanischen Literatur?

Camera d’Afflitto: Ich denke, dass der Historienroman die moderne Ausrichtung in der arabischen Literatur ist. Dieser ist momentan in der arabischen Welt weit verbreitet. Er sollte auch in Europa bekannt gemacht werden, weil wir in Europa durch diese Romanart mehr über die arabische Geschichte, wie sie durch die arabische Brille gesehen wird, erfahren können. So wissen wir in Europa beispielsweise durch die Literatur Tolstois, was in Russland geschehen ist. Vorher hatten wir keine Ahnung, wie brutal der Einmarsch Napoleons in Russland war.

Was die Gemeinsamkeiten zwischen der arabischen, europäischen und amerikanischen Ausrichtung der Literatur angeht, so sehe ich keine. Das kann damit zusammenhängen, dass ich nicht viel moderne westlich-europäische Literatur lese. Aber ich glaube, dass ein gutes Buch überall auf der Welt "gut" ist, dass es über Grenzen und Nationalitäten hinaus wirkt.

Wie beurteilen Sie die arabische Belletristik, was sind ihre Schwachpunkte? Welche Dinge müssen die arabischen Schriftsteller von ihren europäischen und amerikanischen Kollegen lernen?

Camera d’Afflitto: Es gibt unterschiedliche Schwächen in arabischen Romanen. Zum einen das sich in die Länge ziehende und ausschweifende Erzählen, ohne Rechtfertigung, welches den Leser heftige Langeweile empfinden lässt. Manchmal spreche ich mit einem arabischen Schriftsteller, dessen Werk ich gerade übersetze, damit er mir erlaubt, Stellen aus seinem Roman zu streichen.

Nach der Übersetzung sind die Schriftsteller dann oft glücklich darüber, dass Stellen gestrichen wurden. Ich denke, dass das Problem am Lektorat-Mangel bei den arabischen Verlagen liegt, im Gegensatz zu den Verlagen in Italien und Europa.

Arabische Autoren müssen lernen, aus ihrer Haut zu schlüpfen und offener auf die Welt zu schauen. Der enge Blickwinkel ist möglicherweise auf die immer noch bestehenden Krisen und Kriege in der arabischen Welt zurückzuführen.

Der arabische Roman hat aber auch Besonderheiten. Er enthält beispielsweise viele Emotionen und menschliche Beziehungsaspekte, die wir in den westlichen Romanen heutzutage vermissen. Ich denke auch, dass arabische Schriftsteller mehr über die europäische und italienische Literatur wissen. Viele unserer Bücher sind ins Arabische übersetzt, unter anderem Alberto Moravia.

Wer ist Ihr Lieblingsschriftsteller oder Ihre Lieblingsautorin?

Camera d’Afflitto: Diese Frage ist äußerst schwer zu beantworten. Ich bin verliebt in die arabische Literatur und alle Bücher, die ich gelesen und übersetzt habe. Ich habe das Gefühl, als wären sie meine Kinder. Eine Mutter liebt all ihre Kinder aus verschiedenen Gründen. Aber ich habe eine Vorliebe für Abdalrachman Munif, weil seine Bücher eine wichtige Botschaft an den Leser enthalten. Außerdem empfehle ich den libyschen Schriftsteller Ibrahim Al-Koni, den ägyptischen Schriftsteller Gamal al-Ghitani, die Libanesin Huda Barakat und den Palästinenser Ghassan Kanafani - trotz seines schwierigen Stils.

Das Interview führte Nelly Youssef

Übersetzung aus dem Arabischen Dagmar Stelkens

© Qantara.de 2005

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Dossier: Deutsch-arabischer Literaturaustausch
Die Literatur ist immer ein zentrales Medium des Kulturdialogs. Dabei sind es oft Aktivitäten, die im Kleinen, ja Verborgenen stattfinden: Übersetzer und Verleger, die sich am Rande des Existenzminimums um die geliebte fremde Kultur verdient machen. Wir präsentieren deutsche und arabische Initiativen.